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"Jeder Mitarbeiter ein Samurai": Novartis-Pharma-Chef Thomas Ebeling
Der Schlachtrufer von Novartis
"Kill to win": Thomas Ebeling gibt mit Brachial-Regeln seinen Einstand als neuer Pharma-Chef
Von Peter Knechtli
Mit einem extrem aggressiveren Verkaufsstil will Thomas Ebeling das Pharmageschäft von Novartis im verschärften internationalen Konkurrenzkampf erfolgreich positionieren. Ebelings vor Marketingkadern in Paris verordnete martialische "Erfolgsregeln" sind jedoch umstritten: Sehen die einen in Thesen wie "Kill to win" die offene Deklaration des gängigen Geschäftsstils, befürchten andere eine Verluderung der Unternehmensethik.
Thomas Ebeling (41), ab 1. September neuer CEO des Novartis-Pharmageschäfts (35'000 Mitarbeiter, 16 Milliarden Franken Umsatz), ist dafür bekannt, dass er nicht lange fackelt. Neuerdings fährt die eloquente Verkaufs-Hoffnung auch in seinen Sprachbildern einen Kurs, der alles Bisherige in den Schatten stellt.
So geschehen, als Ebeling diesen Sommer vor seiner internationalen Marketingelite und den Länderchefs in Paris über "Schlüssel-Erfolgsfaktoren" bei der Lancierung der beiden umsatzträchtigen Produkte Starlix (Diabetes) und Zelmac (Reizdarm) referierte und damit gleichzeitig den politischen Einstand als Nachfolger des wegtretenden Jerry Karabelas gab. Es ging dabei laut Novartis-Sprecher Felix Räber darum, "die Leute als Team zu motivieren" und dafür zu "begeistern", "alles daran zu setzen, zwei neue, für Novartis wichtige Produkte optimal global einzuführen".
"Just fucking do it"
Doch was Verkaufs-Hardliner Ebeling seinen Managern an die Wand projizierte, verschlug einigen die Sprache: Zehn Erfolgsregeln – unter harmlosen auch deftige. Regel Nummer eines: "Be (with) the brand 24 hours a day." (Vertrete Deine Marke rund um die Uhr). Regel Nummer drei: "Spend to win" (gebe grosszügig aus, um zu gewinnen). Regel Nummer fünf: "Die hard - never give up" (Sterbe nicht leicht - gib niemals auf). Regel Nummer sechs: "Be smart - be paranoid" (sei raffiniert und wahnhaft). Regel Nummer sieben: "Your ego does not matter" (Dein Ich ist unerheblich). Regel Nummer acht: "Do whatever it takes. Kill to win - No prisoners" (Mache alles, was nötig ist. Töte, um zu gewinnen, mach keine Gefangenen).
Eine andere Präsentation führte dem Auditorium eine bizarre Industrie-Lyrik ("Hier werden die Schlachtpläne aufgezogen") vor und zum Schluss das Nike-Signet mit dem angereicherten Slogan "Just ******* do it" vor. Laut Novartis waren die Sternchen "von den meisten Zuhörern als spannende Pause, bevor die letzten Worte zur Wirkung kommen", verstanden worden. Was aber faktisch beim Publikum ankam: "Just fucking do it."
Bewusst aufs Intranet geladen
Dieser Motivations-Cocktail aus einer Mischung von Kriegs-Vokabular und Gassen-Slang war mehr als bloss sarkastische Zuspitzung im Schutz eines intimen Kreises. Es war Vermittlung mit bewusst gesuchter Breitenwirkung: Ebelings Zehn Gebote wurden hinterher im Intranet Tausenden von Mitarbeitenden auf der ganzen Welt zugänglich gemacht.
"Unglaublich!", reagierte ein Kadermann nach der Vorstellung. Ein Mitarbeiter, der ohne Vorwissen im Intranet auf die neuen Rauchsignale des Marketing-Manitus stiess, rang um Worte ("Ich bin entsetzt, für was für einen Arbeitgeber arbeite ich denn da?"), anderen raubte die Antrittsvorlesung des Chefs den Schlaf. Was das Unternehmen als "grossen Veranstaltungserfolg" wahrnahm, interpretierte ein Firmenvertrauter mit langjähriger Führungserfahrung als die "Abschaffung der unternehmensethischen Grundsätze".
Regeln aus der Konsumgüterindustrie anwenden
Mit seiner aggressiven Richtungsvorgabe, die sich laut Novartis "im Rahmen unserer ethischen Grundsätze bewegt", setzte sich der künftige Oberkommandierende der Pharma-Division radikal vom Stil seines kommerziell nicht gar so erfolgreichen Vorgängers Karabelas ab. Den griechischstämmigen Amerikaner begleitet der Ruf, "äusserst angenehm und kollegial" zu sein.
Ganz im Gegensatz dazu will der ausgebildete Psychologe Ebeling jetzt auch im komplexen Pharmageschäft nach den Regeln der Konsumgüterindustrie umsetzen, was er als begnadeter Vermarkter von "West"-Zigaretten, Pepsi-Cola und Novartis-Food unter Beweis gestellt hat. "Erfolgsbesessen", tönt es aus dem Unternehmen, will er seine Truppe auf eine Ergebniserwartung der neuen Dimension einzuschwören und schon bis ins Jahr 2002 überdurchschnittliche Wachstumsraten von über acht Prozent vorweisen (heute vier Prozent).
Eine Quelle mit intimen Firmenkenntnissen interpretiert die militärischen Metaphern als ein "Gewaltsakt", mit dem "die ganze Verkaufskultur verändert werden soll". Ob die verbal-radikale Offensive das gewünschte Ziel ohne weiteres erreicht erreicht, ist zumindest fraglich. Denn Ebelings Devise trifft unvorbereitet Tausende von Mitarbeitenden, die über Jahrzehnte hinweg mit höchstem gesellschaftlichem und sozialem Anspruch konfrontiert waren. Sie suchen jetzt Erklärungen dafür, wie sich die hehren Deklarationen im erst vor einem Jahr beschlossenen Novartis-Kodex ("Fairer, höflicher und respektvoller Umgang", "einem hohen ethischen Standard verpflichtet", "Management muss Einhaltung des Kodex überwachen") mit den martialischen Spielregeln der Nummer zwei in der Konzern-Hierarchie vereinbaren lassen.
"Ethik hat nichts mit Weicheierei zu tun"
So herrscht denn derzeit eher mehr Verwirrung als Erleuchtung - auch extern. Markus Breuer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Insitut für Wirtschaftsethik Universität St. Gallen, wundert sich, wie Novartis nun in aller Offenheit und mit "kriegsähnlichem Vokabular" Ansprüche an die Mitarbeiter stellt, als wären sie "Soldaten, die ihrem Land verpflichtet sind". Dieser "pure Markt-Fetischismus" und die suggerierte Unterwerfung der Mitarbeiter-Persönlichkeit unter die Firmeninteressen berge die Gefahr in sich, dass "jeder Zumutbarkeits- und Verantwortungsdiskurs unmöglich wird".
Beobachter Breuer glaubt indes nicht, dass Novartis eine bewusste Doppelstrategie - ethische Ambition nach aussen, Ausschaltung von moralischen Hemmungen nach innen - betreibt: "Beide Schienen kann man nicht gleichzeitig fahren. Da würde bald die Glaubwürdigkeit leiden." Novartis, so sein Schluss, sollte jedoch überdenken, ob diese Art der Verkaufsvermittlung "dem Anspruch einer verantwortungsvollen Firmenhaltung gerecht wird". Denn Ethik habe "nichts mit Weicheierei zu tun", wie Ebeling suggeriere.
"Es braucht wieder eine Art Ledernacken der Wirtschaft"
Während allerdings Breuer "solch rabiate Töne" in letzter Zeit eher selten gehört hat, glaubt der Zürcher PR-Berater Klaus J. Stöhlker, dass Schlachtrufe nach Ebelings Stil nur die Vorboten einer Klimaveränderung sind, die auch in andern Schweizer Grossunternehmen Einzug halten wird: "Wir gehen in zehn ausserordentliche Jahre hinein, die Beschleunigung wird noch zunehmen", glaubt Stöhlker. Zwar seien "solche aggressiven Auftritte in der alemannischen Gesellschaft noch nicht eingebettet". Doch mit der Verschärfung des globalen Wettbewerbs "gewinnen diese Kriegsempfehlungen, die in den USA und Japan schon seit weit über zehn Jahren üblich sind, immer mehr an Anklang." Insofern bilde Ebeling als "Streetfighter" nur die Speerspitze einer unaufhaltsamen Entwicklung: "Man braucht wieder eine Art Ledernacken in der Wirtschaft. Dieser Trend wird sich verstärken und die alemannische Unternehmensethik bricht langsam zusammen."
Stöhlker glaubt denn auch, dass Novartis durch Ebeling mit seiner Botschaft "aus jedem Mitarbeiter einen Samurai zu machen", nur offen ausspricht, was auch andernorts intern schon gilt: "Das ist in der UBS nicht anders als in der Novartis." Ebelings Wortwahl mag Stöhlker allerdings nicht in Rage zu versetzen: "Kill to win" bedeute keinesfalls konkret die Aufforderung, wirklich zu töten, sondern den "totalen Einsatz" zu leisten. Angesichts der "weit verbreiteten Brutalisierung in oberen Führungsetagen" gehörten auch Begriffe wie "fucking" zum gängigen Wortschatz zahlreicher Führungskräfte.
Auch Verständnis für die rabiaten Töne
Auch ein langjähriger Pharma-Topmanager, der ohne Zweihänder zum Erfolg kam, kann Ebelings verale Zuspitzung nachvollziehen. Im Marketing-Milieu sei ein plakativer Jargon üblich, der auch vor Übertreibungen nicht halt mache: "Die vornehme europäische Distanziertheit bringt uns nicht mehr weiter. Es braucht mehr Engagement und kompromissloseres Zupacken, wo man Chancen sieht."
Findet Ebeling im geschützten Rahmen eines Firmen-Meetings offensichtlich auch Unterstützung, wird als "klarer Kommunikationsfehler" eingestuft, dass die Botschaft vom Olymp ohne vertiefte Kommentare auch im Intranet dokumentiert wurde und dort bei einem Teil der auf die neuen Töne unvorbereiteten Belegschaft Verunsicherung, Frustration und individuelle Interpretation auslöste. So fragte sich ein Novartis-Mann angesichts der "Paranoia"-Formel, ob jetzt auch die eigene Belegschaft als Dauerkundschaft der firmeneigenen Psychopharmaka ins Visier gekommen werden soll.
Novartis hat ein Kommunikations-Problem
An diesem Beispiel zeigt sich, so ein Kenner der Szene, "dass Novartis noch immer ein ernsthaftes Kommunikationsproblem hat". Nach dem Blitz-Abgang von Esther Girsberger als Kommunikations-Verantwortliche dieses Frühjahr wird laut Informationen von OnlineReports noch immer nach einem neuen und ausdauernden Crack gesucht, wobei Daniel Vasella bereit sein soll, bezüglich Lohnangebot dem Gebot "Spend to win" generös nachzuleben. Diese Investition könnte sich auszahlen. Denn alle Kampfparolen verhallen wirkungslos, so ein Berater, "wenn sie falsch kommuniziert werden".
Novartis räumte gegenüber OnlineReports denn auch ein, dass die Slogans, aus dem Kontext gegriffen, "zu falschen oder schädlichen Interpretationen führen könnten".
Mögliche Slogan-Interpretationen:
Der Slogan | Novartis-Ausdeutschung | Wie er missverstanden werden könnte | "Be (with) the brand - 24 hours a day" | Leben Sie ihn (the brand), atmen Sie ihn, geben Sie dem Brand durch Ihre eigene Begeisterung Energie. | Identifizieren Sie sich total mit der Firma, vergessen Sie Ihr Privatleben. | "Spend to win" | Wir müssen viel investieren, um konkurrenzfähig zu sein. | Man darf verschwenden, um die Leute auf die eigene Seite zu bringen. | "Be smart - be paranoid" | Seien Sie clever/intelligent/klug bei Ihrer Arbeit, und lassen Sie Ihre Konkurrenten nicht aus den Augen. | Sei schlitzohrig und wahnhaft. | "Kill to win - no prisoners" | Dies ist eine Metapher: Arbeiten Sie produktiv und konzentrieren Sie sich auf das Wichtige. | Gehe über Leichen! |
20. August 2000
Weiterführende Links:
Höchster Anspruch
Erfreulich für die Leserschaft - und der höchste Anspruch an das Medium, wenn einem nicht zuerst auffällt, WIE etwas gemacht wurde – sondern WAS gesagt wird.
Hans-Jörg Beutter, Metzerlen SO
Folge ist Frustration
Mit dieser Masche versuchten sogenannte Motivatoren oder Verkaufstrainer die firmeneigenen Aussendienstmitarbeiter zu mehr Abschlüssen zu bringen. Allerdings hat man nach etwa zwei Jahren gemerkt, dass eine solche unternehmerische Haltung nicht zeitgemäss ist und ausser einem grossen Frustrationseffekt nichts bringt. Zwar konnten die Umsätze kurzfristig gesteigert werden, die Personalkosten allerdings schnellten in astronomische Höhen (Fluktuation). Gerade heute, in einer Zeit in der der Arbeitsmarkt relativ angespannt ist, wird vielfach nicht aus monetären Gründen eine Stelle gewechselt, sondern mann bzw. frau sucht sich die Arbeitgeber in erster Linie nach dem Gesichtspunkt der "Unternehmenskultur" aus. Kill-kill statt win-win ist die absolut falscheste Strategie für eine Nachhaltige Gewinnsteigerung.
Sibylle Handschin, www.jobconcept.ch, Basel
Wirtschaft ist zum Krieg geworden
Der zukünftige Novartis-Pharmachef Thomas Ebeling hat in Paris seine Mitarbeiter mit "kriegsähnlichem Vokabular" motivieren und begeistern wollen: "Do whatever it takes. Kill to win. No prisoners". Diese Botschaft sei zwar nicht wörtlich zu verstehen, aber sie sagt aus: "Der Erfolg, die Vermarktung unserer Produkte, ist das oberste Ziel. Setze alles dafür ein, so wie das ein Soldat für sein Vaterland tut." Die Wirtschaft ist zum Krieg geworden. Wer nicht sein ganzes Leben der Firma verschreibt, ist weg vom Fenster. Väter werden gezwungen, ihre Familie, ja ihre eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Topmanager wie Thomas Ebeling, der zudem Psychologe (!) ist, begeben sich je länger je mehr auf den Irrweg. Ihre Prioritätenliste scheint durcheinander gekommen zu sein. Wer wirtschaftlichen Erfolg über Leben, Familie und Gesundheit stellt, ist meiner Meinung nicht geeignet eine Managerposition auszufüllen. Für eine intakte Gesellschaft braucht es Wirtschaftsbosse mit einer ethisch gesunden Prioritätenliste. Auf andere Kandidaten sollten Geschäftsleitungen mutig verzichten.
Marc Jost, Bettingen BS
"Brand"
Im Kasten dieses Berichts wird von "Brand" gesprochen. Brand in diesem Zusammenhang muss meiner Meinung nach "Marke" oder Markenzeichen heissen, nicht einfach "Brand", sonst meint man wohl damit Feuer, was natürlich entfernt auch wieder stimmen könnte.
Klaus Kocher, Aesch BL
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