Sorgen um die Rechte meiner Grosskinder
Es gibt etwas, das ich sehr vermisse, seit ich nicht mehr in der Schweiz lebe: Dinge, die mich in meinem Umfeld stören, selber anpacken zu können und auf politischem Weg zu verändern. Ich empfinde eine bisher ungekannte Ohnmacht angesichts von Verhältnissen im öffentlichen Leben, die mich täglich beeinträchtigen, die ich aber in keiner Weise beeinflussen kann. Das liegt einerseits an den politischen Systemen in Deutschland und Frankreich, andererseits aber vor allem auch an meinem Status als Ausländerin und Nicht-EU-Bürgerin in diesen Ländern, in denen ich lebe und arbeite.
Noch vor ein paar Jahren habe ich mich beispielsweise in Liestal für bildungspolitische Anliegen eingesetzt, die mich selber direkt betrafen. Oder ich habe mit Gleichgesinnten in Gelterkinden Unterschriften für einen dringend nötigen zusätzlichen Schnellzugs-Halt gesammelt. Diese Petition hat sicher nicht die ganze Welt verändert, aber möglicherweise einen kleinen Beitrag dazu geleistet, dass der Gemeinde im vergangenen Jahr endlich ein zusätzlicher Halt versprochen wurde.
Während ich mich aus der Ferne über diesen kleinen Etappensieg freue, bin ich heute als Auslandschweizerin dem teilweise katastrophal schlechten öffentlichen Verkehr von Baden-Württemberg völlig ausgeliefert.
"Die Lebensentwürfe vieler junger Menschen
machen kaum mehr
an Nationalgrenzen Halt."
Meine beste Möglichkeit zur politischen Partizipation ist wahrscheinlich ein Kommentar auf der Facebook-Seite des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, von dessen Wahl ich aber ausgeschlossen war. Ähnlich ergeht es mir in Strasbourg: Ich wohne zwar in dieser Stadt, bezahle Steuern und lese französische Zeitungen, die wegweisenden Wahlen in diesem Jahr oder gerade auch lokalpolitische Abstimmungen kann ich aber höchstens interessiert beobachten.
Das hat negative Folgen: Zunächst fühle ich mich zwangsläufig weniger verantwortlich und denke weniger aktiv mit. Warum auch? Eine Initiative ergreifen oder abstimmen darf ich am Ende doch nicht. Ausserdem ist es als Ausländerin viel komplizierter, sich als Teil der neuen sozialen Umgebungen zu fühlen. Natürlich können Heimatgefühle mit der Zeit auch ohne politische Rechte entstehen. Trotzdem bleibt immer ein grosses aber, mein Schweizer Pass ist ein starkes Entfremdungs-Element.
Mit anderen Worten: Obwohl ich erst seit wenigen Jahren Auslandschweizerin bin, empfinde ich es als grosse Einschränkung, an meinen neuen Wohnorten kein politisches Mitspracherecht zu haben. Ich hätte grosse Lust, mich für die Gesellschaften, in denen ich mich bewege, zu engagieren und mich dadurch sicher auch besser zu integrieren. Die Vorstellung, dass meine Grosskinder sich in rund 50 Jahren immer noch in dieser Situation befinden könnten, obwohl meine Familie nicht weggezogen ist, Schulen besucht und Steuern bezahlt hat, scheint mir vollkommen absurd.
Genau das ist im Moment in der Schweiz aber noch der Fall: Die dritte Generation muss einen mühseligen und sehr kostspieligen Prozess der Einbürgerung durchlaufen. Sonst darf sie nicht an Abstimmungen teilnehmen und fühlt sich ausgeschlossen, wodurch wiederum ihre Integration unnötig erschwert wird. Am 12. Februar können wir diesen Zustand ein bisschen verbessern: Die Einbürgerung der Grosskinder von Einwanderern soll gemäss der Vorlage erleichtert werden.
Die Chance, dass es sich dabei um junge Menschen handelt, die ihre Zeit und Energie investieren wollen, um ihr Schweizer Umfeld auf politischem Weg zu gestalten, ist riesig. Die direkte Demokratie ist auf genau solche Personen angewiesen und wird stärker, je mehr Personen sich an ihr beteiligen. Sie ist per Definition auf die Teilnahme ihrer betroffenen Mitglieder ausgerichtet, die sich erst noch besser integrieren, wenn sie über ein Mitspracherecht verfügen.
Diese Erkenntnis kann ich aus eigener Erfahrung in jeder Hinsicht bestätigen. Und ich bin nicht die einzige: Die Lebensentwürfe vieler junger Menschen machen kaum mehr an Nationalgrenzen Halt. Die politischen Rechte sollten an diese Realität mit einem Ja am 12. Februar so schnell wie möglich angepasst werden.
16. Januar 2017
"Ich bin sehr erstaunt"
Ich sehe das Anliegen der jungen Menschen und befürworte sehr, dass sie sich engagieren, dass sie mitreden, dass sie sich einbringen. Da liegt ein Potential, welches noch nicht ausgeschöpft worden ist.
Andererseits bin ich sehr erstaunt: Ende 2015 hätten 920'000 Menschen die formalen Bedingungen erfüllt, das Schweizer Bürgerrecht anzustreben. 920'000 Menschen sind rund die Hälfte aller Menschen mit ausländischem Pass. Jedoch nur knapp 43'000 oder rund 4,5 Prozent der Personen wurden eingebürgert.
Meine Recherche ergab, dass nicht nur die formalen Hürden oder die finanzielle Belastung davon abhält. Von "nicht wichtig" bis "kommt nicht in Frage, denn sonst verliere ich meine angestammte Nationalität" bis zu "ich darf nicht... meine Eltern..." sind die Antworten gekommen. Und die Frage bleibt, warum nicht schon die Grosseltern oder die Eltern den Schritt zur Einbürgerung gewagt haben? Trägt sich die Gleichgültigkeit durch die Generationen?
Kurzum: Ich bin gespannt auf die Zeit nach dem 12. Februar: Werden die Ämter mit Einbürgerungs-Gesuchen überschwemmt oder nicht?
Beatrice Isler, Basel
"Mehr Probleme statt ein besseres Leben"
Man hat das Gefühl, Sarah Bühler absolviere einen Pflichtenlauf für linke Anliegen. Sie beklagt sich über ihre mangelnden Partizipationsmöglichkeiten in politischen Fragen in Frankreich und Deutschland als Schweizerin und Nicht EU-Mitglied. Würde die Schweiz EU-Mitglied, kann ich ihr sagen, dass es um nichts besser würde, im Gegenteil – sie und ihre Grosskinder würden alle Rechte, die wir bis jetzt in der Schweiz haben, verlieren und dürften höchstens alle vier Jahre sorgfältig von der EU-Führung ausgewählte Figuren wählen. Was das mit der Einbürgerung von Ausländern der dritten Generation zu tun hat, ist mir schleierhaft. Diese können sich auch heute einbürgern lassen, wenn sie wollen. Ihnen ist nichts verwehrt.
Was mir allerdings zu denken gibt, ist der zweite Satz in dieser Bestimmung: Es sollen nicht nur Personen der dritten Ausländergeneration erleichtert eingebürgert werden, sondern auch staatenlose Kinder. Was das genau heisst, wird nicht spezifiziert und der Passus wird auch nicht in den Erläuterungen des Bundesrates erwähnt.
Was ist in den Augen des Bundesrates ein Kind? Ein Minderjähriger? Wer stellt dann den Antrag für ihn? Eine Behörde? Heisst Staatenlosigkeit, dass er keinen Pass besitzt? Dann kann ich schon jetzt voraussagen, dass wir bald Tausende von Minderjährigen ohne Pass in der Schweiz haben werden (der Mörder von Freiburg im Breisgau war auch ein Minderjähriger) und damit werden Sarah Bühlers Grosskinder nicht ein besseres Leben haben, sondern mehr Probleme.
Alexandra Nogawa, Basel
"Besser kriminell mit Schweizer Pass?"
Sarah Bühler spricht mir aus dem Herzen. Nur Frau Nogawa begeife ich nicht. Mein Grossvater wurde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts staatenlos, weil das deutsche Kaiserreich seinen Pass einzog und ihn so zum Sans-Papiers machte. Das hiess auch, dass er ohne Pass meine ebenfalls deutsche Grossmutter noch nicht heiraten konnte. Er wurde dann aber mit der ganzen Familie im Zug der Eingemeindung von Kleinhüningen anno 1908 eingebürgert.
Und darüber bin ich mindestens so froh, wie das heutige Staatenlose sind, die dann bleiben dürfen. Und Frau Nogawa, glauben Sie, dass diejenigen Minderjährigen, die kriminell werden wollen, das mit einem Schweizer Pass besser können? Ich befürchte allerdings mit Beatrice Isler, dass sich der Einbürgerungs-Ansturm in Grenzen halten wird.
Peter Ensner, Basel