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Ostafrikas Nomaden: Zukunft des unaufhörlichen Leidens
Unvorstellbar, was sich zurzeit in Ostafrika abspielt. Die Gründe für die "grösste Hungersnot seit 60 Jahren" sind vielfältig. Am schlimmsten betroffen sind zurzeit die von den Regierungen diskriminierten "Primitiven" – die Nomadenvölker.
Basel, 30. Juli 2011
Nichts zu essen, kaum mehr etwas zu trinken. Der Körper ausgemergelt und verstaubt, mit rissiger Lederhaut und ohne Kraft. Ein Überlebenswille, der sich in Apathie aufgelöst hat; sie starrt aus den leeren Augen der Verhungernden.
Überall die Zeichen des Todes. Sterbende Kinder, sterbende Frauen und Männer, sterbende Rinder, Ziegen, Esel, Schafe und Wildtiere. Keine Hoffnung mehr, nur noch der Himmel mit dieser unbarmherzigen Sonne, die das ohnehin karge Land in lebensfeindliche Dürre- und Staublandschaften verwandelt. Da gibt es sehr lange Zeit nichts mehr zu ernten, nichts mehr zu essen.
Die durch die Halbwüsten taumelnden Menschen zeigen es: Ostafrika ist am verdorren. Das gleiche Ostafrika, das vor kurzem noch in vielen Gegenden unter Wasser stand. Dürren und Sintfluten wechseln sich ab, immer schneller, immer heftiger. Menschen, Tiere und die Natur können sich nicht mehr erholen. Ihr Überlebenskampf kennt keine Pausen mehr. Sicher scheint nur noch die eine, die ewige Pause – der Tod. Jetzt schaut die Welt gerade wieder einmal verstört auf das nördliche Ostafrika. Auf Somalia, Äthiopien, Sudan, Djibouti, Kenia, Uganda. Dass auch in Tansania und Mosambik die Regen fehlen, wird (noch) nicht zur Kenntnis genommen.
Ursachen der Not: Zahlreich und verzahnt
Die Tragödie versuchen Staaten, UNO und Hilfswerke in Zahlen zu fassen: 11 bis 13 Millionen Menschen, wahrscheinlich noch wesentlich mehr, sehen dem Verhungern entgegen. "Die schlimmste Dürre seit 60 Jahren", vergleichen Statistiker und erinnern sich Alte.
Und warum? Was ist der Grund solcher Katastrophen? Es gibt nicht einfach einen, wie oft simpel erklärt wird, es gibt viele Gründe. Manche haben nur indirekt mit Afrika zu tun, aber alle sind sie ineinander verzahnt. Zum Beispiel der im Osten Afrikas bereits merkbare Klimawandel, die Kriege um Lebensgrundlagen, Rohstoffe und Einfluss, die ungebremste Bevölkerungszunahme oder die globale Aufrüstung und skrupellose Spekulation, die Finanz-Milliarden verschlingen.
Aber auch die "Politik der Marktöffnung" durch bilaterale Abkommen, IWF und Weltbank, die Länder mit einstigen Lebensmittelexporten Nahrungsimporteuren degradierten. Oder die ethische und religiöse Untoleranz in den Staaten selbst, "Verwicklungs"- statt Entwicklungshilfe, Korruption und nicht zuletzt die Politik der Zentralregierungen und Sesshaften, welche die in diesen Ländern lebenden Nomaden als Menschen zweiter Klasse behandeln. Diesmal, im Zusammenhang mit der jüngsten Hungersnot, sei das Augenmerk auf sie, die Nomaden, gerichtet. Sie bilden in den wenig wirtlichen Gegenden Ostafrikas immer noch die grösste und der Natur am besten angepasste Bevölkerungsgruppe.
Nomaden: Allen Staaten ein Dorn im Auge
Hungersnöte in Ostafrika könnten verhindert werden, wenn Regierungen und Behörden "mehr Respekt gegenüber den Nomaden" zeigen und schon erste Anzeichen für Versorgungsschwierigkeiten ernst nehmen würden, meint etwa Ulrich Delius, der Afrika-Spezialist der "Gesellschaft für bedrohte Völker Deutschland". Wenn Viehdiebstähle massiv zunehmen und sich Angehörige von Nomadenvölkern um Weideland und Brunnen streiten, sei dies ein "deutliches Indiz" für wachsende Umweltprobleme. Darauf haben in Ostafrika Menschenrechts- und Hilfsorganisationen schon früh hingewiesen.
Doch statt sich mit den Problemen der vergleichsweise genügsamen Nomaden zu auseinanderzusetzen, pochen die Regierungen Ostafrikas auf das Sesshaftmachen dieser Völker, ohne ihnen eine adäquate "Ersatz-Existenz" für die aus Regierungssicht "primitive" Wirtschaftsweise bieten zu können. Kenner der landwirtschaftlichen Verhältnisse sind sich aber einig, dass in den häufig extrem trockenen Regionen nur die Nomadenvölker überleben können. Und dass diese mit ihrer Vieh- und Milchproduktion gerade durch ihre Lebensweise einen wichtigen Beitrag zur Volkswirtschaft leisten.
Unabhängige Landwirtschaftexperten und Ethnologinnen machen sich darum für die Nomaden stark, und verlangen mit diesen zusammen langfristige Programme für die Förderung ihrer Wirtschaftsform mit beispielsweise mehr Brunnen und Wasserpumpen, mehr Fortbildung, Impfungen für ihre Viehherden und den freien Zugang zu Weiden in den Nachbarsländern, die bei fehlenden Regenfällen als Ausweichflächen genutzt werden können.
Zuerst die Nomaden, dann wir alle
Stattdessen werden Nomaden – allen Staaten dieser Welt ihrer "Unkontrollierbarkeit" stets ein Dorn im Auge – bei Grenzübertritten oft verhaftet oder kurzerhand erschossen. Besonders jetzt, wo sie der Dürre wegen in Nachbarländern Schutz suchen. Auch wenn eine bessere Respektierung der Nomadenvölker und ihrer (oft zu grossen) Tierherden noch keine drohende Hungersnot vermeiden kann – gemildert könnte sie jedenfalls werden.
Um ein Massensterben zu verhüten, werden allein für die kommenden Wochen in Somalia, Uganda, Kenia und Äthiopien 400 Millionen Euro für Nothilfe gebraucht. Dies zu einer Zeit, wo das Geld der Staatengemeinschaft auch für derartige Hilfeleistungen knapp wird. Und was wird später sein, wenn die Welt ihre Aufmerksamkeit wieder anderen Problemen zuwendet, in Ostafrika neue riesige Flüchtlingslager zurückbleiben, die Felder immer noch keine Früchte tragen und die Abertausenden verreckter Rinder nicht ersetzt werden können? Was dann?
Ostafrika und seinen vielen verschiedenartigen Nomadenvölkern (Bild: Turkana in Nordkenia) droht eine Zukunft des unaufhörlichen Leidens. Delius sieht die nächste Hungerkatastrophe bereits vorprogrammiert: "In drei Jahren könnte die Region erneut unter massiver Dürre leiden." Mit dieser Befürchtung steht er nicht allein. Denn vor einem halben Jahrhundert mussten die Menschen in Ostafrika alle zehn Jahre mit einer schlimmen Dürre rechnen. Diese Zyklen haben sich enorm verkürzt: Heute droht alle drei Jahre eine tödliche Trockenheit. Für eine Erholung bleiben da Mensch und Natur kaum mehr Zeit.
Etwas, das auch uns im Norden droht – der Klimawandel, egal ob natürlich oder von Menschen verursacht - trifft letzten Endes und ausnahmslos alle.
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"Millionen von Milliarden"
Ich habe heute gelesen, dass die Nationalbank 1025 Tonnen Gold besitzt. Der Goldpreis liegt bei 41'000 Franken(/kg. Jeder kann selbst ausrechnen, dass man den Wert dieses Goldes beinahe nicht ausrechnen kann. Wieviele Goldreserven hat die Staatengemeinschaft zusammen? Ein unvorstellbare Summe, Millionen Milliarden. Ich weiss nicht einmal, wie man diese Zahlen nennt.
Natürlich hat keiner die Macht, einfach 400 Millionen Euro aus der Staatskasse zu nehmen, und diese zur Verfügung zu stellen. Aber es muss machbar sein, dass die Staatengemeinschaft diesen Betrag sofort zu Verfügung stellt. Die Gründe, warum es zu einer solchen Trockenheit kommen kann, sind nicht abschliessend zu klären. Es gibt aber sicherlich Massnahmen, die in diesen Ländern helfen können, dass solche Dürren überstanden werden können. Auch diese Investitionen sind für die Weltgemeinschaft ein Fünferli aus dem Hosensack. Die Solidarität der Staaten ist jetzt gefragt!
Markus Schöpfer, Allschwil
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