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"Das kann ich mir nicht erklären": Erste Staatsanwältin Angela Weirich
"Es war sehr schwierig, eine konstruktive Diskussion zu führen"
Die Erste Staatsanwältin des Baselbiets über ihre umstrittene Wiederwahl und den Dauerkampf mit ihrer Aufsichtskommission
Von Peter Knechtli
Gegen den Willen hauptsächlich der SVP hat Angela Weirich, die Erste Staatsanwältin des Baselbiets, heute Donnerstag ihre Wiederwahl geschafft. Im OnlineReports-Interview nimmt sie jetzt erstmals ausführlich zum erbitterten Kampf mit der Aufsichtskommission Stellung. 20 Prozent ihrer Arbeitzeit setzte sie letztes Jahr für diese Fachkommission ein.
OnlineReports: Der Landrat hat Sie heute als Erste Staatsanwältin durch Wiederwahl für eine vierjährige Amtsperiode bestätigt. Haben Sie damit gerechnet?
Angela Weirich: Ja. Ich konnte im Vorfeld schon einiges vernehmen, insbesondere dass die SVP den Rückweisungsantrag stellen wird, der mutmasslich keine Mehrheit finde. Das hat sich nun im Landrat auch bestätigt.
OnlineReports: Wir wissen, dass es Zeiten gab, in denen Sie an Ihrer Wiederwahl gezweifelt haben.
Weirich: Ja. Es gab teilweise viel Kritik an der Staatsanwaltschaft und an meiner Person, die sich in gewissen Medien niedergeschlagen hat. Bei dieser Ausgangslage konnte ich nicht sicher sein, ob sich diese Kritik nicht auf das Wahlergebnis niederschlagen wird.
OnlineReports: Die Fachkommission hat die Baselbieter Staatsanwaltschaft über Jahre hinweg massiv kritisiert. Dieses Jahr erstrecken sich die Vorwürfe über 81 Seiten. Funktioniert die Staatsanwaltschaft so schlecht, dass hinter einem solcher Umfang ein Skandal vermutet werden könnte?
Weirich: Schauen Sie, die Meinung der Fachkommission ist eine Meinung. Daneben gibt es aber auch andere, die der Staatsanwaltschaft und mir persönlich ein gutes Zeugnis ausstellen – wie zum Beispiel der für uns positive Bericht des ehemaligen Leitenden Oberstaatsanwalts des Kantons Zürich, Andreas Brunner.
"Es gab sicher Momente, in denen
ich mich fragte, weshalb ..."
OnlineReports: Wieviel Aufwand in Stunden, Tagen oder Wochen haben Sie als Erste Staatsanwältin mit Abklärungen und Berichten zuhanden der Fachkommission und der Regierung dieses Jahr geleistet?
Weirich: Der Aufwand war aber sehr gross. Ich musste dafür rund 20 Prozent meiner gesamten Arbeitszeit einsetzen.
OnlineReports: Erklären Sie uns bitte, wie sich die hartnäckige Kritik der Fachkommission auf das Klima innerhalb der Staatsanwaltschaft ausgewirkt hat.
Weirich: Es war für viele Mitarbeitende nicht immer einfach, zumal diese Kritik oft nicht nachvollzogen werden konnte. Wir haben einfach versucht, kontinuierlich gute Arbeit zu leisten.
OnlineReports: Gab es Personen, die aufgrund des Kritik-Hagels resignierten und gekündigt haben oder eine Kündigung in Erwägung zogen?
Weirich: Das hat es gegeben. Ein Mitarbeiter hat mir dies einmal als einen der Gründe für eine Kündigung persönlich mitgeteilt.
OnlineReports: Gab es Momente, in denen Sie persönlich den Bettel hinschmeissen wollten?
Weirich: Hmm. Es gab sicher Momente, in denen ich mich fragte, weshalb der grosse Aufwand und das Engagment für die Staatsanwaltschaft und den Kanton Baselland nicht mehr Effekt in der öffentlichen Wahrnehmung auslösten.
OnlineReports: Gab es seitens Ihrer Kritiker auch Druckversuche auf Sie?
Weirich: Was meinen Sie mit Druckversuchen? ...
OnlineReports: ... beispielsweise, dass Sie Strafverfahren gegen gewisse Personen nicht an die Hand nehmen.
Weirich: Nein, das gab es nicht ...
OnlineReports: ... oder Versuche, auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Einfluss zu nehmen?
Weirich: Nein, auch das gab es nicht.
"In der Aufgaben- und Rollen-Definition
gab es verschiedene Auffassungen."
OnlineReports: In der Öffentlichkeit erscheint der Streit zwischen Fachkommission und Staatsanwaltschaft schon lange als komplett nutzlos: Die Fachkommission kritisiert – die Staatsanwaltschaft weist die Kritik, unterstützt von Sicherheitsdirektor Isaac Reber, zurück. Von einer konstruktiven Diskussion ist längst nichts mehr zu spüren.
Weirich: Ich stimme zu, dass es sehr schwierig war, eine konstruktive Diskussion zu führen. In der Öffentlichkeit wurde aber abteilweise zu wenig wahrgenommen, dass die Staatsanwaltschaft Empfehlungen der Fachkommission immer wieder unterstützt und die Regierung Empfehlungen auch übernommen hat.
OnlineReports: Hat die Fachkommission ihren Auftrag zur Beratung der Regierung nicht masslos überschätzt?
Weirich: Es gab in der Definition von Aufgaben und Rollen sicher verschiedene Auffassungen.
OnlineReports: Die Formulierungen der Fachkommission ("Die Erste Staatsanwältin sei anzuweisen ...") lassen die Meinung erkennen, Sie als Erste Staatsanwältin seien widerborstig und müssten ersetzt werden. Weshalb diese merkwürdige Fehde auf persönlicher Ebene?
Weirich: Das kann ich mir nicht erklären. Ich habe mich immer bemüht, nicht auf der persönlichen Ebene zu agieren. Es gab Diskussionen auf der Sachebene, die ich aber aus meiner Sicht für normal und üblich halte in Fragen, bei denen es mehrere mögliche Vorgehensweisen gibt. Es oblag der Regierung als Aufsichtsbehörde, sich für die nach ihrer Meinung beste Vorgehensweise zu entscheiden. Trotzdem brachte die Fachkommission bereits entschiedene Themen wiederholt in gleicher Weise zur Diskussion.
OnlineReports: Ein früherer Basler Strafgerichtspräsident übte OnlineReports gegenüber klare Kritik an der Zusammensetzung der Fachkommission. Wenn wie Enrico Rosa der Präsident der Abteilung Strafgericht am eigenen Kantonsgericht dieser Kommission angehöre, sei ihre "Unabhängigkeit nicht mehr gegeben". Teilen Sie diese Auffassung?
Weirich: Ich bin der Meinung, dass es rechtsstaatlich wichtig ist, dass es in der Aufsicht nicht zu einer Vermischung von unterschiedlichen Rollen kommt. Die landrätliche Geschäftsprüfungs-Kommission hat es einmal mit der Aussage auf den Punkt gebracht, dass keine Mitspieler auf dem Feld zu Assistenz-Schiedsrichtern gemacht werden sollen.
OnlineReports: In Basel-Stadt gehört kein amtierender Strafrichter der Aufsichtskommission über die Staatsanwaltschaft an.
Weirich: Damit sind Rollenkonflikte sicher ausgeschlossen, was auch anzustreben wäre.
OnlineReports: Die Baselbieter Fachkommission, die Ende September kollektiv zurückgetreten ist, wirft der Staatsanwaltschaft vor, sie sei zu wenig effizient.
Weirich: Wir haben beweisen können, dass wir schon seit 2011 trotz praktisch gleichem Personalbestand, umfangreichen Reorganisationen und der Einführung eines neuen Strafprozessrechts sehr effizient arbeiten. Schon im ersten Jahr haben wir mehr Fälle erledigt als alle Vorläufer-Organisationen zusammen.
OnlineReports: Die Staatsanwaltschaft führe unkorrekte Fallstatistiken.
Weirich: Diese Aussage ist mir bekannt – und ein Rätsel.
OnlineReports: Sie als Erste Staatsanwältin müssten mehr Fälle vor Strafgericht vertreten.
Weirich: Die Führung und Bearbeitung von Fällen ist eine Aufgabe nebst zahlreichen weiteren. Ich nehme diese immer wahr, wenn mir meine Leitungsaufgaben dafür Zeit lassen.
"Dieser Fall ist zu lange
in der Staatsanwaltschaft hängig."
OnlineReports: Aus Justiz und Politik hörten wir häufig die Meinung, es gebe eine Seilschaft von Richter Enrico Rosa über den unabhängigen Grünen Jürg Wiedemann zu BaZ-Redaktor Daniel Wahl, der dann über die Staatsanwalt bös schreibe. Ist an dieser Seilschaft etwas dran?
Weirich: Das kann ich nicht beurteilen.
OnlineReports: Am Mittwoch warf die BaZ der Staatsanwaltschaft – ohne allerdings ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben – vor, sie gebe einem "Sexverbrecher" einen "Freipass". Als Beleg für diese Behauptung führt er den Kommentar der Fachkommission an, das Verfahren sei "nach mehr als 6 Jahren (!) nicht wirklich geleitet worden". Ein in der Tat gravierender Vorwurf.
Weirich: Dieser Vorwurf ist in der Tat gravierend. Es stimmt auch, dass dieser Fall zu lange in der Staatsanwaltschaft hängig ist. Es handelt sich um eine der noch wenigen Altlasten, die älter als drei Jahre sind. Wir sind bestrebt, diese Fälle kontinuierlich abzubauen. Von einem "Freipass" kann aber keine Rede sein. Mit Rücksicht auf das laufende Verfahren kann ich zu diesem Einzelfall jedoch keine Ausführungen machen.
OnlineReports: Im Streit um die Zentrale Arbeitsmarkt-Kontrolle (ZAK) im Baselbiet kam es vor mehr als zwei Jahren zu einer Strafuntersuchung, aber bisher weder zu einer Anklage noch einer Verfahrens-Einstellung. Das ist doch für die potenziell Betroffenen belastend.
Weirich: Lange Verfahrensdauern sind sicher belastend. Auch in diesem Fall bemühen wir uns um einen raschen Verfahrensabschluss. Es mussten unter anderem zahlreiche Unterlagen erhältlich gemacht, gesichtet und ausgewertet werden.
OnlineReports: Andreas Brunner, ehemals Leitender Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich, kommt zum Schluss, die Baselbieter Staatsanwaltschaft sei "weder eindeutig überdotiert noch eindeutig unterdotiert" und empfiehlt, "von weiteren Aufträgen in diese Richtung abzusehen". Am Schluss steht doch Aussage gegen Aussage und die Bürger im Kanton wenden sich ohne Erkenntnisgewinn frustriert und staatsverdrossen ab.
Weirich: Ich bedauere diesen Umstand sehr und habe die Hoffnung, das sich die Situation künftig nachhaltig beruhigt. Für einen konstruktiven Austausch mit Aufsicht und Kritikern stehen wir weiterhin zur Verfügung.
OnlineReports: Welche Form einer unabhängigen Aufsicht schlagen Sie vor?
Weirich: Es gibt sehr viele unterschiedliche Varianten der Staatsanwaltschaft-Aufsicht. Der Landrat hat am bisherigen Modell aktuell Modifikationen vorgenommen durch die personelle Besetzung der Fachkommission und Informationsflüsse. Jetzt schauen wir, wie sich diese Lösung bewährt.
16. November 2017
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