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"Abfallfluss lässt sich nicht steuern": Basler Altstoffhänder Peter Lottner*
"Wenn die Baisse kommt, dann geht es schnell"
Der Basler Recycling-Unternehmer Peter Lottner muss damit leben, dass die Altpapierpreise zyklisch in den Keller purzeln
Von Peter Knechtli
Die gegenwärtige Wirtschaftskrise trifft die Recycling-Branche als eine der ersten: Das Basler Familienunternehmen Lottner AG beispielsweise verdient derzeit am Gemischtpapier-Recycling nichts mehr. Doch Panik macht sich im Betrieb trotz des teilweise ruinösen Preiskampfs nicht breit.
So rasch lässt sich Peter Lottner (66) nicht aus der Fassung bringen. "Heute tut man so, als habe man erstmals eine Wirtschaftskrise. Für uns ist das nicht Neues." Der promovierte Jurist weiss, wovon er spricht: Er war während eines Vierteljahrhunderts Präsident des Verbandes schweizerischer Industrielieferanten für Altpapier. "Unsere Branche hat alle zehn Jahre eine richtige Krise und alle fünf Jahre eine kleine." Die jetzige Weltwirtschafts-Baisse sei eigentlich schon früher fällig gewesen, wäre sie nicht mit einer verhängnisvollen Politik der günstigen Kredite durch die Zentralbanken "künstlich hinausgezögert" worden.
Familienunternehmen in vierter Generation
Sein Leben lang war Peter Lottner mit der Hinterlassenschaft der Konsumgesellschaft konfrontiert. Vor 113 Jahren war es sein Grossvater, aus Deutschland zugewandert, der die Altwarenfirma in Basel gründete. Früher war der Altstoffhandel "ein Geschäft, das niemand machen wollte". Doch "Randgruppen wie Einwanderer, Fahrende oder Juden" hätten darin eine während vielen Jahrzehnten verpönte Verdienstmöglichkeit entdeckt. Doch heute, da die Zivilgesellschaft angesichts des wachsenden Stellenwerts des Umweltschutzes mittlerweile respektvoll von Recycling spricht, sei das Geschäft "salonfähig" geworden.
Das zeigt sich auch an Lottners Unternehmen, dessen Geschäftleiter Ullrich Schneider heute massgeblich auch von Sohn Jonas Lottner in vierter Generation unterstützt wird: Die Lottner Holding beschäftigt an ihren vier Betrieben an den drei Standorten Basel (Lottner AG), Buchrain LU (Müller AG), Zürich (Lopatex AG) - die Reisswolf Vernichtungs AG ist an allen drei Standorten präsent - 100 Mitarbeitende.
Zehn Prozent Marktanteil
Aus dem einstigen Kleinbetrieb ist ein KMU-Konglomerat mit 30 Millionen Franken Umsatz geworden. Die grossen Produktionshallen an der Basler Schlachthofstrasse und der seit wenigen Jahren in Betrieb stehende "Recyclingpark" dokumentiert die Vielschichtigkeit des Unternehmens, das an Material "einfach alles" (Lottner) annimmt, was Privatpersonen und Firmen abstossen wollen: Papier, Metalle, Kunststoffe, Holz.
Das delikateste, aber auch das rentabelste Geschäft ist jenes der Aktenvernichtung: Die Zufahrt ist speziell gesichert - unter anderem durch Videoüberwachung -, der Zutritt ins Schredder-Kompartiment ist nur den direkten Mitarbeitenden gestattet, die unter strikter Geheimhaltungspflicht stehen. Das voluminöseste, aber gleichzeitig am stärksten konjunkturabhängige Geschäft ist aber das Altpapier- und Kartonrecycling geblieben. Auf 15'000 Quadratmetern werden in Basel und Birsfelden monatlich 6'000 Tonnen in 20 verschiedenen Sorten umgeschlagen. Mit einer gruppenweiten Verarbeitung von 130'000 Jahrestonnen - etwa hälftig aus Gemeinden sowie Gewerbe und Industrie - erreicht die Holding einen Marktanteil von 10 Prozent des Schweizer Altpapierhandels.
Preis-Sturz bei Gewerbe-Abfall
Doch was ökologisch Sinn macht, ist nicht immer ein sicheres Geschäft. "Zufriedenstellend" schätzt Lottner den Markt im Qualitätssegment "Zeitungen und Zeitschriften" ein. Sein Unternehmen zahlt den Sammel-Auftraggebern - meist kommunale Behörden - einen Preis von mindestens 40 Franken pro Tonne und erhält nach der Sortierung und Verarbeitung von den Papierfabriken derzeit 110 Franken pro Tonnen.
Kommerziell unattraktiv hingegen ist derzeit der aus dem Gewerbe anfallende Bereich "Karton und gemischtes Altpapier", der zu neuem Karton verarbeitet wird. Grund: Die Papierfabriken spüren die geringe Nachfrage der Konsum- und Investitionsgüterindustrie als Folge der weltweiten Depression. Folge: Sie zahlen gerade noch 10 bis 20 Franken pro Tonne, so dass die Altstoff-Lieferanten nun keine Entschädigung erhalten, sondern 30 bis 50 Franken für die Einsammlung zahlen müssen. Fazit für Peter Lottner: "Nach Abzug der Transportkosten liegen wir bei Null." Verschiedene Lagerstufen in der Entsorgungskette, die zu einem spontanen Abstossen bei sinkenden Preisen und damit zu Wellenbewegungen führen, verstärken die Konjunkturzyklen zusätzlich.
"Abfall fällt endlos an"
Zu "massiven Preisabschlägen" kam es auch bei den Spezialsorten - wie helle Druckereispäne, unbedrucktes Zeitungspapier oder weisse Akten -, "doch hier sind wir immer noch im positiven Bereich": Diese Papierqualität dient als Surrogat für teureren Holzschliff und Zellulose, die den Preis wesentlich mitbestimmen.
Peter Lottner erinnert daran, dass das Rezyklieren von Altpapier, das bis zu siebenmal wiederverwertet werden kann, nicht nur einen ökologischen Beitrag leistet: "Dank billigem Altpapier existiert in Zentraleuropa auch eine Zeitungspapierindustrie, die aus 100-prozentigem Altpapier Zeitungspapier herstellt. Das garantiert uns auch einen konstanteren Absatz."
Egal, welchen Preis Unternehmer Lottner am Papiermarkt realisiert - sein Wagenpark zirkuliert fortwährend. Denn "Abfall fällt immer an und der muss weg. Darum darf es bei uns keine Kurzarbeit geben", fasst er den Sachzwang zusammen, den langfristige Verträge mit Lieferanten von Karton und Altpapier mit den Rohstofflieferanten mit sich bringen. So wird gesammelt, was anfällt, den Preis bestimmen auf Angebot und Nachfrage auf Seiten der Anbieter wieder Abnehmer.
Immer wieder kulturelles Engagement
Über sein Berufsleben zwischen Hausse und Baisse mag Peter Lottner nicht jammern. Es ist Teil seiner Branche. Im Falle seines Unternehmens erlaubt es sogar regelmässiges kulturelles Engagement: Zum 100-jährigen Firmenjubiläum präsentierte 1996 der französische Objektkünstler César anlässlich der Kunstmesse "Art" auf der Rosental-Anlage, was allein die Baslerinnen und Basler während eines Monats an Altpapier hinterlassen, das sich zu Kunst veredeln lässt: Gestampfte Papierquader mit 720 Tonnen Gewicht – "eine ästhetisch komprimierte Zeitungslektüre", wie es in der damaligen Dokumentation heisst. In der Produktionshalle spielte derweil die "Interkantonale Blasabfuhr".
* Vor einer Ladung "gemischtes Altpapier"
22. Januar 2009