Das Velo in Strassburg: selbstverständlich
Am Anfang dieser Geschichte steht ein tragischer Unfall. Im Jahr 1975 wurde in Strassburg eine Velofahrerin von einem Lastwagen überfahren; die junge Mutter verstarb noch am Unfallsort. Wie die französche Tageszeitung "Libération" neulich aufarbeitete, hat dieser Zwischenfall einen grossen Wirbel ausgelöst, viele Bürger waren aufgebracht und demonstrierten gegen die für Velofahrer brandgefährlichen Strassen. Sogar der Pfarrer, der die Frau beerdigt hat, gründete einen "Pro Velo"-Verein.
Mit Erfolg. Seit ich in Basels französischer Schwesterstadt lebe, wundere ich mich fast täglich: Mühsame, teure und kräfteraubende Auseinandersetzungen rund um das Thema Velo gibt es hier längst keine mehr. Die Velo-Stadt Strassburg ist eine selbstverständliche Realität geworden – und alle sind heilfroh.
Was bedeutet das konkret? Zunächst ist der grösste Teil der Innenstadt einfach autofrei. Ausnahmen werden unbürokratisch vergeben, Poller regeln die Zufahrt. Ich habe mich mit Laden- und Restaurantbesitzern unterhalten, sie sind zufrieden mit dieser Lösung, denn: Die ruhige, autofreie Zone zieht Touristen wie Einheimische magisch an.
"Ich kann die allermeisten Orte in der Stadt
entspannt auf Velowegen erreichen."
Grosse Plätze und verwinkelte Gässchen sind voll von Restaurants und schönen Märkten, kleine Läden können den internationalen Ketten so die Stirn bieten. Mit anderen Worten: Von "Lädelisterben" und "toter Innenstadt" – in Basel vielbeklagte Phänomene – kann hier nicht die Rede sein. In den breiten Strassen ohne Autos kommen auch Fussgängerinnen und Velofahrer gut aneinander vorbei; wenn sich nicht alle auf enge Trottoirs drängen müssen, ist das kein Problem.
Diese autofreie Altstadt, die angrenzenden Quartiere und zunehmend auch die Agglomeration verbindet ein Velonetzwerk von rund 560 Kilometern, das seit 1975 kontinuierlich vergrössert wird. Das heisst: Ich kann von meiner Wohnung aus die allermeisten Orte in der Stadt entspannt auf Velowegen erreichen. Die Autofahrer haben sich spürbar an ein gutes Nebeneinander gewöhnt, was umgekehrt für mehr Umsicht bei den bicyclettistes führt. Ein weiterer Vorteil: Velos dürfen mit in die Trams, die einen effizient in Vororte, an den Baggersee oder über den Rhein nach Deutschland bringen.
Die Strassburger begnügen sich aber nicht mit dem Bau von Velowegen. Die Stadt betreibt zusätzlich Vélhop, einen ganz fantastisch organisierten Fahrradverleih. Rund um die Uhr kann man in 25 (!) Boutiquen rund um die Uhr günstig Velos ausleihen, von einer Stunde bis zu einem Jahr, Versicherungen und Unterhalt inklusive. Firmen können für ihre Angestellten auch Flyer mieten – ein Service, der stets ausgebucht ist.
Vélhop ist nicht nur ein tolles Angebot für Touristen, sondern auch eines, das ich und weitere rund 6'000 Einwohner liebend gerne nützen. Diese Velos sind nämlich praktisch und sicher und – das ist das Beste daran – werden kaum gestohlen. Es ist kein Wunder, dass Strassburg längst La cité la plus cyclable en France ist, "die beste Stadt für Velos in Frankreich" – und die viertbeste der Welt.
Der neue Basler "Masterplan Velo" bietet viele gute Ansätze. Es scheint mir aber, dass eine Umsetzung à la française besonders vielversprechend wäre. Ich empfehle den Verantwortlichen deshalb einen Besuch hier in Strassburg – bringen Sie ihren Helm mit, ich führe Sie gerne herum!
11. September 2017
"In Basel kann man das vergessen"
Das Problem von Basel ist wohl eher, dass eine ideologisch geprägte Politik den Verkehr auch auf den grossen Autostrassen (zim Beispiel Ringstrassen) behindert, ihn zunehmend auch dem Velo-Verkehr widmet. (Mal ganz abgesehen davon, dass es gar keine "echte" Umfahrungsmöglichkeit gibt.)
Ich kenne keine Stadt mit Fussgängerzone, in der nicht genügend preiswerte (!) Parkplätze direkt an oder sogar in ihr angeboten werden. Es gibt viele Städte, in der ich auf einer für Autos bevorzugten Strasse an eine Parkhaus-Einfahrt geführt werde – und wenn ich aus dem Lift steige, bin ich inmitten der attraktiven Fussgängerzone. Dort kann man sich auch bei der Vorbeifahrt locker dafür entscheiden, die (Mittags-)Pause mal in der Stadt anstatt an der Raststätte zu machen. In Basel kann man das vergessen; dafür reicht weder Zeit noch Geld.
Die attraktivsten Städte, in denen auch noch Läden und Restaurants gut existieren können, verfügen ohnehin über eine auch für Autofahrer schnell erreichbare Fussgängerzone, in der weder endlose Tramkolonen noch unzählige Velofahrer dafür sorgen, dass es gar nicht mehr darauf ankäme, wenn auch noch Autos durchfahren würden.
In Basel werden für viel Geld grosse, breite Strassen zu "Boulevards" umgebaut, durch die weiterhin Trams und Velos fahren (die also nicht den Fussgängern gewidmet sind); der Verkehr und Suchverkehr wird in die danebenliegenden Wohnstrassen geleitet, die dafür mit "30er-Zone" und kurzen Strecken "Begegnungszone" mit Velo-Gegenverkehr "beglückt" werden.
Peter Waldner, Basel
"Hochspezialisierte Bewegungszampanos"
Strassburg ist eine Weltstadt. Die Basler möchten gerne Weltstadt sein. Doch allein die endlose Diskussion um den rechten Strassenbelag in der Basler Innenstadt ist eine Lachnummer. Basel brachte es seinerzeit mit dem Thema "Autofreier Münsterplatz" in den "Spiegel", weil jahrzehntelang nichts voranging. Und jetzt überbieten sich die Basler gegenseitig mit Fanfaren des Stolzes, dass der Münsterplatz erstmals seit der Erfindung des Verbrennungsmotors (fast) autofrei ist.
Da plant man aber "mutig und zukunftsorientiert" eine Autotiefgarage beim Kunstmuseum und der geneigte Beobachter, der sich noch die Tränen aus den Augen wischt, hat nun Grund zum Heulen. Die hypermodernen Trams quälen sich täglich hundertfach auf krummen Gleisen (Haltestellen!) durch die krummen Innenstrassen und heulen dabei mehr als die alten Zweiachser.
Von den Velozipedisten werden akrobatische Geschicklichkeiten verlangt, um zwischen hohen Randsteinkanten und Gleisen nicht zu stürzen. Entlang solch vielgepriesener "Einkaufsmeilen" wie der Güterstrasse ist der Gleichgewichtssinn überlebenswichtig, um in den Regenwannen nicht auszugleiten. Die Überquerung des Centralbahnplatzes gleicht dem Harakiri und die Fastzusammenstösse zwischen Velofahrern an der Ecke des Marktplatzes sind eine eigene Geschichte. Flickwerk überall. Tagtäglich erlebter innerstädtischer Velostress!
Die Stadt als (architektonische) Brockenstube. Statt grosszügiger Planung überwiegt die Seuche Sicherheit und gerade so wird hier alles nur unsicherer. Planungsfehler wie der Cityring oder die Aeschenvorstadt pflanzen ihre unselige Misere weiter fort. Baustellen ohne Ende. Das Velo muss öfter geschultert werden, um voranzukommen.
Wenigstens werden so in Basel die Fahrradfahrenden zu hochspezialisierten Bewegungszampanos, welche beim nächsten Ironman mithalten können. Fehlt noch, dass die Rheinüberquerung mit dem kombinierten Pedalofahrrad der kürzeste und bequemste Weg verheisst, da einem auf diese Weise auf der Brücke weder Tram noch Bus von hinten aufs Trottoir wegdrücken können.
Stephan Tramèr, Basel