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Sie schreiben Communiqués – ohne zu kommunizieren
Basel, 17. Februar 2021
Als Beobachter der regionalen Polit-Szene während über 45 Jahren bleibt mir eine fatale Feststellung nicht erspart: Noch nie haben sich öffentliche Körperschaften, Gemeinden, Kantone, Institutionen, Räte und Kommissionen mit "Medienmitteilungen" die Finger so wundgeschrieben wie heute. Aber gleichzeitig war die Publikationsrate noch nie so gering wie heute. Das bedeutet: Tag für Tag, Stunde für Stunde schreiben zahllose bezahlte Communiqué-Komponisten für den Papierkorb.
Genauso wie in den Kantonsparlamenten die Parteien ihren Daseins-Nachweis mit einer zunehmenden Flut an Vorstössen zu erbringen versuchen, scheint die "Medienmitteilung" für die oben genannten Gremien immer häufiger die eigentliche raison d'être zu ein. Ich weiss, wovon ich spreche.
Als Empfänger von vermutlich mehreren zehntausend Communiqués im Verlaufe meines Berufslebens drängt sich mir die Erkenntnis auf, dass öffentliche Verlautbarungen immer mehr als Lebenszeichen von Institutionen gedeutet werden müssen: Schaut her, es gibt uns noch! So muss die Medienmitteilung unabhängig von ihrer Relevanz und ihrer formalen Qualität raus, möglichst wiederkehrend. Nur: Sie können's immer noch nicht.
Stellvertretend für zahlreiche andere Absender sei als abschreckendes Beispiel eine gemeinsame "Medienmitteilung" des Oberrheinrates und der Oberrheinkonferenz vom 12. Februar dieses Jahres genannt – Institutionen notabene, deren Wirken und Wirkung der Bevölkerung im Dreiländereck wohl weitgehend unbekannt sein dürfte.
Das Dokument beehrte sich – in schwarz-blauer Farbe! –, die Aufmerksamkeit von uns Journalisten zu gewinnen mit der Mitteilung, die Vorsitzenden von Oberrheinrat und Oberrheinkonferenz befänden sich "im Austausch" und seien der Ansicht, die Grenzregion am Oberrhein brauche pandemisch "pragmatische Lösungen".
Sodann erfahren wir, was wir längst wissen. Wie "wichtig" es sei, "zusammenzustehen und sich im Sinne Europas und des gemeinsamen Lebensraumes Oberrhein dafür einzusetzen, dass die Grenzen weitgehend offenbleiben", die "Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich weiter zu vertiefen" und den Schienenverkehr zu stärken.
Man kann sich ausdenken, wieviel Zeit allein die nichtssagende Formulierung dieses Zeilen-Konglomerats, das problemlos einem Textmodul-Arsenal entstammen könnte, in Anspruch nahm.
Das ist nur ein Beispiel von Zeit- und Geldvernichtung von Kommunikatoren, die von Kommunikation nichts verstehen. Viele Verfasser von Medienmitteilungen – nicht alle! – halten es für ausreichend, ein paar Sätze zu tippen, sie mit "Medienmitteilung" zu überschreiben und zu glauben, damit das Interesse der Medienschaffenden geweckt zu haben.
Gefehlt! Die Institutionen geben zwar Unsummen für Bildung und Weiterbildung jeder Art aus, aber nicht Kommunikation, die in den Köpfen der Redaktionen ankommen und dadurch den Weg in die Öffentlichkeit finden.
So wird die Medienmitteilung zur Nullnummer. Wir haben die Probe aufs Exempel gemacht und in der Schweizerischen Mediendatenbank die Suchbegriffe "Oberrheinkonferenz" und "Oberrheinrat" eingegeben. Ergebnis der letzten sieben Tage: "Gefundene Dokumente: 0."
"Kaum Medien-Berichte über grenzüberschreitendes Geschehen"
Als regiopolitisch aktiver Grossrat, der aber keinem der genannten Institutionen angehöhrt (mein Feld ist eher unsere "kleinere" trinationale Agglo), habe ich mir die Frage gestellt, ob das von Herrn Knechtli zitierte Communiqué wirklich so wenig aussagekräftig ist und bin der Sache darum nachgegangen. Das Resultat meiner Recherche: die Aussagen sind eine indirekte Kritik an den Aussagen des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann, der wegen der mutierten Coronaviren laut über neue Grenzschliessungen nachdenkt.
Das die Formulierung so verklausuliert ausfällt, hängt wohl damit zusammen, dass die zitierte Präsidentin der Oberrheinkonferenz Bärbel Schäfer zugleich Regierungspräsidentin des Regierungsbezierkes Freiburg ist und in dieser Funktion Herrn Kretschmann unterstellt ist.
Im Artikel steht, dass der Oberrheinrat und Oberrheinkonferenz Institutionen seien, deren Wirken und Wirkung der Bevölkerung im Dreiländereck wohl weitgehend unbekannt sein dürfte. Vielleicht liegt das aber nicht nur an der angeblichen Bedeutungslosigkeit dieser Gremien.
Im Gegensatz zu den elsässischen und vor allem südbadischen Medien berichten diejenigen in der Nordwestschweiz kaum noch über das grenzüberschreitende Geschehen. Und das auch dann nicht, wenn es für die Region Basel wirklich bedeutend wäre. Oberheinkonferenz und Oberrheinrat haben sich in der Pandemie gegen nationale Regierungen sehr für offene Grenzen eingesetzt. Das Aggloprogramm oder Interreg sind zum Beispiel für Basel enorm wichtig. Trotzdem haben unsere Medien in den letzten Jahren kaum je darüber berichtet.
Das war einmal ganz anders. Man denke nur an "Dreiland-Zeitung", die in den 90er-Jahren als wöchentliche Beilage der BaZ erschien.
Tim Cuénod, Basel
"Dann drückt man halt lieber ab"
Immerhin hat es der Artikel der Oberrheinkonferenz in dein Medium geschafft! Ziel erreicht! Ok: Als Leser weiss ich jetzt gleich viel wie zuvor. Pauschal verurteilen sollten wir aber nicht. Es gibt viele gute Mediensprechende und Kommunikationsberater – aber nicht alle schaffen es, ihre Chefs zu überzeugen, dass inhaltsentleerte Mitteilungen nichts bringen. Dann drückt man halt lieber ab, anstatt einen Konflikt zu riskieren. Ist mir auch schon passiert.
Stephan Appenzeller, Binningen
"Stadium der Unerträglichkeit erreicht"
Hauptsächlich ein sinn- und verantwortungsloses Verschleudern von Steuergeldern. Das tagtäglich im Auftrag behördlicher Amtsträger veranlasste Überfluten der Medien mit "wichtigen" Verlautbarungen hat das Stadium der Unerträglichkeit erreicht. Ein Kommentar erübrigt sich.
Willi Erzberger, Basel
"Vom Schlagwort zur Pseudo-Medienmitteilung"
Suchmaschinenoptimierung: Was früher das Schlagwort war, ist heute die Pseudo-Medienmitteilung. Ein wunderbares Instrument, Personen/Politiker, Firmen, Institutionen, Produkte etc. in der Google-Rangliste ganz nach oben zu hieven – unabhängig davon, ob das Communiqué je publiziert wurde oder nicht – der Rechner machts!
Sehr fragwürdig; in der Tat – es bräuchte längst viel mehr Qualitätssicherung im Netz; ein Riesenpotenzial für neue Jobs übrigens, denn wie figura zeigt, fehlt der Künstlichen Intelligenz schlichtweg die Vernunft.
Jacqueline Hauser, Freienbach SZ
"Überflutung mit inhaltsleerer Kommunikation"
Erstaunlich finde ich einfach, dass es an allen Ecken und Enden immer mehr Kommunikationsbeauftragte, Medienverantwortliche und ähnliche Chargenträger gibt. Wenn man genauer hinschaut, sind es sehr oft Leute, die selber aus der Medienbranche kommen und einen Seitenwechsel hinter sich gebracht haben.
Diese Leute – ich kann das gut verstehen – wollen in ihrer Aufgabe auch etwas bringen. Ist nicht das einer der wichtigen Gründe für diese Überflutung mit letztlich inhaltsleerer Kommunikation? Und dann steigt auch die Frage auf, liegt das nicht zu einem guten Teil an der eigenen Zunft, indem es schlicht und einfach zu viele gibt, die beruflich in dieser Kommunikationswelt unterwegs sein wollen?
Rudolf Mohler, Oberwil