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"Kein Quartier wie alle anderen": Entwicklungszone Dreispitz
Teile der Dreispitz-Planung müssen in den zweiten Durchgang
Die Verdrängung des Gewerbes soll verhindert werden / Auch gleiche Bedingungen für Neuzuzüger
Von Christof Wamister
Die raumplanerische Transformation des Dreispitz-Areals in Basel und Münchenstein ist komplizierter als ursprünglich angenommen. Zwei Jahre nach der Planauflage kommt es zu einer nachgebesserten Neuauflage.
Der Umbau des Dreispitz-Areals zu einem Stadtquartier mit Arbeiten und Wohnen benötigt den Zeitraum einer Generation, wie auch die Veranwortlichen betonen. Ein Slogan wie "Achtung fertig, Quartier" vermittelt aber den gegenteiligen Eindruck. Zu lesen ist er am Transitlager auf Münchensteiner Boden, wo die Veränderungen rund um das sogenannte Kunst-Freilager tatsächlich rapide sind.
So soll die Tramhaltestelle Ruchfeld auf die Höhe des zukünftigen Freilagerplatzes verschoben werden, und die Christoph Merian Stiftung (CMS) als Besitzerin des Dreispitz-Areals erarbeitet zwei Varianten für eine Passerelle zum "Grün 80"-Gelände. Mit der Hochschule für Gestaltung entsteht hier tatsächlich ein neues kulturell geprägtes Zentrum, das sich zwar noch als Baustelle präsentiert und aber auch am Sonntag zugänglich ist. Das ist die Ausnahme, denn die anderen Portale des Areals sind in der Nacht und an Feiertagen geschlossen.
Erste Planung löste teils Erschrecken aus
Der Dreispitz ist eben kein Quartier wie alle anderen, sondern ein geschlossenes Lager-, Industrie- und Gewerbeareal, dessen Struktur durch die Anschlussgeleise der Eisenbahn vorgegeben ist. Und das wird vermutlich noch einige Zeit so bleiben, wie die Probleme mit der Detailplanung zeigen.
2011 wurde die Nutzungsplanung aufgelegt – ein umfangreiches Regelwerk, das bei den auf dem Dreispitz ansässigen 380 Betrieben teilweise Erschrecken auslöste und zu einer Reihe von Einsprachen führte. Im Herbst dieses Jahres findet nun eine überarbeitete Planauflage statt, bei der aber nur noch gegen jene Punkte Einsprache erhoben werden kann, die geändert wurden.
"Bestandesgarantie" ist das Schlüsselwort für die Diskussionen zwischen den Unternehmen, den Planern und der CMS. Die Dreispitz-Betriebe verfügen für ihre Parzellen über ein Baurecht, mit langfristigen Verträgen meist bis ins Jahr 2053. Sie sind somit nicht Mieter, sondern nach ZGB Grundeigentümer. Bis jetzt ist der Dreispitz ein reines Industrie- und Gewerbegebiet, und es gilt die Dreispitz-Verordnung, die noch aus der Epoche bis 2007 stammt, als die Dreispitzverwaltung eine Abteilung des Basler Finanzdepartementes war.
Neue Zonen, neue Vorschriften
Die neue Dreispitz-Planung sieht nun eine Aufteilung des Areals in Arbeitsgebiete und Entwicklungsgebiete mit Arbeiten und Wohnen vor. Es gibt somit weiterhin Areale, in denen wegen der Emissionen der umliegenden Gewerbe keine Wohnungen erstellt werden dürfen. Die Industriezone im Bereich Mitte und das Entwicklungsgebiet entlang der neuen Hauptachse Wien-Strasse wurden von den Planern mit zugesicherten minimalen Ausnützungsziffern versehen.
Die Ausnützungsziffer ist das Verhältnis zwischen Areal-Grundfläche und Bruttogeschossfläche und definiert so den Umfang dessen, was auf einer Parzelle realisierbar ist. Unter anderem sieht der Bebauungsplan in den Verdichtungsgebieten Bauten von bis zu 60 Meter Höhe vor. Die Dreispitz-Unternehmen nahmen die Ausnützungsziffer aber als Eingriff in ihre Eigentumsrechte wahr und bestanden auf dem Recht, ihre Parzellen gemäss den bisherigen Verträgen zu nutzen.
Missverständliche Bestandesgarantie
Die Bestandesgarantie sei eigentlich schon in der ersten Version der Nutzungsplanung enthalten gewesen, betont Axel Schubert vom Planungsamt Basel-Stadt, sie sei aber "nicht richtig verstanden" worden. Das Departement habe jetzt versucht, die Bebauungsregeln einfacher zu formulieren. Gemäss dem neuen Vorschlag wird jetzt nicht mehr zwischen den schon auf dem Dreispitz ansässigen Gewerbebetrieben und allfälligen Neuzuzügern unterschieden. Kleinere Industrie- und Gewerbebetriebe, die in anderen Stadtquartieren keinen Platz mehr finden, sollen auf dem Dreispitz über die selben Nutzungsmöglichkeiten verfügen wie die Alt-Eingesessenen.
Der Akzent liegt gemäss den Planern vielmehr auf dem Unterschied zwischen Gewerbe und Dienstleistungsbetrieben. Mit Kontingenten für die Nutzung und einer Abstufung der Baurechtszinse nach Wertschöpfung will die CMS als Landeigentümerin die zukünftige Besiedlung des Areals steuern. So will soll verhindert werden, dass finanzstarke Bürobetriebe, die bedeutend mehr Arbeitsplätze pro Nutzfläche aufweisen als die durchschnittlichen Gewerbebetriebe, diese verdrängen.
Hinter dem Streit um die Ausnützung der Parzellen verbergen sich noch andere Konflikte: Lärm, Verkehr, Sicherheit. Der Wechsel von der Industriezone zu einer Zone mit Wohnen und Arbeiten bringt auch eine strengere Lärmempfindlichkeitsstufe mit sich. Stark störende Tätigkeiten sind dann nicht mehr möglich. In der Nähe der Wien-Strasse, die zum neuen Boulevard werden soll, befindet sich zum Beispiel der Container- Umschlag- und Lagerplatz der Transportfirma Leimgruber. Er verfüge über einen Baurechtsvertrag bis 2053 und habe nicht im Sinn, wegzuziehen, sagte Geschäftsinhaber Paul Leimgruber gegenüber OnlineReports. Auf jeden Fall habe er von der CMS noch kein Angebot erhalten.
Verdichtung ohne Verkehrskollaps
Durch die Wien-Strasse führt zur Zeit noch ein Trassee der Güter-Eisenbahn, das gemäss den Plänen bis 2019 einer neuen Tramlinie weichen soll, mit welcher der Dreispitz erschlossen werden soll. Auf die Eisenbahngeleise, die durch einen Tunnel beim BLT-Depot "Ruchfeld" an das SBB-Netz angeschlossen sind, wollen Kanton und CMS aber bis auf weiteres nicht verzichten, was auch der Meinung der Wirtschaft entspricht. Das Dreispitz-Quartier der Zukunft wird sodann neben dem Individualverkehr über eine Güterbahn und einen Tramanschluss verfügen.
Da gleichzeitig eine Verdichtung von 420'000 auf 800'000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche mit 3'000 bis 4'000 zusätzlichen Arbeitsplätzen vorgesehen ist, sind die Anforderungen an das Verkehrsmanagement hoch. Denn der Motorfahrzeugverkehr darf nicht im gleichen Umfang wachsen, sonst droht ein Verkehrszusammenbruch im neuen Quartier und an sensiblen Knotenpunkten wie der Verzweigung Brüglingerstrasse / Münchensteinerstrasse / Leimgrubenweg.
Die Interessen der Migros
Für den Dreispitz der Zukunft wurde ein sogenanntes Fahrtenmodell errechnet: 34'500 Motorfahrzeug-Fahrten täglich gegenüber dem heutigen Stand von 28'500 Fahrten. Weder vom Planungsamt noch vom Baurechtsnehmer Migros war die Zahl der täglichen Fahrten von und zum Einkaufszentrum "MParc" an der Nordspitze des Areals zu erfahren. Die Migros dürfte kein Interesse daran haben, in das Fahrtenmodell integriert zu werden, denn das könnte Auswirkungen auf die Zahl ihrer Parkplätze haben. Es bestehe in dieser Frage ein hängiges Verfahren, war vom Planungsamt zu erfahren. In einer späteren Phase ist jedoch auch für dieses Areal eine Verdichtung mit Arbeiten und Wohnen vorgesehen.
Da das Dreispitz-Areal mit seinen spitzwinkligen Kreuzungen, Eisenbahnschienen und langen Gebäudezeilen für Fussgänger und Velofahrer bis jetzt unattraktiv und teilweise gefährlich ist, müssen Durchgänge geschaffen werden, die das Areal leichter begehbar machen. Auch diese Absicht hat die ansässigen Betriebe nicht gerade gefreut, obwohl noch keine lokalisierbaren Pläne bestehen. Doch für ein Gebiet, in dem einmal gewohnt werden soll, sind solche Zugänge unentbehrlich.
Der Nutzungsplan gibt die Bebauungsregeln zwar vor, aber ein Quartier wie alle andern wird der Dreispitz dennoch nie werden. Das ist schon daran ersichtlich, dass die Planer auf Bau- und Strassenlinien verzichten und die Erschliessungsstrassen bis auf weiteres nicht zu Allmend erklärt werden. Ob dieser Grundsatz für das Tram-Trassee auch gelten wird, ist noch offen. Der Dreispitz wird somit im wesentlichen seinen Sondercharakter als öffentlich zugängliches Privatareal behalten. Ganz in die Tat umgesetzt ist die Transformation aber erst, wenn sich die Portale für immer öffnen.
30. August 2013
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