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"Fait accompli-Versuch": Tschudy-Villa nach Abbruch-Versuch.
Teilverwüstete Tschudy-Villa: Ein Zeichen für striktes Regierungs-Handeln
An prominentester Lage in Sissach verlottert seit zwei Jahren ein durch den Eigentümer teilzerstörtes Baudenkmal. Der Schandfleck steht für die Verbindlichkeit im Umgang mit Recht und Gesetz. Die Regierung zog jetzt zum letztmöglichen Zeitpunkt die Notbremse.
Von Peter Knechtli
Seit zwei Jahren staunen Einheimische, Bahnreisende fragen sich, was es mit jenem brachial verunstalteten Haus ganz in der Nähe der Zugstrecke Basel-Olten in Sissach wohl auf sich hat: Die eingerüstete, notdürftig gegen Regen geschützte Ruine wirkt wie ein Überbleibsel nach einem Bombenangriff.
Tatsächlich handelt es sich um das vor genau hundert Jahren gebaute Wohn- und Geschäftshaus der damaligen Weinkellerei Tschudy AG. Die Liegenschaft sticht trotz ihres Alters aus der vorherrschenden Sissacher Mainstream-Architektur hervor: 2003 nahm der Kanton sie ins Bauinventar auf.
Bagger-Aktivität vor Fasnacht und Feiertag
Mit ihrer "starken Präsenz im Ortsbild" stelle die Tschudy-Villa einen "wertvollen Zeugen der Baselbieter Architektur- und Wirtschaftsgeschichte" dar, zitierte die Volksstimme kürzlich die Bau- und Umweltschutzdirektion.
Der heutige Besitzer Laurent de Coulon spricht lieber von einer "Bruchbude". Die denkmalschützerischen Interessen des Kantons sind ihm ein Dorn im Auge. Er möchte auf dem 40 Aren grossen Areal eine "verdichtete Überbauung mit Wohnungen und Gewerbeflächen" realisieren.
Eine Chronologie der Lokalzeitung zeigt auf, wie de Coulon seine Baupläne schrittweise auf seine Weise zu realisieren versucht. 2019 lässt er den markanten Vorbau der Villa abbrechen, bevor es kurz vor den Fasnachtsferien 2022 zu einem "ersten Abrissversuch" kommt. Die Denkmalpflege erlässt vor Ort ein "mündliches Abbruchverbot".
Zwei Monate später, am späteren Nachmittag des Gründonnerstags, schien de Coulon bereit, vollendete Tatsachen zu schaffen: In kürzester Zeit zerstörten Baumaschinen einen Viertel der Liegenschaft. Eine Polizei-Intervention und eine Strafanzeige des Kantons sind die ersten Folgen.
Schutz-Verdikt ist "definitiv"
Einschneidender ist der Entscheid vom 11. März dieses Jahres: Die Kantonsregierung stellt die – faktisch teilabgebrochene – Villa auf der Basis eines Gutachtens und im Einverständnis mit der Gemeinde "definitiv" (wie sie betont) unter Denkmalschutz.
Wer sich in diesem Drama letztlich jedoch juristisch durchsetzt, ist noch offen. De Coulon kann den Schutz-Entscheid anfechten.
Dabei stehen sich zwei grundsätzliche Positionen gegenüber: Die Verfügungsgewalt über Privateigentum und die Rolle des Staates als Hüter öffentlicher Schutzinteressen. Baudenkmäler sind wesentliche lokale Identitätsmerkmale.
Rechtlich und finanziell riskant
Der Blick auf den Streit wirft mehrere Fragen auf: Weshalb stellte die Regierung die Villa erst mehr als zwanzig Jahre nach Inventar-Eintrag unter Denkmalschutz, nachdem schon ein grosser Teil ihrer Bausubstanz dem Abbruchhammer zum Opfer gefallen war? Weshalb ist den Behörden nicht aufgefallen, dass Eigentümer de Coulon den Machtkampf mit dem Staat aufnahm und versuchte, die Villa schrittweise dem Erdboden gleichzumachen?
Aber auch: Aus welchen Motiven liess sich de Coulon mit seinem Herr-im-Haus-Standpunkt auf das rechtlich und finanziell riskante Abriss-Manöver ein?
Tschudy-Villa im Zustand von 2009.
Noch bevor der Rechtsstreit entschieden ist, lässt sich zweierlei feststellen. Erstens ist verwunderlich, dass die Regierung die Liegenschaft nicht längst unter Schutz gestellt und damit dem bauwilligen Eigentümer klaren Wein eingeschenkt hat. Der sehr späte Schutz-Entscheid kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Behörde in letzter Minute einer Blamage vorbeugen wollte: Dem Eingeständnis, einen möglicherweise illegalen Abbruch nicht verhindert zu haben.
Zweitens aber muss der Regierung attestiert werden, dass sie mit ihrem "definitiven" Entscheid letztlich folgerichtig gehandelt hat. Sie hat in einer Zeit, in der die Bevölkerung Orientierung und Massgabe sucht und das Vertrauen in die politischen Führungen bröckelt, ein klares Machtwort gesprochen: Sie hat dem Versuch, ein Fait accompli zu schaffen, einen Riegel geschoben und damit signalisiert, dass auch im Denkmalschutz Privat-Interessen keinen Vorrang vor dem Recht haben.
Auch hat sich die federführende Bau- und Umweltschutzdirektion ein Zeugnis der Unabhängigkeit ausgestellt. Ihr Chef, Regierungsrat und Raumplaner Isaac Reber (Grüne), wohnt auch in Sissach, und es darf angenommen werden, dass er den Weinhändler de Coulon, Inhaber der einheimischen "Buess Weinbau & Weinhandel AG", persönlich kennt. Der studierte Oenologe hatte die Sissacher "Weinkellereien Tschudy AG" im Jahr 1983 übernommen.
Bierbrauer Heinekens Tat
Abbrüche von denkmalwürdigen Häusern mit dem Ziel, vollendete Tatsachen zu schaffen, sind in der Schweiz nicht einmalig. In ländlichen Gebieten ist diese Praxis laut Experten vermehrt festzustellen.
Besonders spektakulär war der Fall der von Heinrich Tessenow erbauten "Villa Böhler" in St. Moritz Ende der achtziger Jahre. Der holländische Bierbrauer Alfred Heiecken liess das Landhaus nach langem Seilziehen überfallartig abbrechen, obschon die Bündner Regierung erst dessen Schutzwürdigkeit untersuchen lassen wollte.
La Torre: Parallele zur Tschudy-Villa
Ein aktuelles Beispiel, das eine Parallele zur Tschudy-Villa darstellt, liefert auch das ehemalige Restaurant/Wohnhaus "La Torre" an der Reservoirstrasse 240 auf dem Basler Bruderholz.
Der neue Liegenschafts-Eigentümer plante einen Abbruch zugunsten von Neubauten. Erst nachdem seine Absichten ruchbar geworden waren und sich eine von 4000 Personen unterschriebene Petition für den Erhalt des repräsentativen Wohnhauses eingesetzt hatten, wurde die Regierung aktiv: Im Herbst 2020 stellte sie das Haus unter Denkmalschutz.
Der Besitzer wehrte sich bis vor Bundesgericht gegen die Unterschutzstellung – erfolglos. Während der rechtlichen Auseinandersetzung liess er die Immobilie verlottern und verwildern, Sprayereien verunstalteten die Fassaden. Laut einem Augenzeugen bietet der ehemalige Restaurant-Teil im Innern des Gebäudes heute ein Bild der "ziemlichen Verwüstung".
Staatlicher Kauf "kein Thema"
Kürzlich war die "Gammel-Villa" (so die bz) in den rosigsten Farben ("Traumvilla auf dem Bruderholz in Basel") und nach aussen hin etwas herausgeputzt zum Verkauf ausgeschrieben. Dass der Kanton Basel-Stadt nun aber gemäss Forderungen als Käufer einspringt, ist laut Immobilien Basel derzeit "kein Thema".
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22. März 2024
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