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"Milliarden fehlen": Elefantenschutz in der Serengeti/Tansania
Die Schutzgebiete der Erde haben keinen Goodwill und kein Geld
Halbherzigkeit und Geiz der Industrieländer gefährden weltweit die Biodiversität
Von Ruedi Suter
Auf dem Papier stehen 12 Prozent der Erde unter Naturschutz. Um diesen zu garantieren, braucht es jährlich 23 Milliarden Dollar. Ein Klacks - doch es stehen bestenfalls 7 Milliarden zur Verfügung. Den Schutzgebieten, den Nationalparks und schliesslich der Biodiversität droht der Kollaps. Damit es nicht soweit kommt, müssen vorab die Armut bekämpft, Menschenrechte respektiert und das Geld bereitgestellt werden, alarmierten Wissenschaftler am Weltparkkongress in Durban
Das grösste Dilemma scheint erkannt: Der Wildschutz und die Erhaltung der ursprünglichen Landschaften in den Nationalparks haben ohne die globale Bekämpfung der Armut keine Chance. Also muss die internationale Staatengemeinschaft für die lebensnotwendige Erhaltung der Biodiversität genug Geld zur Verfügung stellen. Das dürfte zusammengefasst die zentrale Erkenntnis der rund 2'500 Delegierten aus 170 Ländern sein, die sich Mitte September im südafrikanischen Durban am 5. Weltparkkongress zehn Tage lang die Köpfe vorab über die Zukunft der Schutzgebiete in finanziell schwachen Ländern zerbrachen. Denn dort, wo existenzielle Not herrscht, geht es den letzten Inseln der Ursprünglichkeit besonders an die Substanz - mit Wilderei, Abholzung, illegalen Minen und wilden Siedlungen.
Parkgründungen mit Menschenrechtsverletzungen
Dabei rächt sich, dass zahlreiche Schutzgebiete über die Köpfe der Einheimischen hinweg errichtet wurden - ohne Mitspracherecht, Kompensation und Profitbeteiligung. So werden heute noch Ureinwohner in Afrika, Asien und Amerika von Regierungen aus ihren angestammten Gebieten hinausgeworfen. Dies mit tatkräftiger Hilfe von Konzernen und nicht seltener Duldung durch Entwicklungs- und Umweltschutzorganisationen. Aktuelle Beispiele dafür sind die desolate Situation der Pygmäen in den von Holzkonzernen geöffneten Regenwäldern des zentralen Afrikas und die San (Buschleute), die zum Verlassen der Kalahari, seit Urzeiten ihre Heimat, gezwungen werden.
Ein Naturschutz aber, der ohne Fingerspitzengefühl oder gar mit Menschenrechtsverletzungen durchgeboxt werden muss, ist eine tickende Zeitbombe. Das zeigt sich auch in Nationalparks des südlichen und östlichen Afrika, wo sich angrenzende, nicht berücksichtigte Bevölkerungsgruppen mit Sabotage und dem Leerwildern der Schutzgebiete zu rächen versuchen. Daraus zogen sensibilisierte Verantwortliche in Organisationen und Behörden vor Jahren schon den Schluss: Parks überleben nur dann, wenn sie von der betroffenen Bevölkerung akzeptiert, gewünscht und verteidigt werden - beispielsweise über die Schaffung von Arbeitsplätzen, finanzielle Entschädigungen oder Gewinnbeteiligungen, welche die Leute zum Mitmachen motivieren und ihre Lebensverhältnisse verbessern helfen.
So mahnte Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela (85) die versammelten Umweltschützer in Durban: "Der Kampf um die Erhaltung des Naturerbes unseres Planeten muss mit Strategien der Armutsbekämpfung verbunden werden." Eine Forderung, die sehr weit greift. Denn angesprochen sind alle: Die lokalen und regionalen Behörden, die Staatsregierungen, Wirtschaftsvertreter, Nichtregierungs- und Nonprofit-Organisation, aber auch die UNO und die führenden Wirtschaftsmächte mit uns, den SteuerzahlerInnen.
Nur 4,5 statt 23 Milliarden für globale Schutzbemühungen
Verantwortungsvoller und erfolgreicher Parkschutz, so zeigte sich an dem von der Weltnaturschutzorganisation IUCN einberufenen Treffen, ist von Fall zu Fall und von Region zu Region verschieden, ist ein Wettlauf gegen den Bevölkerungsdruck und in der Regel auch sehr komplex. Jedenfalls aber braucht er Geld, viel Geld - etwa für Investitionen aller Art, für Projekte und Unterhalt, für Programme, Studien und Kontrollen in den Schutzgebieten. Um global weitere bedrohte Gebiete zu schützen und die bis heute ausgeschiedenen Schutzzonen zu erhalten, wären laut Wissenschaftlern jährlich 23 Milliarden Dollar notwendig. Doch die bislang global zur Verfügung stehenden Mittel für die Schutzanstrengungen betrugen pro Jahr rund 7 Milliarden Dollar. Aber: Davon floss nicht einmal eine Milliarde in die Entwicklungsländer.
Für diese wird es nun noch prekärer, da der Gesamtbetrag unterdessen aufgrund der verlangsamten Weltwirtschaft von 7 auf 4, 5 Milliarden geschrumpft ist, wird in einer Analyse der Universität von Cambridge und von verschiedenen Umweltorganisationen vorgerechnet. Folgerung: Die ohnehin schon unterbemittelten Schutzgebiete werden noch stärker unter Geldmangel leiden - und die Biodiversität der Welt droht noch schneller definitiv zu verkümmern. Das sei gut zu verhindern, sagte Aaron Bruner, Ökonomiemanger beim an der Studie beteiligten Wissenschaftszentrum für angewandte Biodiversität (CABS): "Die reichen Länder haben leicht die Kapazität, den Entwicklungsländern das fehlende Geld zu geben." Und auch die insgesamt 23 Milliarden Dollar könnten mit gutem Willen zusammenkommen: "Das ist bedeutend weniger Geld als die Amerikaner jährlich für Soft Drinks ausgeben."
Grosse Hoffnungen in den Tourismus
Einerseits müssten also die reichen Länder als Hauptbezüger und Profiteure der oft viel zu billig eingekauften Rohstoffe ihr finanzielles Engagement in den armen Ländern mächtig verstärken. Und als Gegenleistung müssten die Empfängerländer vermehrt Eigenverantwortung wie beispielsweise die Korruptions- und Armutsbekämpfung wahrnehmen und mehr Selbstinitiativen entwickeln. Die grössten Hoffnungen für Afrika werden zurzeit für die gut zugänglichen Nationalparks in den krisenanfälligen Tourismus gesetzt. Mit gutem Management innerhalb, mit komplementären Ökotourismus-Angeboten ausserhalb der Parks - Ethno-Exkursionen, Wanderungen, Übernachtungen bei Einheimischen etc. -, aber auch mit Privatisierungen möchte man die Parks zu Magnet- und Profitzentren entwickeln, die weit über ihre Grenzen ausstrahlen. Abgelegenen, schwer zugänglichen oder weniger attraktiven Schutzgebieten werden solche Entwicklungen aber vorderhand verwehrt bleiben.
Davon hat es schon viele, stehen doch laut IUCN heute 12 Prozent der Erde unter Schutz. Ein auf den ersten Blick beachtlicher Erfolg, waren doch vor einer Dekade erst 6 Prozent geschützt. Allerdings sagen die Zahlen nichts über die - oft miserable - Qualität des Schutzes aus. Weltweit litten zehntausende von Schutzgebieten unter fehlenden Mitteln wie Geld, Personal, Rangerposten, Fahrzeugen, Treibstoff, Feldausrüstung und Kommunikationsmitteln. Und eben all dies führe mehr und mehr zu irreversiblen Schäden an der Fauna und an der Flora, hiess es in Durban weiter.
11'167 Tier- und Pflanzenarten vor dem Aussterben
Dass die aktive Bewahrung natürlicher Lebensräume dringend notwendig ist, unterstrichen IUCN-Forscher mit Zahlen von 2002: Auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten stehen bereits 11'167 Namen. Hinzu gezählt werden müssen noch alle jene Tiere und Pflanzen, die der Wissenschaft noch gar nicht bekannt sind. Und es in vielen Fällen auch nie werden - weil sie vor ihrer Entdeckung bereits durch menschliche Aktivitäten ausgerottet wurden.
28. September 2003
Weiterführende Links:
PARKGRÜNDUNGEN
rs. "Es gibt immer noch Umweltschützer, die meinen, der einzige Weg die Natur zu schützen sei, Parks ohne Leute zu gründen", kritisierten die erstmals zu einem Weltparkkongress geladenen Vertreter indigener Völker in Durban. Urvölker, die seit Jahrtausenden ihre Heimat bevölkern, würden heute noch gezwungen, ihre Heimat und ihre heiligen Stätten wegen Parkgründungen aufzugeben. Überdies würde auch die bewährten, traditionellen Methoden der Indigenen von vielen Umweltschutzorganisationen und Regierungen nicht akzeptiert.
Scharfe Kritik erntete der langjährige Direktor des Kenya Wildlife Service (KWS) und Politiker Richard Leakey. Der weisse Kenianer hatte erklärt, die Wirtschafts- und Sicherheitsbelange eines Staates dürften nicht durch traditionelle Forderungen von Minderheiten untergraben werden. Das löste den Zorn von Vertretern ethnischer Minderheiten und Urvölkern aus, deren Anliegen diesmal ebenfalls an der Konferenz vorgetragen werden konnten. Ausgerechnet die Maasai-Sprecher Kenias und Tansanias schossen verbal zurück und bezeichneten Leakey "als ein Feind des Volkes".
Mitbürger als Feinde betrachtet
Bereits während seiner Amtsführung als KWS-Direktor habe der Paläontologe und ehemalige Museumsdirektor die Maasai mehr als Feinde denn als Mitbürger behandelt. Die Folge sei eine Eskalation im Konflikt zwischen Mensch und Tier gewesen: "Dr. Leakey gehört zu einer alternden Clique von Umweltschützern, die Parks mit Gewehrläufen schützen will und damit die anhaltenden Konflikte um die kenianischen Parks schüren. Wir glauben, dass diese veraltete koloniale Umweltschutz-Mentalität keinen Platz mehr hat im 21. Jahrhundert", erklärten die Maasai John Letai, Peninah Kisipan und Joseph Simel, der sich auch an der UNO in Genf für die Rechte der afrikanischen Urvölker einsetzt. Haudegen und Politiker Leakey, der Anfang der neunziger Jahre mit gut trainierten Rangern auch das Töten von Elefanten vorab durch schwer bewaffnete Somali in den kenianischen Parks stoppte, verteidigte sich nicht gegenüber den Indigenen und erklärte, er sei als Privatperson angereist.
Damit gaben sich die Maasai nicht zufrieden, obwohl diese als von Norden her eingewanderte Nomaden, die selbst Jäger- und Sammlervölker wie die Hadzabe, Ndorobo und Sandawe verdrängten, nach ursprünglicher Definition kein Urvolk sind. Doch als Ethnie, die sich nun ihrerseits gegen Eindringlinge wie Weisse, Inder, Araber und schwarzafrikanische Volksgruppen wehren muss, bezeichnen sie sich nun selbst als Indigene und machen als solche auch auf internationaler Ebene mobil.
Kenianische Minister fehlten
So liessen die Maasai die Chance in Durban nicht aus, um ihren Standpunkt im Zusammenhang mit dem Naturschutz in Gebieten mit Ureinwohnern klarzumachen: "Die Schutzbemühungen in den Nationalparks des Maasailands waren nur deshalb erfolgreich, weil die lokale Bevölkerung dem Anliegen gegenüber positiv gesinnt war. Die Indigenen müssen aber besser in das Management der Schutzgebiete einbezogen werden. Es geht nicht mehr an, dass man über Parks spricht und dabei die Menschen ignoriert." Pikant: Die neue kenianische Regierung hatte es nicht für nötig befunden, einen Minister an den Weltparkkongress zu schicken - trotz der Tatsache, dass die Parks die wichtigsten Touristenmagnete des Landes sind.