© Fotos by Jan Amsler, OnlineReports.ch
Thomi Jourdan: "Meine Pläne richten sich nicht gegen Basel-Stadt"Der erste EVP-Regierungsrat der Schweiz startet ins zweite Amtsjahr. Und will noch 2024 die neuen strategischen Varianten für das Kantonsspital Baselland vorstellen. Von Alessandra Paone und Jan Amsler Sie hätten Ihre anfängliche Gelassenheit im Verlauf Ihres ersten Amtsjahrs als Baselbieter Regierungsrat verloren, hört man. Woran liegt das, Herr Jourdan? Thomi Jourdan: Ach ja? Das Umgekehrte ist der Fall.
Tatsächlich? Ja, ich bin jetzt definitiv angekommen.
Hat Sie das Amt zu Beginn überfordert? Es gab eine Phase im vergangenen Winter, in der tatsächlich auch Zweifel aufgekommen sind. Mich haben aber weniger die inhaltliche Herausforderung und die Vielfalt der Aufgaben beschäftigt – darauf war ich vorbereitet, und ich wusste, dass ich mir Zeit geben muss. Es war vielmehr der Umgang mit meiner Rolle als Regierungsrat, oder besser mit den verschiedenen Formen dieser Rolle, der mich umgetrieben hat. Wie verhalte ich mich gegenüber der Öffentlichkeit? Wie gehe ich mit Parlament und Kommissionen um? Wie mit den Dienststellenleitenden in der Direktion? Das Amt ist eine Funktion, die man übernimmt und mit Mensch ausfüllt. Und ja, ich musste für mich herausfinden, was mich in diesem Amt ausmacht.
Und das ist jetzt geschehen? Ja, ich habe meine Rolle gefunden. Ich weiss, wie ich dieses Amt prägen, was ich thematisch machen und wie ich es angehen möchte. Damit werde ich spürbar, sage direkt, was ich gut finde und was nicht. Und es kann sein, dass ich auch mal anecke, aber das gehört ebenfalls zur Politik. Es ist eine Aufgabe, die man mit den richtigen Leuten seriös angehen muss. Ich kann als Gesundheitsdirektor Akzente setzen, die Richtung vorgeben, die richtigen Fragen stellen und muss am Ende mit der Gesamtregierung Entscheide fällen. "Sobald ein Spital Geld von der öffentlichen Hand benötigt, ist die Selbstständigkeit nicht mehr im gleichen Umfang gegeben." Sie spüren keinen Druck? Nein. Lassen Sie mich Ihnen erklären, wie ich vorgegangen bin: Im Bereich des Gesundheitswesens gibt es mehrere nähere und weitere Anspruchsgruppen. Das KSBL (Kantonsspital Baselland; Anm. d. Red.) ist für mich eine nähere Anspruchsgruppe. Dort musste ich zuerst eine Form der Zusammenarbeit finden. Denn die finanziellen Herausforderungen, die die gesamte Gesundheitsbranche betreffen, machten eine engere Zusammenarbeit mit dem KSBL notwendig. Sobald ein Spital Geld von der öffentlichen Hand benötigt, ist die Selbstständigkeit nicht mehr im gleichen Umfang gegeben.
Dann haben Sie das KSBL also zur Chefsache erklärt? Es ging darum, Vertrauen zu schaffen. Schliesslich hatte man zuvor während vieler Jahre mit grösserem Abstand zusammengearbeitet. Heute befinden wir uns in einem gemeinsamen Arbeitsmodus. Das war ein kompletter Gamechanger. Hierfür waren auch Veränderungen innerhalb der Direktion nötig.
Nämlich? In der VGD (Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion, Anm. d. Red.) gibt es zwei Teams: Jenes, das die Rolle des Kantons als Eigner des Spitals vertritt, und jenes, das für die Versorgungsplanung zuständig ist. Das sind diejenigen, die die ganzen Spitalplanungen machen und dabei unseren Kanton in den bikantonalen Arbeiten vertreten. Die beiden Teams waren bis zu meinem Antritt strikt voneinander getrennt. Heute wollen wir sicherstellen, dass Informationen der Versorger besser zu den Spitälern fliessen, zu den eigenen und zu den privaten. Wir haben daher für die derzeit laufenden Projektarbeiten die beiden Teams zusammengeführt. Um sicherzustellen, dass Lösungen entstehen, die das Gesamte und nicht nur eine Seite optimieren. Glauben Sie mir, das war eine kulturelle Veränderung.
In der Zwischenzeit hagelte es politische Vorstösse. Vor allem im ersten halben Jahr. Neben dem Schulterschluss zwischen KSBL und VGD mussten wir also auch einen Modus Vivendi mit dem Landrat finden. Etwas Ruhe ins System hineinbringen und uns überlegen, wie wir die Volkswirtschafts- und Gesundheitskommission einbinden. Ich habe die Kommission stets über unser Vorgehen informiert, erläutert, woran wir arbeiten, und aufgezeigt, dass es wenig Sinn macht, zig weitere Vorstösse einzureichen, weil die Prozesse bereits eingeleitet sind. Und dann sind da noch die ganzen bikantonalen Themen. Sie sehen, es waren weniger fachliche Herausforderungen, die wir zu Beginn angehen mussten, sondern vor allem Beziehungsgeschichten.
"Keine Investition, bevor die Strategie geklärt ist": Thomi Jourdan.
Es entsteht der Eindruck, als habe Ihr Vorgänger Thomas Weber einiges verschlafen. Nein, überhaupt nicht. Es ist immer einfacher, auf der Grundlage von Erfahrungen etwas zu verändern, als etwas Neues zu erfinden. Die bikantonale Spitalplanung ist erst vier Jahre alt. Sie ist in ihrer Form einzigartig in der Schweiz. Aber selbstverständlich müssen wir aus der Vergangenheit lernen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
Also war die Spitalplanung doch nicht so gut … Die Strategie "Fokus" des KSBL ist nach der in Basel-Stadt abgelehnten Abstimmung über die Spitalfusion entstanden. Dass man sich zusammengerauft und etwas auf die Beine gestellt hat, ist eine grosse Leistung. Sie werden von mir nie Kritik an meinem Vorgänger Thomas Weber hören. Für mich war aber klar, dass wir keine Spitalplanung 2.0 machen, ohne dass wir die erste analysiert haben. In diesem Punkt gab es zu Beginn unterschiedliche Auffassungen zwischen Baselland und Basel-Stadt. Wir haben nun beschlossen, die zweite Version der Spitalplanung um ein Jahr zu verschieben. Auch, weil ich klar gesagt habe, dass ich nicht zufrieden bin mit der Mengenentwicklung und mit der Wirkung der Instrumente. Ja, wir müssen besser werden.
Vom Schulterschluss mit dem KSBL war noch vor wenigen Monaten nicht viel zu spüren. Sie haben behauptet, der Ersatzbau auf dem Bruderholz sei sistiert worden. Davon wollte die Spitalleitung aber nichts wissen. Wir haben von Anfang an gesagt: Keine Grossinvestitionen ohne grünes Licht vom Kanton und ohne überarbeitete Strategie. Das Bruderholz ist jedoch schon seit Langem am Planen und hat einen Wettbewerb ausgeschrieben. Diesen bricht man nun nicht einfach ab, zumal viele Architekten an der Arbeit sind. Es gibt aber keinen Investitionsentscheid, bevor die Strategie geklärt ist. Ich habe deshalb bewusst nicht von einem Planungsstopp gesprochen. "Meine Pläne richten sich nicht gegen die gemeinsame Gesundheitsregion. Aber wir müssen Bewegung reinbringen." Sie haben in der bz kürzlich Ihre neuen Ideen für die kantonale Gesundheitsversorgung vorgestellt. Der Schwerpunkt liegt auf der Ambulantisierung. Wie soll das gehen? Die Idee beinhaltet drei Punkte, um eine Ambulantisierung voranzutreiben: Zuallererst muss die Grundversorgung sichergestellt sein. Ergänzend dazu könnten dezentrale Ambulatorien aufgebaut werden, die zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Hausärztinnen und Hausärzten betrieben werden. Und drittens würde ein ambulantes Zentrum für chirurgische Eingriffe ermöglichen, auf stationäre Eingriffe und damit auch stationäre Strukturen zu verzichten. Hier behandeln wir zum Beispiel den gebrochenen Arm, und die oder der Betroffene kann anschliessend wieder nach Hause. Wir müssen sicherstellen, dass die Patientinnen und Patienten nicht die teuren stationären Strukturen in Anspruch nehmen müssen, auch wenn sie einmal über Nacht bleiben müssen, weil die Operation erst am Nachmittag oder Abend stattfinden kann. Hierfür könnte eine hotel-ähnliche Struktur aufgebaut werden. Dieses ambulante Spital könnte zusammen mit Basel-Stadt oder auch mit Privatkliniken betrieben werden.
Und dieses neue ambulante Spital könnte zum Beispiel in Pratteln stehen? Was die Standorte betrifft, gibt es noch keine Entscheide. Aber wenn man die Parkplatzsituation in der Stadt betrachtet, würde ein solches Zentrum in der Agglo Sinn machen.
Was sagt der Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger zu Ihren Plänen? Ehrlich gesagt habe ich zum Thema Ambulantisierung von Basel-Stadt noch keine derart breite Auslegeordnung gesehen. Das hängt wohl auch mit den unterschiedlichen Ausgangslagen der beiden Kantone zusammen. Ich habe aber Lukas Engelberger über die Idee informiert und gehe davon aus, dass wir diese – wie andere Ideen – gemeinsam prüfen. Wir treffen uns hierfür im August wieder. Ganz wichtig: Meine Pläne richten sich nicht gegen Basel-Stadt oder gegen die gemeinsame Gesundheitsregion. Aber wir müssen Bewegung reinbringen. Das Ziel muss sein, dass beide Kantone bei der Gesundheitsregion an Bord bleiben. Auch Baselland muss davon profitieren können. Es ist nicht erklärbar, warum die gemeinsame Gesundheitsregion für uns ein Verlustgeschäft sein soll.
Thomi Jourdan in seinem Büro in Liestal.
Was bedeuten Ihre Pläne konkret für die Standorte Liestal und Bruderholz? Aktuell prüfen wir, welche Strategie des KSBL aus Versorgungs-, Qualitäts- und Kostensicht die beste ist. Dazu prüfen wir verschiedene Varianten an bisherigen Standorten, und wir prüfen auch die Möglichkeit von alternativen Standorten.
Also könnte Liestal verschwinden? Wir haben ganz zu Beginn des Prozesses aus Versorgungssicht die zwingenden Rahmenbedingungen festlegen lassen: Für das mittlere und obere Baselbiet braucht es einen Standort für die Grundversorgung und einen Notfall. Wichtig ist, dass bei allen Standort-Überlegungen die Patientenströme und ihre Kostenwirkungen berücksichtigt werden. Der Standort Bruderholz ist heute zum Beispiel für die Disziplinen Akutgeriatrie und Rehabilitation sowie Orthopädie von grosser Bedeutung und erbringt ein breites Mass an Grundversorgung. Und das Spital befindet sich im bevölkerungsdichten Cluster Birstal/Leimental/Agglo Basel.
Es scheint, als wollten Sie unbedingt am Bruderholz festhalten. Der Standort ist aber seit jeher in der Kritik. Es gab aber auch einmal eine Bruderholz-Initiative, und die Stimmbevölkerung hat entschieden, das Spital zu erhalten. Aber wir gehen absolut ergebnisoffen an die Aufgabe heran. Wenn etwas an einem Ort nicht mehr angeboten wird, die Patienten die Leistung aber nachher woanders wesentlich teurer beziehen, dann ist das am Ende sowohl für die Prämien- als auch die Steuerzahlenden von grosser Relevanz. Und schliesslich wird die Regierung neben allen wirtschaftlichen und finanziellen Überlegungen auch regionalpolitische Themen zu diskutieren haben. Schon heute wissen wir, dass eine Frauenklinik in Liestal regionalpolitisch wichtiger ist als auf dem Bruderholz. "Alles, was in ambulanten Strukturen abgefangen werden kann, spare ich an Vorhalteleistung im vollausgerüsteten Notfall." Wie viele Hausarzt-Ambulatorien bräuchte es dann noch? Das Ganze ist erst eine Idee, und wir sind noch immer dabei, die Grundlagen zu erarbeiten. Erst wenn alles vorliegt, wird die Regierung entscheiden. Teil der Überlegung ist, dass die Ambulatorien nicht während 24 Stunden in Betrieb sein müssen. Für grössere Notfälle und jene spätnachts gehe ich direkt ins Spital. Für kleinere Anliegen gäben die Ambulatorien die Möglichkeit für eine Erstversorgung, auch in den Abendstunden. Die Patienten würden schneller behandelt und der Notfall für jene Fälle freigehalten, die ihn wirklich brauchen. Und natürlich geht es auch um die Finanzen. Denn alles, was in ambulanten Strukturen abgefangen werden kann, spare ich an Vorhalteleistung im vollausgerüsteten Notfall.
Sie krempeln die Baselbieter Gesundheitsversorgung um. Werden wir die Umsetzung noch erleben? Wir haben vor, die verschiedenen Strategie-Varianten des KSBL in der zweiten Jahreshälfte zu präsentieren. Von ursprünglich acht sind wir aktuell bei vier.
Welche Varianten sind nicht mehr im Rennen? Ich nenne nur eine Variante, die wir nicht weiterverfolgen, nämlich jene, dass wir komplett auf ein Spital verzichten. Das haben wir ernsthaft geprüft. Aber es geht aus Versorgungssicht nicht; die umliegenden Institutionen, insbesondere auch jene in Basel-Stadt, könnten die zusätzlichen Mengen nicht bewältigen. Wir reden immerhin von gegen 24'000 Fällen im Kantonsspital Baselland.
Die stationären Behandlungen haben den Kanton Baselland im vergangenen Jahr 409 Millionen Franken gekostet – 7 Millionen mehr als budgetiert. Welche Einsparungen sind realistisch? Die Idee, dass sich diese Zahl umkehrt, ist eine Illusion. Wir werden bis in wenigen Jahren bevölkerungsmässig der älteste Kanton sein. Mehr ältere Menschen bedeuten in der Regel mehr medizinische Leistungen. Zudem: Wir alle prägen das System mit einer Anspruchshaltung, sämtliche Leistungen sofort beziehen zu können. Die Frage ist daher, was sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen – mit mutigen Entscheiden – machen lässt. Der Schlüssel liegt für uns darin, Erkenntnisse aus der Versorgung mit den Strategien zur Spitalentwicklung zusammenzufügen. 5. Juli 2024
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