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"Parlament ausgeschaltet": Demo vor Rathaus, Kontrahenten König, Morin
Basler Grossrats-Spitze will am Demonstrations-Recht rütteln
An Sitzungstagen soll die Polizei politische Kundgebungen in Rathaus-Nähe verhindern / Kantonsregierung stellt sich quer
Von Fabian Schwarzenbach
Die Spitze des Basler Grossen Rates will das Demonstrationsrecht einschränken: Während Parlamentssitzungen sollen Kundgebungen in Rathaus-Nähe verboten werden. Doch die Regierung stellt sich quer: Sie sieht die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Gefahr. Der Streit offenbart auch den politischen Einfluss auf die Polizeitaktik.
Auslöser für diesen Antrag war die "Pegida"-Demonstration sowie deren Gegendemonstration vom 3. Februar dieses Jahres. Zuerst wurden die Kundgebungen bewilligt und später wurde ihnen die Erlaubnis wieder entzogen. Das Sicherheitsrisiko und der nötige Ressourcen-Einsatz, so die Begründung, rechtfertigten die Aufrechterhaltung der Bewilligungen nicht.
Am selben Tag, an dem die Demos hätten stattfinden sollen, traf sich das Parlament zu einer Sitzung. Aus Sicherheitsgründen wurde damals die Zuschauertribüne gesperrt. "Eine solche Massnahme sollte nichtsdestotrotz einmalig bleiben", schreibt Grossratspräsidentin Dominique König-Lüdin (SP) in ihrem Brief vom 19. Februar an die Regierung. Doch im nächsten Abschnitt fordert die Parlamentsleitung eine ungleich schärfere Massnahme: "Das Ratsbüro ist der Auffassung, dass politische Kundgebungen und Aktionen, welche möglicherweise die geordnete Durchführung der Parlamentssitzung beeinträchtigen, an den Sitzungstagen des Grossen Rates nicht bewilligt werden sollten."
Bannmeile "wäre wünschenswert"
Konkret verlangte das Parlamentsbüro von der Regierung die Errichtung einer sogenannten "Bannmeile": Tagt der Rat, sollen innerhalb eines Umkreises um den Sitzungsort (in der Regel das Rathaus) keine politischens Kundgebungen möglich sein. "In Österreich sind solche Bannmeilen im Bundesgesetz verankert", rechtfertigt Thomas Dähler, Leiter der Parlamentsdienste. Auch in Deutschland gebe es je nach Bundesland entsprechende Gesetze oder Verordnungen. "Eine solche Regelung wäre aus Sicht des Ratsbüros auch für Basel wünschenswert", schreibt König-Lüdin an die Exekutive.
Brisant: Das Präsidium der Legislative ziele dabei nicht nur auf grosse Demonstrationen auf dem Marktplatz, sondern auch auf Kundgebungen im Hof oder innerhalb des Rathauses oder auf der Tribüne des Grossratssaals, wie Dähler gegenüber OnlineReports erklärte. Der erste Ratssekretär beziffert den Radius der gewünschten Bannmeile nicht konkret. Ebenfalls wird nicht definiert, was unter "politischen Kundgebungen" alles zu verstehen ist.
Wären Petitionsübergaben oder kleine Standaktionen im Hof des Rathauses auch vom Bann betroffen? Dähler verweist auf das präsidiale Schreiben, das von der Polizei fordert, "keine Kundgebungen und Aktionen zu bewilligen, bei denen absehbar ist, dass die reguläre Durchführung der Parlamentssitzung beeinträchtigt werden könnte". Diese Beurteilung "liegt von Fall zu Fall bei der Bewilligungsinstanz", schreibt Dähler in einem Mail an OnlineReports, ohne den Verbots-Umfang zu konkretisieren.
Ein höfliches, aber bestimmtes Nein
Bei der Regierung stiess das parlamentarische Anliegen aber auf entschiedene Ablehnung: Um eine sogenannte "Bannmeile" zu errichten, seien starke Grundrechtseingriffe notwendig, heisst es im Schreiben der Exekutive an den Grossen Rat, das OnlineReports vorliegt. Um eine solches Kundgebungsverbot durchzusetzen, wären Anweisungen an die Kantonspolizei als Bewilligungsbehörde oder auch eine Verordnungsbestimmung "rechtsungenüglich", hält die Regierung fest: "Es bräuchte mindestens eine gesetzliche Grundlage." Ob diese allerdings dem Bundesrecht standhielte, würde "letztlich wohl gerichtlich überprüft werden".
"Der Grosse Rat hat die Möglichkeit, eine Motion einzubringen", beschreibt Regierungssprecher Marco Greiner gegenüber OnlineReports die Möglichkeit, wie das Parlament einen "Bannmeilen"-Paragrafen schaffen könnte. Greiner weist aber darauf hin, dass bei Demonstrationen immer auch das Gewerbe betroffen sei. "Wenn die Politik für sich eine Ausnahme macht, kommt das nicht gut an."
Berufung auf "Umstürze"
Parlamentsdienst-Chef Dähler bringt aber eine wagemutige historische Komponente ins Spiel: "Bei Umstürzen zu totalitären Systemen wurde immer zuerst das Parlament ausgeschaltet." Dies sei ein zusätzliches Motiv, zumindest grosse Demonstrationen an Tagen mit Grossrats-Sitzungen zu verbieten.
"Im Nachgang zu dieser Diskussion wird Sicherheitsdirektor Baschi Dürr die Polizei sensibilisieren", bestätigt Greiner ein kleines Entgegenkommen der Kantonsregierung. Ausgedeutscht: Die Polizei muss auf Druck der Politik Gesuche um Kundgebungen während Sitzungsterminen genauer prüfen.
Heisse Kartoffel für die Polizei
Martin Schütz, der Sprecher des Justiz- und Sicherheitsdepartements, bestätigte gegenüber OnlineReports, dass Dürr dem Kantonspolizei-Kommandanten, Gerhard Lips, die beiden Schreiben zugestellt hat. Damit erhält die Polizei trotz der in der Vergangenheit heftig kritisierten politischen Einflussnahme auf die Polizeitaktik wieder eine heisse Kartoffel serviert. Obwohl die Regierung dies als Hinweis und diplomatisch weich formuliert, wird die Polizei ihre liberale Praxis sicher nicht lockern können.
Politisch darf die Angelegenheit als sehr heikel eingestuft werden. Dass die Spitzen des Parlamentes gewillt, sind Volksrechte einzuschränken, dürfte für erregte Debatten sorgen. Der Schuss könnte nämlich auch nach hinten losgehen: Je nach Auslegung dieses politischen Wunsches könnten bereits Petitionsübergaben oder kleinere Kundgebungen von Sozialpartnern zu einem Polizeieinsatz führen.
Mit der "plausibel begründeten" (Dähler) Absage durch die Regierung ist der Fall vorerst abgeschlossen. Doch zufrieden dürfte die Parlamentsspitze nicht sein.
Dieser Beitrag war dank des OnlineReports-Recherchierfonds möglich.
22. Mai 2016
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