Fragezeichen zur Priorität Klimawandel
Wer es wissen wollte, konnte längst zur Kenntnis nehmen, dass der Klimagipfel Paris von 2015 nicht der euphorische Aufbruch war, als den er dargestellt wurde. Vor allem die US-Administration legte sich quer, erst recht unter Trump, gegen den einzelne Bundesstaaten und die Zivilgesellschaft aber bereit waren, das Notwendige zu tun. An Einsicht mangelte es also nicht unbedingt.
Die Klimaveränderungen sind evident. Die Erde brennt. Die meteorologischen Kapriolen, Wasserknappheit und Überschwemmungen, Gletscherschmelze, leere Stauseen sprechen eine unmissverständliche Sprache. Im Verlauf der Erdgeschichte hat es immer wider epochale Umwälzungen gegeben, doch im Moment weist alles darauf hin, dass das Klimaproblem, mit dem wir es zu tun haben, menschengemacht ist. Wir leben im Anthropozoikum, in dem der Planet dem Einfluss des Menschen beinahe ohnmächtig ausgeliefert ist.
Wir müssen uns mit dem Klima, mit den Veränderungen in der natürlichen Welt, in der wir leben, auseinandersetzen. Damit sind wahrscheinlich alle Menschen einverstanden. Trotzdem möchte ich dazu ein paar Fragezeichen setzen. Denn die Klimaveränderung hat in den öffentlichen Debatten – zu Unrecht – einen bevorzugten festen Platz.
Unser Handeln geht uns zwingend an, auch wenn der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss meinte, die Welt habe ohne den Menschen begonnen und werde ohne ihn enden. Anders argumentierte der deutsche Philosoph und Physiker Lothar Schäfer, als er feststellte: "Die Natur gelangt immer an ihr Ziel."
Das ist eine tröstliche Feststellung. Wenn der Mensch Teil der Natur ist, kann er ihr genau genommen nichts anhaben. Das wiederum ist die paradoxe Seite. Einen Freipass zu mutwilligen destruktiven Taten stellt diese Aussage niemandem aus. Sie ist ein Thema des Denkens und der Ethik.
Natürlich ist die Natur, ist das Leben bedroht, weil der Mensch, sein kritisches Vermögen, sein Beitrag zum Gesamtgeschehen selbst, es ebenfalls ist.
"Jeder kämpft für sich um die
besten Plätze – gegen alle anderen."
Aber was wir heute als viel einschneidender erleben, ist eine Entmündigung des Menschen durch seine Überwachung, sein Tracking auf Schritt und Tritt. Der Staat überwacht und kontrolliert seine Bürger und Bürgerinnen, nicht diese ihn. Es geschieht im Namen der Sicherheit, was zur Folge hat, dass der letzte Rest Urteilskraft aus den Menschen herausgeprügelt wird. Ausserdem gibt es auch eine freiwillige Selbstüberwachung und ebensolche Selbstentmündigung. Ohne die Freiheit der Selbstbestimmung aber ist der Mensch weder existenz- noch handlungsfähig.
Wenn Sicherheit bisher die zweckdienlichste Begründung der Sammelwut von Daten war, müssen wir jetzt erkennen: Nix da! Es geht um etwas völlig anderes: um die Kontrolle und Steuerung menschlichen Verhaltens, um Soziometrie. Je mehr Daten, desto mehr Möglichkeiten, um Durchschnittswerte zu ermitteln und Normen zu definieren, die doch auf nichts anderem beruhen als auf Algorithmen. Nicht nur Daten zu Konsum, Mobilität und so weiter werden erfasst, sondern auch solche, die im Zug der Selbstoptimierung anfallen (Schrittzahl, Herzfrequenz, Schlafverhalten). Was bei individualisierten Messdaten herausschaut, ist also nur die Abweichung von der Norm.
Wer seine persönlichen Daten zur Verfügung stellt, kann oft mit Vorteilen rechnen. Zum Beispiel gewährt das Mineralöl-Unternehmen BP seinen Mitarbeitenden Vergünstigungen bei der Betriebskrankenkasse, wenn sie ein Fitbit-Armband tragen (www.fitbit.com) und ihre Daten deponieren.
Individuelle Profile erlaubten unter Umständen, Privilegien oder massgeschneiderte Angebote zu erhalten. Leider stellt sich diese Individualisierung nur allzubald als Massenphänomen heraus, sie geht in der Masse der Einzelfälle unter. Das Individuum ist keine Ausnahme mehr, sondern ein Konsum- und Verkaufsziel, und jedes einzelne steht in einem Konkurrenzkampf mit allen anderen. "Screenings sind Verfahren der sozialen Selektion", schreibt der deutsche Soziologe Steffen Mau in seinem Buch "Das metrische Wir".
China ist im Begriff, ein sogenanntes Citizen Scoring einzuführen und jeden Staatsbürger mit Bonuspunkten für gutes und Maluspunkten für defizitäres Sozialverhalten zu taxieren ("Social Credit System"). Was in China möglich ist, ist überall praktikabel. Der Datenanbieter Acxiom (www.acxiom.com) ist im Besitz von Informationen über die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland und den USA mit bis zu 1'500 personenfokussierten Einzelangaben je Eintrag. Die Erfassung wird immer lückenloser. Die Daten haben uns im Würgegriff. Niemand entkommt ihnen.
Wir leben in einer Konkurrenzgesellschaft und haben es mit einem "Wettbewerbs-Individualismus" (Steffen Mau) zu tun bekommen. Jeder Einzelne kämpft für sich um die besten Plätze – gegen alle anderen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass jemand in dieser Lage sich besonders für Natur, Klima, Umwelt, Leben, für das Allgemeinwohl schlechthin, interessieren wird und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
Nicht so sehr die Natur ist in Gefahr als als vielmehr der Mensch, der in der totalen und totalitären Ordnung der Datenwelt unterzugehen droht.
21. August 2017
"Die Not schweisst zusammen"
Schmidt-Zitat: "Wenn der Mensch Teil der Natur ist, kann er ihr genau genommen nichts anhaben." Es geht wohl beim Klimawandel nicht um das Natur-Bestandteil "Mensch", sondern um die Tatsache, das dieses Naturbestandteil sich eben nicht naturgemäss verhält.
Wobei zu fragen ist, was denn in diesem Zusammenhang mit "Natur" genau gemeint ist: Der Planet Erde mit seinen diversen Sphären (Lithosphäre, Pedosphäre, Hydrosphäre, Biosphäre, Atmosphäre usw.), aber ohne Anthroposphäre? Natur verstanden als unbelebte und belebte Welt, letztere mit den wildlebenden Tieren und Pflanzen? Weitere Vorstellungen – "Natur" wird heute so vieldeutig und wolkig verwendet, dass ein präziser Diskurs nahezu unmöglich erscheint.
Gleiches gilt, weiter unten im Text, wenn – ein weiter Sprung vom Klima her – vom "Staat" die Rede ist. Zitat: "Der Staat überwacht und kontrolliert seine Bürger und Bürgerinnen, nicht diese ihn." Stimmt das wirklich? Wenn ja, auf welchen Ebenen?
Wir leben ja hierzulande in einem überaus föderalen System, wo gerade in den Gemeinden nach wie vor eine grosse Sozialkontrolle herrscht. Wir kennen einander, arbeiten, festen, streiten, diskutieren, kurz: leben miteinander. So vernetzt, man könnte sogar sagen: so eingebettet, ist dieser Staat in der Form der politischen Gemeinde ein von der Gemeinschaft geschaffenes und auch so wahrgenommenes Organ, das keineswegs überwachend und kontrollierend wahrgenommen wird.
Wenn also "Staat", dann wäre zu fragen: welcher? Die Fachexperten beim Bund in "Bern"? Die Spezialisten in den Abteilungen des "Kantons"? Und wie steht es denn mit den Grosskonzernen, Stichwort Kundenkarten Cumulus und Supercard, welche das Kaufverhalten ermitteln? Wie steht es z.B. mit den Krankenkassen und ihren Datensätzen, die immer wieder dazu führen, dass jemand ohne die Gründe mitzuteilen, als Kassenmitglied abgelehnt wird? Die Liste lässt sich beliebig verlängern.
Und schliesslich gehts um die "Konkurrenzgesellschaft", begifflich ein schwieriges Konstrukt. Es geht wohl um die grassierende Egomanie und Selbstverwirklichung und gesellschaftlich um die Entsolidarisierung – bis, ja bis eine Natur-Katastrophe passiert, ein Erdbeben, eine Überschwemmung, ein Bergsturz, eine Sturzflut und dergleichen.
Dann, ja dann, besinnen sich die betroffenen Menschen in gemeinsamer Not, dass sie alleine nicht klar kommen. Und plötzlich lebt sie wieder auf, die Solidarität. Undereinisch helfen Nachbarn wieder ihren Nachbarn, ob es nun Katholiken, Protestanten, Hindus, Muslime oder agnostische Freigeister sind. Die Not schweisst zusammen.
Und zum Schluss zur Gefährdung der Natur: Was verliert "die Natur", wenn einige ihrer Arten aussterben verschwinden, besser: ausgerottet werden? Wie wirkt die Verarmung des Genpools auf die weitere Entwicklung?
Henri Leuzinger, Rheinfelden
"Wille zur Macht und Expansion"
Zum Thema folgendes Zitat aus "Der Mensch und die Technik" von Nikolai Berdiajew, russischer Philosoph, 1943:
"Die Technik, die dem Menschen das Gefühl einer ungeheuren Macht verleiht, ist eine Ausgeburt des Willens zur Macht und Expansion. Dieser Will hat den europäischen Kapitalismus erzeugt und die Volksmassen zum historischen Leben erweckt. Die kapitalistische Lebensform zerstört die organische Ordnung und stellt eine neue soziale Aufgabe – die Organisierung der grossen Menschenmassen, die nur mit Hilfe der Technik gelöst werden kann. Unbestreitbar zerstört diese neue Lebensform, diese Technisierung des Lebens die Schönheit der alten Kultur, der alten Lebensordnung. Die massenmässige, technische Organisierung des Daseins vernichtet jede Individualität, jede Eigenart und Originalität und drückt allen Dingen den Stempel der Unpersönlichkeit und Antlitzlosigkeit auf. Die ganze Produktion gewinnt einen anonymen Charakter und wird zum seelenlosen Betrieb. Zerstört wird dabei nicht nur der individuelle Charakter der äusseren plastischen Seite des Lebens, sondern auch die individuelle Eigenart der menschlichen Persönlichkeit."
Stephan J. Tramèr, Basel