... Qufu: Konfuzius
Qufu ist eine kleinere Stadt mit einer halben Million Einwohnern in der chinesischen Provinz Shandong (88 Millionen Einwohner). Das Herausragende an diesem besonders im Herbst lieblichen Ort ist die Tatsache, dass ein Fünftel der Menschen dort den gleichen Namen trägt. Und zwar nicht irgendeinen Namen, sondern Kong. All die vielen Kongs sind stolz auf Herkunft und Namen. Nicht ohne Grund.
Kong Zi - westlich Konfuzius - war nämlich ein grosser Denker, Philosoph, Pädagoge und Begründer einer Staats- und Morallehre, die bis auf den heutigen Tag in China, aber auch in Vietnam, Korea und Japan wirksam ist. Meister Kong lebte von 551 bis 479 v. Chr. im Staate Lu, einem der vielen Fürstentümer und Königreiche Chinas. Kong war Zeitgenosse von Sokrates, Buddha und Laozi.
Zu Lebzeiten Kongs war China in Krieg, Chaos und Unruhen verstrickt. Die Lehre von Konfuzius kann deshalb am besten als Antwort auf die profunde Krise der damaligen chinesischen Gesellschaft begriffen werden. Deshalb stehen Ordnung, Harmonie, Konsens sowie hierarchischer Staats- und Gesellschaftsaufbau im Mittelpunkt von Meister Kongs Staatslehre. Er griff dabei nicht auf das historische, sondern auf das legendäre China zurück. Früher war mit andern Worten alles besser. Jeder hatte im Leben seinen genau definierten Platz. Der Untertan ist dem Herrscher gehorsam, der Sohn dem Vater, die Frau dem Mann, der jüngere dem älteren Bruder. Kindespietät und Achtung der Ahnen (Eltern) sind weitere bestimmende Merkmale des Konfuzianismus. Der Herrscher regiert nach Meister Kong durch Tugend und Vorbild. Kann er das nicht einhalten, verliert er das "Mandat des Himmels". Der Konfuzianismus, seit der Han-Dynastie (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) bis auf den heutigen Tag Bestandteil des chinesischen Denkens, propagiert mit andern Worten eine Politik für das Volk, nicht aber mit dem Volk.
Wobei wir bei der Gegenwart angekommen sind. Nicht etwa, weil der Konfuzius-Tempel im Zentrum des modernen Qufu, akkurat renoviert, ein lohnendes Tourismusziel wäre - was es natürlich ist -, nicht weil der Konfuziuswald am nördlichen Rand von Qufu ein einzigartiger Garten mit 100'000 zum Teil uralten Bäumen ist und wo Meister Kong und nach ihm Kong-Generation um Kong-Generation begraben liegt.
Die Gegenwart holt vielmehr die Vergangenheit ein auf echt chinesische Art. Vom 15. bis zum 21. Oktober nämlich findet der alle fünf Jahre staatfindende Kongress der Kommunistischen Partei Chinas statt. Nun erwartet man natürlich von einer allmächtigen KP nichts mehr aber auch nichts weniger als Gleichheit, eine klassenlose Gesellschaft. Unter dem Grossen Vorsitzenden Mao Tse-tung war das auch so, und deshalb ist es kein Wunder, dass Meister Kong während der Grossen Proletarischen Kulturrevolution (1966-76) geistig verbannt worden ist. Wie anderePolitische Gegner wurde damals auch der legendäre Premierminister Tshou En-lai kurze Zeit als Anhänger Kong Zis - was er wohl auch war - verurteilt.
Heute nun, in einer Zeit rasanten wirtschaftlichen Wachstums und von immer grösser werdenden gesellschaftlichen Gegensätzen, erinnert sich der jetzige Staats- und Parteichef Hu Jintao an den grossen chinesischen Denker längst vergangener Zeiten. Die Schaffung einer "harmonischen Gesellschaft" will Hu als Ziel für die Zukunft festlegen. Der XII. Parteitag wird das neben vielem andern beschliessen.
Ach, wie viel lieber würde ich jetzt in Qufu im Konfuziuswald lustwandeln. Doch Pflicht ist, dem vorausbestimmten Geraune von über 2'000 Partei-Delegierten unter Führung von Hu Jintaos Politbüro in der Grossen Halle des Volkes am Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen aufmerksam zuzuhören und alles dann zu analysieren. Hilfe! Meister Kong stehe mir bei!
15. Oktober 2007