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"Was gib es Schöneres": Firmengründung im April 2004, Gründer*
"Wir wollen einen Gegenpunkt zum Ablenkungs-Journalismus setzen"
Peter Knechtli und Ruedi Suter im Zwiegespräch über 10 Jahre OnlineReports.ch: Wie es dazu kam, was daraus geworden ist
Von Peter Knechtli und Ruedi Suter
In den zehn Jahren seiner Existenz hat sich das unabhängige News-Portal OnlineReports in der Region Basel fest verankert. Im Zwiegespräch äussern sich die Redaktoren Peter Knechtli und Ruedi Suter erstmals umfassend über die Entstehungsgeschichte, die Identität und den Anspruch des neuen Nachrichten-Mediums.
Peter Knechtli: Hey Ruedi, Du hast OnlineReports von Anfang an begleitet. Welches ist eigentlich Deine älteste Erinnerung an unser Projekt?
Ruedi Suter: Hols der Geier, Du fragst mich Zeugs! Damals, als das Internet aufkam, also in der ersten Hälfte der neunziger Jahre, diskutierten wir doch beim Mittagessen im "Migros"-Restaurant am Burgerfelderplatz dauernd über die Medien-Situation und den erodierenden Markt für uns Freie Journalisten, der doch schon damals kaum mehr eine vernünftige Perspektive bot. Du weisst ja selbst, wie schwierig es wurde.
Knechtli: Mit einigem Grauen denke ich an die Zeiten zurück, als die Redaktionen schleichend die Budgets für die Freien Journalisten kürzten, jahrzehntelange Beziehungen zu Regional-Korrespondenten ohne ein Wort des Dankes fristgemäss kündigten und sich still und leise von der belebenden journalistischen Vielfalt verabschiedeten, die Layouts, hmmm, "luftiger" gestalteten und die Inland- und Auslandseiten mehr oder weniger mit Agenturstoffen abfüllten. Nun erzähl' aber Du mal, wie das war mit dem Ende der langen Reportagen und Hintergrundberichte, die Du häufig als illustrierte Reisereportagen für Zeitungen geschrieben hast.
Suter: Die mussten von den Kollegen und Kolleginnen in den Redaktionen wegen Platzmangel immer stärker gekürzt werden. Zudem gab es Budgetkürzungen, so dass notwendige mehrtägige Recherchen nicht mehr möglich waren. Was meine Wochen dauernden Reportage-Reisen in zumeist abgelegene Krisengebiete der Dritten Welt betrifft, wurden diese ohnehin nie voll bezahlt, obwohl ich bescheiden reiste. Klar ist: Diese Artikel kamen immer nur dank eines zünftigen Anteils an Selbstausbeutung und persönlicher Risikobereitschaft zustande.
"Diese Artikel kamen nur dank eines zünftigen
Anteils an Selbstausbeutung zustande."
Knechtli: Du wolltest ja keine Kinder und konntest Dir das leisten. Warum denn dieser Anteil Selbstausbeutung?
Suter: Was willst Du hören? Dass ich Abenteuer suchte und mich beweisen musste? Nein, mein Lieber, das war's wohl nicht. Eher leide ich an einem Aufklärer-Tick. Ich will und wollte zeigen, dass es fern unserer schweizerischen Wohlfühlzone ganz andere und häufig schlicht unerträgliche Realitäten gibt, von denen wir eigentlich keine Ahnung haben oder die wir verdrängen und von denen wir – Stichwort Rohstoffe – oft auch ganz vital abhängen. Als Freelancer konnte ich mir bewusst Zeit nehmen, um mich in den fremden Kulturen einzuleben und einigermassen akzeptiert zu sein, was sich fest angestellte Kollegen so nie erlauben konnten.
Knechtli: Du singst ja ein Loblied auf den Freien Journalismus!
Suter: Du bist der Musikbegabte unter uns! Sagen wir es so: Wenn es um heikle und notwendige Recherchen geht, wie zum Beispiel im Ausland die existenzielle Bedrohung der Urvölker durch Staaten und Konzerne, sind es oftmals Freie Journalisten und Journalistinnen, die unter Inkaufnahme beträchtlicher Gefahren und Strapazen vor Ort recherchieren. Aber für solche Themen brachen bei den meisten Printmedien aus Gründen der Rentabilität zunehmend die Gefässe weg.
Knechtli: Erkläre doch schnell, was mit dem Branchen-Ausdruck "Gefäss" gemeint ist.
Suter: Es waren für mich das "Magazin" der "Basler Zeitung", andere Wochen-Magazine und natürlich die Themen-Seiten, die eigens für relevante Inhalte und ausführliche Texte geschaffen worden waren. So konnte – im Gegensatz zu heute - wenigstens regelmässig präziser informiert werden, konnten Hintergründe, Zusammenhänge und Stimmungen transportiert werden. Da kam das Leben in seiner ganzen Vielfalt noch durch. Dagegen wirken die Zeitungen heute geradezu steril und oberflächlich. Aber was jammere ich da! Das gleiche Problem stellte sich ja längst schon auch in den Inland- und Lokalressorts. So bist doch Du auf die Idee gekommen, das Web zu nutzen – jenes Internet, das uns beiden anfänglich doch sehr suspekt erschien.
"Ich hatte anfänglich so etwas
wie eine Computer-Resistenz entwickelt."
Knechtli: Ich hatte anfänglich sogar so etwas wie eine Computer-Resistenz entwickelt. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass Computer und Internet so rasch die Weltgemeinschaften durchdringen und eine so rasende Entwicklung nehmen. Die ideale Kommunikation bestand für mich in der authentisch zwischenmenschlichen – nicht in der digitalen. So ist es im Grunde heute noch, aber das Internet ist als Informationsquelle nicht mehr wegzudenken.
Suter: Dein Problem war ja, dass Du von den Basler Printmedien als kritischer Journalist mit unbändigem Freiheitsdrang geächtet warst ...
Knechtli: ... jedenfalls von der "Basler Zeitung" während der Aera von Chefredaktor Hans Peter Platz. Er hatte gar keine Freude daran, dass ich seine Zeitung immer wieder mit der "Monopolstellung" in Zusammenhang brachte. Inzwischen hat sich die Situation entschärft: Seit es OnlineReports gibt, ist das Monopol ja gefallen;-)
Suter: Wenn man Dich lesen wollte, musste man Schweizer Radio DRS hören und sich die "Berner Zeitung" oder die "SonntagsZeitung" oder die "Luzerner Neusten Nachrichten" kaufen, für die Du jahrzehntelang als Basler Korrespondent gearbeitet hast.
Knechtli: Mich umtrieb deshalb schon lange die Idee, meine Stories in irgendeiner Art aufs Netz zu bringen. Und dann warst Du die entscheidende Person. Weisst Du noch, warum?
Suter: Keine Ahnung.
Knechtli: Jetzt stapelst Du tief – typisch Ruedi. Du hast die entscheidenden Leute zusammengebracht.
Suter: Nein, ich weiss nur, dass wir eine ungeheuer motivierte Gruppe mit dem jungen Elektro-Ingenieur und Webdesigner Alessandro Medici und dem PR-Unternehmer Markus Zimmermann bildeten, die sich überlegte, was sie sich in dieser sich anbahnenden Revolution durch das Internet einbringen könnte. Wir wollten einfach wieder mehr Qualität – und bei den Ersten sein ...
Knechtli: ... und weisst Du noch, wie unser erstes Projekt hiess?
Suter: Klar doch: "Globâle", ein Wortspiel mit dem französischen Basel: Bâle. Der Name hätte internetadäquat Programm sein sollen, also Journalismus grenzenlos.
"Das erste Internet-Projekt 'Globâle'
versandete gnadenlos."
Knechtli: Doch das alles versandete gnadenlos. Statt dessen begab ich mich dank Deiner Vermittlung mit Sandro Medici auf ein Sonderzüglein, indem wir im Jahr 1997 vorerst den schweizweit ersten Online-Abstimmungskampf im Internet führten. Es ging um die Initiative zum Ausbau der Rheinstrasse, für die ich mich als Journalist ausnahmsweise persönlich engagierte. Auf dieser Plattform dokumentierten wir das Projekt, publizierten Meinungen und betrieben Fundraising. Die Website ruht heute als Dokument im Baselbieter Staatsarchiv.
Suter: Das waren Deine ersten Gehversuche im Netz. Was das für ein Erlebnis, plötzlich völlig eigenständig und erst noch weltweit publizieren zu können?
Knechtli: Es ging eine geradezu faszinierende Wirkung von der bescheidenen Tatsache aus, nur schon selbstgetippte Buchstaben über das Web auf dem eigenen Bildschirm vorzufinden. Mit geringem technischem Verständnis ausgestattet, musste ich vieles lernen, unter anderem, wie aus einem Papier-Foto durch Scannen ein digitales Bild in korrekter Auflösung gemacht werden konnte – heute ein Kinderspiel.
Suter: Das war ein nicht endender Lernprozess, bei dem Du rasch und viel dazu lernen musstest!
Knechtli: Wäre ich nur so ohne weiteres lernfähig gewesen! Aber der Neugier und Pioniergeist trieben mich an, immer mehr zu lernen und besser zu werden. Mit dem bescheidenen, aber entscheidenden Know-how aus der "Rheinstrasse"-Website ausgestattet, war es aber keine Frage, dass ich nun sofort begann, das Internet auch journalistisch zu nutzen. So entstand OnlineReports, damals allerdings noch unter anderem Namen. Weisst Du noch, wie er hiess?
Suter: "Peter Knechtli Reports". Du hast mich ja von Anfang an in Deine Pläne eingeweiht. Als ich aber im Herbst 1997 von einer längeren China-Reise heimkam, da hatte Basel plötzlich eine neue Zeitung – im Internet.
"Als ich von einer China-Reise heimkam,
hatte Basel plötzlich eine Internet-Zeitung."
Knechtli: Eine kleine Überraschung für Dich, gäll!
Suter: Und wie! Doch diese Schnelligkeit, um die ich Dich beneide, ist man ja bei einem Peter Knechtli gewohnt ...
Knechtli: ... ja komm' jetzt! Keine Schleimereien!
Suter: Ich meine das ernst, Kollege. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dieses Medium würde nicht auf Grund laufen wie viele andere Versuche zuvor, in Basel Printmedien zu etablieren.
Knechtli: Aber ich hatte ja keine Ahnung davon, ob sich daraus je ein ernsthaftes und auch überlebensfähiges Projekt entwickeln wird. Es gab keinen Businessplan, kein Marketing-Konzept, nix! Doch als wir unser erstes Logo und eine simple, mit der Story verlinkte Headline auf den Bildschirm brachten, war ich wie elektrisiert. In mir wuchs die Überzeugung: Das ist der Weg – allerdings ohne zu wissen, wohin er führen wird. Überrascht und zuversichtlich gestimmt hat mich die Tatsache, dass diese "Reports" schon ganz früh von Topmanagern zur Kenntnis genommen wurden. Zu den ersten Gratulanten gehörten Daniel Vasella oder der St. Galler Kommunikations-Professor Beat Schmid.
Suter: War es nicht auch ein überwältigendes Gefühl, selbst nun Autor, Redaktor und Verleger zu sein in einem unendlich grossen weltumspannenden Verbreitungsgebiet?
Knechtli: Denkst Du dabei an die Blechschadenmeldung vom Aeschenplatz, die nun real time in Ancorache, Walenstadt und Jakarta abgerufen werden konnte?
Suter: Natürlich auch, aber OnlineReports bietet ja unterdessen auch Themen, die etwa Nichtheimweh-Basler irgendwo fernab der Schweiz interessieren können.
Knechtli: Dazu trägst gerade Du als Spezialist für indigene Völker und Menschenrechte mit Deinen Ausland-Reports seit Jahren bei. Auf welche Reportagen hast Du mehr Echo – auf Deine früheren Zeitungs-Stories oder auf Deine Online-Reports?
Suter: Die Echos aus der Leserschaft auf unsere internationalen Online-Beiträge sind deutlich zahlreicher. Das ist erklärbar: Mit Online ist man im Handumdrehen ein Netzwerk interessierter Lesenden und Kollegen, mit denen ein schneller und höchst einfacher Austausch möglich ist. Da zeigt sich auch daran, dass sich zahlreiche Websites internationaler Provenienz dank der Suchmaschinen auf OnlineReports beziehen und verlinken.
"Die Echos auf Online-Beiträge
sind deutlich zahlreicher."
Knechtli: Und dies ohne Verfalldatum.
Suter: Genau, das Internet hat eine verblüffende Nachhaltigkeit – solange wir Strom haben. Unsere Beiträge verschwinden nicht in nassen Schuhen, die getrocknet werden müssen – sie bleiben im Netz, sie haben Ewigkeits-Charakter. Aber das ist doch auch im lokalen und nationalen Kontext genau dasselbe. Und vor allem: Es entsteht eine Gemeinschaft, eine Community. Das spürst doch Du genauso innerhalb Deines regionalen Kerngebiets.
Knechtli: Diese zehn Jahre waren mit Abstand die spannendsten Jahre meiner journalistischen Laufbahn, auch wenn ich meine früheren journalistischen Erfahrungen keinesfalls missen wollte. Anfänglich war es noch das technische Aha-Erlebnis, dann die ersten Gehversuche, die Entzückung über die ersten Besucherinnen und Besucher – und plötzlich stellst du fest: Jetzt sind wir ein Medium geworden mit allem, was dazu gehört. Heute spüren wir einen starken Community-Groove, also eine Art Wir-Gefühl von Publikum und Produzenten. Unsere Leserinnen und Leser sind überdurchschnittlich anspruchsvoll, aber auch wichtige Multiplikatoren. Wenn wir eine Neuigkeit online schalten, dann ist sie fünf Minuten später in der Region bekannt. Das Internet hat den Vorteil, dass wir unsere News und Reports auf einen Umfang schreiben können, wie ihn der Newswert verlangt. Ruedi, hat Dich gereizt, dass Du im Internet Deine Stories in voller Länge und ohne Einschränkungen durch Produzenten und Blattmacher publizieren kannst?
Suter: Klar, und zwar der Präzision wegen. Ein Beispiel: Asiaten und Afrikaner denken und handeln anders als wir. Wenn wir nur schon aus Platzgründen darauf nicht eingehen können, verzerrt die Berichterstattung die ohnehin schwer beschreibbare Wirklichkeit vor Ort – aber auch bei uns. Das ist darum fatal, weil ja immer mehr Menschen aus Asien und Afrika unter uns weilen und wir sie häufig missverstehen.
Knechtli: Und dies in einer Zeit, wo die Welt weiter spürbar zusammenrückt.
Suter: Genau. Und die geografischen Definitionen wie lokal, regional, national, international uns leicht zu einem statischen Denken verleiten, das dem Fluss aller Dinge nicht mehr gerecht wird. So kann doch eine lokale Story ohne weiteres internationale Relevanz haben. Nicht nur, weil sie beispielhaft ist, sondern auch, weil sie auch weltweit abruf- und verfügbar ist. Dem kommt das Internet entgegen. Es ist eigentlich so etwas wie die geografische Bezeichnung für globale Zusammenhänge und der Spiegel dieser Welt, in der wir leben: Globale Finanz- und Transportflüsse, globale Umweltprobleme, globale Migration. Dennoch ist offensichtlich, dass OnlineReports im Grossraum Basel klar am meisten Inhalte bietet und hier auch die meisten Leserinnen und Leser hat. Purer Zufall?
"Was kann Schöneres passieren als
die regionale Medien-Landschaft zu beleben."
Knechtli: Eher Zu-Fall.Ich bin nun einmal stark mit dieser Region verwurzelt. Und wenn ich zusammen mit einigen motivierten Kolleginnen und Kollegen und mit einer technischen Innovation die regionale Medien-Landschaft beleben kann - was kann Schöneres passieren!
Suter: Die erste und beliebteste Frage von Kollegen und Lesenden in unserer geldfixierten Welt ist: Wie finanziert Ihr euch? Und nicht: Warum und wie gern macht Ihr Euren Job? Aber wollen wir überhaupt darüber reden und uns in den Geldbeutel gucken lassen?
Knechtli: Ja keine Geheimnistuerei! Wir leben allein von der Werbung und zu einem kleinen Teil vom Recherchierfonds, der uns ermöglicht, ausserordentliche Recherchen zu realisieren. Dieser Fonds ist für uns sehr wichtig. Erfreulicherweise gibt es immer wieder Leserinnen und Leser, welche die Bedeutung von Recherchen erkennen und einen Betrag in den Fonds einzahlen. Einzelne Mitarbeitende arbeiten freiwillig für OnlineReports – wie Du. Was treibt Dich eigentlich an?
Suter: Das Gleiche wie Dich: Die Unabhängigkeit und die Freude an einer unglaublich vielseitigen Arbeit, die uns ganz persönlich und – sagen wir' doch – als Demokraten absolut notwendig erscheint. Und, Peter, haben wir uns nicht auch ein schönes Stück Idealismus erhalten können?...
Knechtli: ... Idealismus, Idealismus! Nun hör mal, Ruedi: So ein Projekt muss sich auch im Markt behaupten können. Und soweit sind wir zum Glück ...
Suter: ... dies in einer Zeit, wo der anwaltschaftliche und investigative Journalismus nicht mehr nur von Kollegen des Inszenierungs- und Oberflächenjournalismus als überholt beschimpft wird. Dabei gäbe es so viele entscheidende Themen und Meinungen zu veröffentlichen, die in den Tages- und Wochenzeitungen nicht mehr berücksichtigt werden. Du, ich sags offen: Dank OnlineReports habe ich wieder Freude an diesem Beruf.
"Dank OnlineReports habe ich wieder Freude
an diesem Beruf."
Knechtli: Wunderbar, aber von der Freude allein können wir ja nicht leben. Konkret: Mit was kaufst Du Dir Deine Brötchen?
Suter: Richtig, Du stösst nach! Ehrlich: Es kostet mich energetisch weit weniger, für OnlineReports frei zu schaffen als selbst für die Zeitungen renommierter Verlage, die für ihre Aufträge keine kostendeckenden Honorare mehr zahlen können.
Knechtli: Kommt mir irgendwie bekannt vor!
Suter: Das ist bitter, und ich muss mich deshalb querfinanzieren, mit journalistisch vertretbaren Textarbeiten – für mir wohl gesinnte Frauen und Männer in Nichtregierungsorganisationen, Buchverlagen, Marketingfirmen, Stiftungen und so weiter. Insgesamt verdiene ich wenig, aber ich habe das unbezahlbare Glück, eine sehr verständnisvolle Frau – auch sie eine Freelancerin – und einen unglaublich grosszügigen Vermieter zu haben. So, und jetzt darfst Du als Familienvater, Editor und Jazz-Trompeter auspacken: Wie kommst Du über die Runden?
Knechtli: Wie ein Marathonläufer. Mit einem unterdurchschnittlichen Lohn, der aber sehr gut ausreicht, um meine bescheidenen materiellen Bedürfnisse und die meiner Familie zu decken. Und selbstverständlich habe ich auch eine sehr verständnisvolle Frau und Betreuerin. Was willst Du noch alles wissen? Eine Homestory gibt es im Fall nicht.
Suter: Nun, das wird unsere Leserschaft verkraften. Aber eigentlich reden wir hier über eine Lebenshaltung. Und die sagt doch: Geld ist notwendig, doch ebenso notwendig ist im Journalismus die Ethik, also Fairness, Unbestechlichkeit, Respekt vor allen Manifestationen dieses Lebens und Ehrlichkeit, auch sich selbst gegenüber. Einverstanden?
"Wir heben uns von den anonymen Feiglingen
in den Blogs ab."
Knechtli: Ja, aber wir kommen doch immer wieder nicht darum herum, auch im Klartext zu kommentieren. Das verärgert Kritisierte zwangsläufig immer wieder. Da ist es wichtig, dass wir uns nicht auf Personen einschiessen - auch nicht auf solche, die uns hart an den Karren fahren -, sondern ihnen immer wieder von Neuem ohne Rache-Saldo, sondern offen begegnen. Wir heben uns hier auch von den Feiglingen in Blogs ab, die sich darin gefallen, aus dem Hinterhalt anonyme Attacken und Kampagnen gegen Personen zu fahren. Auf OnlineReports soll jede Meldung und jeder Leserbrief einen klar identifizierbaren Absender haben. Aber sag, was ist eigentlich Dein Motiv, für OnlineReports zu arbeiten?
Suter: Es ist die Gewissheit, etwas Sinnvolles zu tun, ohne falsche Rücksichten nehmen zu müssen. Es ist das Gefühl, beispielsweise Minderheiten, vor allem bedrohten und benachteiligten, eine Stimme geben zu können. Und es ist diese alltägliche Freude, mit Dir und allen anderen Kollegen und Kolleginnen von OnlineReports zusammen locker und humorvoll eine unbürokratische und lebendige Plattform weiterentwickeln zu können. Und was sind Deine Motive?
Knechtli: Eine tief erfüllende, selbstbestimmte und sinnvolle Arbeit in einem modernen und gestaltungsfähigen Medien verrichten zu dürfen. Dazu kommt die Lust und Freude, in einem noch sehr jungen neuen Medium ein eigenes Nachrichten-Format entwickeln zu können, Fehler zu machen und daraus lernen zu können, aber auch freien Medienschaffenden eine Plattform bieten zu können, auf der sie wahrgenommen werden.
Suter: Aber sag mal, ist OnlineReports nicht auch ein Mittel gegen jene Formen des Journalismus, mit denen Du nichts am Hut haben willst? Gegen "eingebettete" Kollegen und "entbettete" Medien, gegen den Schönfärbe-, Ablenkungs- und Oberflächen-Journalismus?
Knechtli: Ruedi, Du als demütiger Mensch argumentierst jetzt zu meinem Erstaunen so, als wären alle Journalisten Pfeifen – ausser wir. Ich sehe es anders: Es gibt in jeden Medium ausgezeichnete Profis und potenzielle Nachwuchstalente, aber ihnen fehlt oft die Möglichkeit, sich im Korsett des jeweiligen Formates als aussergewöhnlich zu profilieren. In einem kommerziellen Radio beispielweise ist ein grundlegend kritischer Ansatz einfach systemwidrig.
Suter: Einverstanden, Peter. Es geht um echte – aber manchmal auch konstruierte – Sachzwänge, die uns Medienschaffende alle beschäftigen – egal, ob wir in einer Redaktion sitzen oder Freelancer sind. Aber sag mir nicht, OnlineReports habe keine publizistischen Ziele!
Knechtli: Unser Ziel ist es, täglich Qualitäts-Journalismus zu bieten und, wo möglich, hinter die Kulissen zu leuchten. Die Medien bis hin zum öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehen befriedigen immer mehr die Gier nach Gerüchten und Phantom-Stories aus dem People-, Klatsch- und Showbusiness. Diese eklatante Überbewertung von Beauty, Lifestyle und Preisverleihungen an die letzte Bratwurst machen wir nicht mit. Es ist ja schon bedenklich genug, wenn ein 88-jähriger Literaturkritiker sogar dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen wegen des grassierenden Programm-Schwachsinns die Leviten lesen muss.
Suter: Du meinst Marcel Reich-Ranicki. Was sagst denn Du zur Medienentwicklung?
Knechtli: Die Wahrscheinlichkeit der gesellschaftlichen Verblödung durch Medien ist nicht nur real, sondern eine Gefahr. Während die Qualität der journalistischen Nachrichtenbeschaffung sinkt und gleichzeitig ein Selbstdarsteller wie Mike Shiva mit seinen televisionären Fernberatungen Kult-Status erlangt, stellt sich die Frage, wie sich in diesem Land Kompetenz und ernsthafte Auseinandersetzungen noch Gehör und Öffentlichkeit verschaffen können. Dies öffnet aber eine Chance für eine Gegenbewegung, die wir nutzen. So konzentrieren wir uns auf unspektakuläre Menschen in diesem Staat, die echte gesellschaftliche Arbeit leisten. Nur sind Recherchen zeitaufwändig und teuer. Da müsste vielleicht über neue Finanzierungsmodelle nachgedacht werden. Hast Du einen guten Rat?
"Ich meine, bei vielen
eine Art Wesensverwandtschaft zu spüren."
Suter: Gemeine Frage! Du weisst doch, ich verstehe nix von Finanzen. Aber ich kann träumen! Und da wäre es vielleicht Zeit, einmal auf unsere Leserinnen und Leser einzugehen. Das sind doch interessierte Menschen, denen – das behaupte ich einmal – der gesellschaftliche Trend zur Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit ebenso auf den Keks geht wie uns. Ich meine, bei vielen eine Art Wesensverwandtschaft zu spüren. Ähnliches Denken, Fühlen und Handeln. Mein Traum wäre es, dass OnlineReports, immer kostenfrei zugänglich, zu einem guten Teil von solidarischen Spenden und Sponsorbeiträgen finanziert wird.
Knechtli: In den USA werden bereits alternative Finanzierungsmodelle von ernsthaften Nachrichten-Portalen diskutiert, in denen Stiftungen eine wesentliche Rolle spielen. Denn Information als Dienstleistung und Service public verlagert sich immer mehr auf Online-Plattformen. Solche Modelle müssten in der Schweiz auch ernsthaft geprüft werden, wenn nicht auch in den Informations-Medien Sternchen und Stars aus dem Show-Business, die Misswahlen und TV-Wahrsager immer stärker an Gewicht gewinnen sollen ...
Suter: ... auf Kosten politischer, wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Themen, über die eine aufgeklärte Gesellschaft informiert sein müsste. Themenwechsel: Gibt es eigentlich etwas, was Dich nervt in Deinem Beruf?
Knechtli: Fast nichts. Aber jene, die uns unter dem Titel "Medienmitteilung" Inserat-Texte schicken, und glauben, sie könnten PR-Botschaften in den redaktionellen Teil schmuggeln, die gehn mir auf den Keks.
Suter: Spürst Du eigentlich auch Neid?
Knechtli: Ja, ein Bisschen. Aber das ist nichts im Vergleich zur allgemeinen Sympathie, die wir anhaltend wahrnehmen dürfen, auch wenn noch vieles verbesserungsfähig ist.
Suter: Zum Beispiel die Vermarktung von OnlineReports, die optimiert werden müsste.
Knechtli: Und wie! Hier sind wir oberschwach auf der Brust. Wir überlegen uns derzeit, wie es diesbezüglich in die Zukunft gehen soll. Im Vordergrund stehen drei verschiedene Szenarien: Die Auslagerung der Banner-Akquisition, eine Kooperation mit einem Vermarktungsunternehmen oder die Eigenregie. Wir brauchen hier das Rad nicht neu zu erfinden, aber wir müssen uns die Frage stellen, wer es ankurbeln soll.
Suter: Du, wir sollten langsam stoppen, sonst steigen uns die verbliebenen Damen und Herren auch noch aus ...
Knechtli: ... Du hast doch eben den ausführlichen Texten das Wort geredet. Findest Du wir werden langweilig?
Suter: Nein, aber just zu den Leserinnen und Lesern brennt mir noch eine Frage auf der Zunge. Vorher haben wir vom freiwilligen finanziellen Mitmachen gesprochen. Wie siehts aber sonst aus? Könnten wir nicht mehr tun, um die OnlineReports-Gemeinschaft zu fördern und die Lesenden mehr mitmachen lassen?
Knechtli: Wenn wir nicht auf Werbung-Bolzen auf Teufel komm raus machen wollen, sind wir verstärkt auf unseren Recherchierfonds angewiesen. Wer weiss, vielleicht hat zum 10-Jährigen die eine Spenderin oder der andere Spender ein Herz.
Suter: Sorry, meine allerletzte Frage: Mir fehlen auf unserer Plattform immer noch mehr Frauen - Journalistinnen. Sind wir so hässlich?
Knechtli: Vielleicht. Ich weiss, das ist wirklich zum Heulen.
* von links: Peter Knechtli, Rechtsanwalt und Notar Niklaus Real, Ruedi Suter
14. Oktober 2008
Weiterführende Links:
Die Mitarbeitenden
Peter Knechtli (Politik, Wirtschaft, Aktualitäten), verantwortlicher Editor und Geschäftsführer, ist der einzige fest Angestellte der OnlineReports GmbH. Freiwillig oder auf Honorarbasis arbeiten teils seit dem Online-going Ruedi Suter (indigene Völker, Menschenrechte, Ökologie), Beat Stauffer (Islamismus, Integration), Matthias Brunner (Tierschutz), Elsbeth Tobler (Gesellschaft), Aurel Schmidt (Kultur) und Marc Gusewski (Energie) für OnlineReports. Für die Besprechung der Basler Theater-Premieren ist seit Jahren Claude Bühler zuständig. Drei Kolumnisten bereichern jeweils alternierend den Wochenbeginn: Aurel Schmidt ("Seitenwechsel"), Peter Achten ("Brief aus ...") und Ivo Bachmann ("Host City"). Gelegentlich steuert der Schriftsteller Hansjörg Schneider eine Kolumne bei. Eine Kooperation pflegt OnlineReports mit den beiden Fotografen Claude Giger und Erwin Zbinden von picturebale.ch.
Der Recherchierfonds
OnlineReports bietet Leserinnen und Lesern die Möglichkeit an, journalistische und technische Sonderleistungen zu unterstützen, die über das allgemeine Budget nicht finanziert werden können.
• Aus dem Recherchierfonds können journalistische Recherche-Einsätze finanziert werden, die Freie Medienschaffende leisten und die eine verbesserte Dienstleistung darstellen.
• Der Projektfonds ermöglicht OnlineReports, die technischen Voraussetzungen (Software) zu erweitern oder anzupassen.
Einzelheiten über Recherchier- und Projektfonds hier