Wahlen in Basel: Coiffeur Carlo weiss Bescheid
"Der Cramer wird der neue Jans. Der kann einfach alles", schwärmt Carlo.
"Ich hätte die Geschichte auf Lager, wie Conradin sich an morgen erinnert oder wie er den toten Winkel wiederbelebte. Aber zuerst: Was darfs denn heute sein, Carmela?"
"Waschen, schneiden, legen", antworte ich.
Carlo ist schon lange der Parrucchiere meines Vertrauens. Eine begnadete Plaudertasche. Derart eloquent, dass die Menschen unter seiner Schere regelmässig Geheimnisse preisgeben. Mein natürlicher Verbündeter. Als Korrespondentin von "La Monda – il mondo femminile" kann ich seriöse Quellen gut gebrauchen. Und natürlich interessieren die Basler Regierungswahlen ganz Rom. Ganz Italien.
"Ja, der Cramer wird wohl den Jans machen und das Präsidium übernehmen", sage ich, "mich würde aber viel mehr interessieren, wer den freien Platz im Rat ergattert. Was hältst du von Urgese?"
"Luca? Viel zu eitel."
"Viel zu Scheitel!", stimme ich zu.
"Seit dem ersten Fotoshooting kommt der Terzo zweimal die Woche vorbei, damit ich ihm die Haare mache. Inzwischen trägt er sogar diese doofen Dackelsocken, die ihm Floss-Veranstalter Tino Krattiger geschenkt hat."
Begnadete Plaudertasche: Carlo. © Illustration by Alessandro Ballato
Ich entgegne: "Die hat Cramer auch bekommen."
"Aber er trägt sie nicht."
Ich frage: "Thiriet?"
"Der hatte zwar auch welche, weil Capitano Krattiger ihn zunächst für einen Mitte-Politiker gehalten hat. Er nahm sie ihm dann aber wieder weg; war ihm doch zu viel Velo."
"Schon klar. Aber als Kandidat?"
"Ach, Jérôme. Ein Lacher, ein grossartiger noch dazu. Aber ein Regierungsrat? Der bringt doch Zwiebeln zum Weinen."
Ich frage mich, gibts nicht im Baselbiet auch einen easy Regierungsrat, der für sein Lachen bekannt ist? Ein gutes Omen für Thiriet? Zwei Grüne, zwei Lacher.
"Ein Handlanger. Könnte allerdings nützlich sein, der freundliche Mustafa."
"Und Atici?", werfe ich ein. "Hast du sein Plakat gesehen? Wie er uns die Hand reicht?"
"Ein Handlanger. Könnte allerdings nützlich sein, der freundliche Mustafa. Einer, der Conradin unterstützt, so gut es eben geht. Conradin, der mit dem Durchblick."
"Ja, ja. Sogar Cramers Blinddarm kann sehen. Du bist voreingenommen, Carlo."
Er zuckt mit den Schultern. "Wieso geben wir eigentlich nicht einer Frau die Chance? Zum Beispiel dieser da aus Liestal. Die wollte schon letztes Jahr in den Regierungsrat."
Ich frage: "Löckchen Sollberger? Die kommt schlicht aus dem falschen Kanton. Unwählbar."
"Na und, Jositsch nimmt doch auch an jeder Bundesratswahl teil."
"Schau an, den Jositsch nennst du nicht beim Vornamen."
"Ist ja auch nicht mein Kunde."
"Luca ist der Kurier der Steuerzahler, ein Lobbyist."
"Und Sibel Arslan?"
"Auch nicht meine Kundin, wie man an ihrer Schmalztolle erkennen kann."
Im grossen Ganzen würde ich aber sagen, Carlo frisiert die Politik. Zumindest die hiesige.
Ich versuche es nochmals: "Also mir wären die Unternehmer Thiriet und Atici lieber als der Funktionär der Handelskammer. Der Atici hat die erste Dönerbude in Basel eröffnet, Thiriet ist der Erfinder des Lastenvelo-Parkplatzes. Meilensteine."
"Klar, Luca ist der Kurier der Steuerzahler, ein Lobbyist. Nicht mit dem Durchblick gesegnet, der Conradin auszeichnet. Es ist aber auch schwer, einen Menschen von etwas zu überzeugen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht."
"Dennoch ist Urgese nicht schädlicher fürs Klima als dein Conradin. Gerade kürzlich hat die Basler Ausgabe des Tages-Anzeigers …"
"... die mit den Zürcher Todesanzeigen?"
"Und Jérôme lässt sich mit dem Helikopter ins Pfadilager fliegen."
"Genau. Jedenfalls hat sie aufgedeckt, dass Erziehungsdirektor Cramer in seinem Büro die Annehmlichkeiten einer nicht mehr erlaubten Klimaanlage genoss, während die Kinder Basels in überhitzten Schulräumen Prüfungen schreiben mussten. Klimaanlage versus Klimalage."
Carlo ergänzt: "Und Jérôme lässt sich doch tatsächlich mit dem Helikopter ins Pfadilager fliegen. Ein Klimasünder. Sollte der jemals gewählt werden, empfehle ich ihm, künftig darauf zu verzichten."
Ich nicke: "Nicht so umweltfreundlich, wie wir das von einem Grünen erwarten würden."
Carlo schüttelt heftig den Kopf, als suche er das Schleudertrauma. "Es wurden schon ganze Regierungen per Helikopterabsturz umgebaut."
Es verdreht mir die Augen: "Wir sind doch hier nicht in Chile oder Russland!"
"Da hast du Recht, Carmela, wahrscheinlich hätte die Amherd den nötigen Helikopter nicht einmal in petto."
"Du bist mir immer noch eine Antwort schuldig. Womit wird denn nun der Wahlkampf entschieden, Carlo?"
"Mit alles."
22. Februar 2024