Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Glaube Liebe Hoffnung"
Autor: Oedön von Horváth
Regie: Hans Hollmann
Bühne: Hans Hoffer
Mit Isabell Alder, Klaus Bauer, Urs Bihler, Inga Eickemeier, Martin Engler, Steve Karier‚ Chantal Le Moign, Ladislaus Löliger, Barbara Lotzmann, Hubert Kornlachner, Florian Müller-Morungen, Katharina Schmidt, Bastian Semm, Sandro Tajouri
Bis in die Eingeweide
Wer hier in Basel lebt und Theater liebt oder lieben lernen will, der sollte diese Aufführung auf keinen Fall verpassen. Bei allem, was dazu gesagt werden kann, ist "Glaube Liebe Hoffnung" in der Regie von Hans Hollmann eine hochpräzis durchgeführte Schauspiel-Inszenierung, wie sie als Qualitätsarbeit seit mehreren Jahren hier nicht mehr zu erleben war.
Nichts ist dem Zufall überlassen: Jede Handgeste, jede Betonung ist definiert, stilisiert – und kühl gesetzt. Was sagt die Maria als der Polizist sie wegen Diebstahl verhaftet? "Ich weiss ..." Pause! "... gar nichts!" So legt ihre Aussage die Eingeweide frei.
Die Eingeweide freilegen: Das hat Hollmann als Überbild von Horváths Drama ausgemacht. Ihre Leiche will die junge Elisabeth (Eickemeier) den Präparatoren des anatomischen Instituts gegen Geld anbieten, weil sie kein anderes Mittel mehr weiss, um an Geld zu kommen. Bald ist sie vor aller Welt aufgerieben als Lügnerin und Verbrecherin, und landet im Gefängnis. Ihr Liebhaber trennt sich von ihr. Der Schutzpolizist sieht seine Karriere gefährdet. Ihre Verstrickungen beginnen damit, dass sie als Dessous-Hausierin keinen Gewerbeschein hat. Der kostet halt 150 Mark: Ein reales Kleine-Leute-Drama, das Horváth am Vorabend des Nazi-Reichs 1933 erzählt bekam und in knappe und prägnante Dialoge fasste. Der Autor legt auch das Nazitum mit seinen Innereien offen wie biedersinnige Kleinbürger-Kälte, Militarismus, materielle Not.
Aber Hollmann will nicht nur das Drama sondern auch seine Auskonzeptionierung zeigen. Wie im japanischen No-Theater unterbrechen trockene Klack-Geräusche die Szenen. Er lässts gruseln: In Frau Prantls Dessous-Laden gibt die Drehpuppe nicht nur den Rücken frei sondern auch Lunge, Milz und Leber. Bitter krächzen Dreissiger-Jahre-Schlager und Märsche in den kurzen Umbaupausen. Die Bühnenwelt ist ein grosser, schwarzer Block, und draussen davor steht Elisabeth. Links oben öffnet sich die Tür des Präparators, links unten Frau Prandls Dessous-Laden, rechts unten Elisabeths abgeschabtes Zimmer, und in der Mitte die Polizeiwache, der Ort des Finales. Dort stirbt sie, nachdem sie sich in einer November-Nacht in den Fluss geworfen hatte. Es ist die stärkste Szene des Abends.
Diese Welt lässt keine Luft. Alle sind ins System des schwarzen Blocks eingespannt. Jeder kämpft ums Ueberleben. Auch Elisabeth. Aber nicht die Elisabeth von Inga Eickemeier. Hollmann hat sie auf nervöse Apathie eingestellt. Die junge Schauspielerin setzte sich voll ein, und bekam den grössten Applaus. Florian Müller-Morungen überzeugte als Vizepräparator, Hubert Kronlachner als Amtsgerichtsrat und Klaus Bauer als Oberinspektor. Steve Karier als Präparator zeigt seine disziplinierteste Leistung seit seinem Anfang hier in Basel, ebenso Martin Engler als Schutzpolizist. Zwar profitieren alle Schauspieler von der strengen Spiel-Architektur, die ihnen Hollmann gesetzt hat, aber nicht alle kommen über sie hinaus.
Das Publikum applaudierte lange und kräftig. Hollmanns Rückkehr nach über zehn Jahren holte Basler Prominente wie Esther Grether, Moritz Suter, Hans-Peter Platz oder Peter Blome ins Premieren-Publikum des Schauspiels zurück.
27. April 2008
"Es werden uns Karikaturen vorgeführt"
Ohne Zweifel enthält diese Inszenierung starke Szenen, streckenweise wirkt sie aber auch sehr intellektuell und dadurch sehr kalt.
Gerade am Anfang hat Hans Hollmann die Stilisierung meinem Eindruck nach deutlich übetrieben. Da werden uns keine Menschen vorgeführt, sondern Karikaturen. Die übertriebene, einstudierte Gestik hat etwas Puppenhaftes, so als spielten dort nicht Menschen aus Fleisch und Blut. Und diese gefühllose Überzeichnung wird ziemlich schnell langweilig.
Wirklich grandios ist die Inszenierung nur an den Stellen, an denen sie den rein analytischen Blick aufgibt und sich die nötige Portion Einfühlung erlaubt: in der Schlange vor dem Wohlfahrtsamt, in Elisabaths Kammer und - das ist wirklich ein unvergessliches Theatererlebnis - bei Elisabeths Tod auf der Polizeiwache.
Johannes Nordiek, Schopfheim (D)