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"Schutz vor öffentlicher Exposition": Umstrittene BaZ-Berichterstattung*
Journalismus im E. T.-Modus
Die Namensnennung in Informationsmedien sollte liberal gehandhabt werden – faire Berichterstattung vorausgesetzt
Von Peter Knechtli
Der Basler Zivilgerichtspräsident Andreas Schmidlin mahnte die im Gerichtssaal anwesenden Journalisten letzte Woche gleich zu Beginn der Verhandlung: Er "empfehle", den Namen der Klägerin in der Berichterstattung nicht zu nennen. Es ist vermutlich mehr als blosses Kaffeesatzlesen, aus diesem richterlichen Wink mit dem Zaunpfahl einen Hinweis auf das noch folgende Urteil zu erkennen. Es ging darum, ob die "Basler Zeitung" in ihren Berichten über einen Streit des "Walliser Kanne"-Wirts Josef Schüpfer mit dem Gesundheitsdepartement um Forellenhaltung den Namen der sachbearbeitenden Amtstierärztin – nennen wir sie hier unverdächtig E. T. (ihr richtiger Name hat andere Initialen, die der Redaktion bekannt sind) – nennen durfte oder nicht. Zum Gerichtsfall kam es, weil die Zeitung eine Superprovisorische Verfügung des Departements anfocht: Sie beansprucht das Recht, die Namen von Staatsangestellten als Akteure in ihren Artikeln nennen zu dürfen – insbesondere wenn sie mit (wenn auch beschränkter) Entscheidungsgewalt nach aussen und gegenüber Bürgerinnen und Bürgern oder eben Gewerbetreibenden auftreten. Die Anwältin der Amtstierärztin bestritt grundsätzlich, dass ihre Mandantin eine "Person der Zeitgeschichte" sei, die aufgrund ihrer Funktion mit einer Namensnennung in den Medien rechnen müsse. Die Klägerin habe ein Recht, ihrer staatlichen Tätigkeit gegenüber der Medienöffentlichkeit anonym nachzugehen. Das öffentliche Interesse, die subalterne Amtsperson – immerhin stellvertretende Leiterin der Abteilung Tierschutz – sozusagen öffentlich auszustellen, sei nicht gegeben. Demgegenüber führte der BaZ-Anwalt sinngemäss aus, Staatsangestellte müssten sich im Vergleich zu Privatpersonen eher eine Namensnennung gefallen lassen, weil sie als Staatsverwaltende hoheitlich handelten. Die verfassungsmässig garantierte Pressefreiheit sei tangiert.
"Nicht immer verbietet das Gericht die Namensnennung."
Nun ist es aber durchaus so, dass laut Basler Rechtsprechung in Streitfällen auch Privatpersonen mit vollem Namen genannt werden dürfen. Der Schreibende war selbst in einen entsprechenden Fall verwickelt, der vollumfänglich zu seinen Gunsten ausging. Es ging um den Verwaltungsrats-Präsidenten der in massivste Anlagedelikte verwickelten "ASE Investment AG", der in den OnlineReports-Berichten durchgehend namentlich erwähnt wurde. Er klagte gegen OnlineReports wegen Persönlichkeitsverletzung – und verlor. Der Basler Zivilgerichtspräsident stützte sein Urteil auf die Feststellung, dass durch die ASE "eine hohe Anzahl von Personen in erheblichem Mass geschädigt" worden sei. Es habe deshalb "im Zeitpunkt der Publikationen ein grosses Interesse" bestanden, bezüglich der genauen Vorgänge in diesem Zusammenhang informiert zu werden. Überdies sei der klagende Präsident "einer der wichtigsten Entscheidungsträger der fehlbaren Unternehmung" gewesen. Das Gericht bewertete also die gravierende finanzielle Dimension des Falles, die hohe Anzahl Betroffener und die höchste Verantwortlichkeit des Klägers als Präsident der ASE. Im aktuellen Falle der Amtstierärztin dürften diese Kriterien kaum angewendet werden können: Weder hat der "Forelle blau"-Streit eine ähnliche Dimension und Aussenwirkung wie der ASE-Betrugsfall, noch handelt es sich bei der Amtstierärztin um eine Amtsperson des obersten Kaders. Dennoch ist der Fall von Bedeutung. Wenn ein kantonales Departement wie jenes des Juristen Lukas Engelberger zum Instrument der Superprovisorischen Verfügung greift, um den vollen Namen der Amtstierärztin aus der "Basler Zeitung" und allen Informationsmedien zu verbannen, dann dürfte er diesen Schritt ernsthaft bedacht haben. Der CVP-Regierungsrat stellte sich damit schützend vor eine Mitarbeiterin, um sie vor einer öffentlichen Exposition zu bewahren. Wie korrekt oder wie überbürokratisch sich die Amtstierärztin gegenüber dem "Walliser Kanne"-Wirt verhalten hat, kann ich nicht verlässlich beurteilen. Die Berichte – so mein persönlicher Eindruck – zeichnen sich indes nicht als Musterbeispiel der branchenüblichen Fairness aus, worunter das Bestreben des recherchierenden Journalisten zu verstehen ist, im Konfliktfall auch die "andere Seite" wahrhaftig und angemessen darzustellen.
"Vorgeschaltete Filter sorgen für das korrekte und kontrollierte wording."
Wenn sich eine Beamte des unteren Kaders mit einer deliktisch konnotierten Schlagzeile ("Amtstierärztin setzt sich übers Gesetz hinweg") konfrontiert sieht, ist ihre Betroffenheit nachvollziehbar: sie erscheint als Amtsperson, die gesetzeswidrig Gewerbetreibende schikaniert, was einer Amtspflichtverletzung gleichkäme und rechtliche Konsequenzen hätte. Meines Wissens hat aber weder die Strafverfolgung der staatlichen Tierärztin gegenüber solche Vorwürfe erhoben, noch läuft gegen sie eine Strafanzeige. Das macht es mir unmöglich, die einseitig angelegte Artikel-Serie in dieser Form zu verteidigen. Und doch: Wer die Freiheit hat, die Frage der Namensnennung in Informationsmedien über den rein gesetzlich eingeschränkten Fokus hinaus zu analysieren, kann über Superprovisorische Verfügungen der vorliegenden Art, die in letzter Zeit gehäuft zur Anwendung kamen, nicht glücklich werden. Denn recherchierenden Journalisten fällt es immer schwerer, insbesondere in staatlichen Verwaltungen – von der Gemeinde über den Kanton bis zum Bund – ungeschönte Informationen zu erheben, was Richtern (und Anwälten) vielleicht nicht oder zu wenig bewusst ist. Mehr als je zuvor und ganz entgegen dem scheinbaren Anspruch zur Transparenz steht öffentliche Information unter Kontrolle der Amtsträger. Nie zuvor in der modernen Zeit hatten sie eine grössere Macht, darüber zu entscheiden, was aus dem Innenleben ihres Verwaltungsbereichs in die Medien gelangt und was nicht.
Es sind die Schnittstellen zwischen Zivilgesellschaft und Staatsmacht, die – unbemerkt von der Öffentlichkeit – massgeblich zu einer Entwicklung beitragen, die authentischen, direkten Journalismus beeinträchtigt. Selbst die Zahl der Medienschaffenden wird immer kleiner, die noch weiss, was Recherchieren in den siebziger und achtziger Jahren bedeutete: die Selbstverständlichkeit, den Staatskalender zu konsultieren und mit dem zuständigen Beamten direkt in Kontakt zu treten – sei es der Fischereiaufseher, der Bauinspektor oder der Pfändungsleiter. Diese Fachleute gaben den Medien aus erster Hand und ungeschminkt Auskunft, was Sache war. Gewiss, gelegentlich wären ihre Vorgesetzte glücklicher gewesen, wenn auf diese Weise bestimmte Details nicht oder in "bereinigter Form" in die Medien gelangt wären. Doch diese Zeiten sind vorbei und die Verhältnisse sind irgendwie aus dem Lot geraten: Die freie Recherche wird immer schwieriger und aufwändiger, weil vorgeschaltete Filter für das korrekte und kontrollierte wording sorgen und für die Departemente möglicherweise unangenehme Fakten mit perfekter Amtssprache klinisch reinwaschen.
"Ross und Reiter zu nennen, ist und bleibt zentraler journalistischer Grundsatz."
Gleichzeitig gehört es zum Repertoire von Regierungsräten, die Medien nach PR-Muster zur Berichterstattung aufzubieten, die geeignet sind, sie in ein sympathisches Licht zu rücken. Häufige Namensnennung erwünscht. Gern mit Bild. Auch untergeordnete Staatsangestellte gefallen sich bei sich allenfalls bietender Gelegenheit darin, von den Medien mit Namensnennung wahrgenommen zu werden, sofern der Kontext unumstritten ist und in einem positiven Bezug zur gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung steht. Es steht im Falle der Basler Amtstierärztin durchaus ein Aspekt der Medienfreiheit zur Diskussion. Denn Ross und Reiter zu nennen ist und bleibt ein zentraler Grundsatz der journalistischen Information – immer allerdings unter der Prämisse der fairen Berichterstattung. Wir dürfen also darauf gespannt sein, ob Richter Andreas Schmidlin in seiner Urteilsbegründung auch auf das staatliche Transparenz-Bekenntnis eingeht oder ob er Akteuren der Verwaltung das Recht einräumt, in Medienberichten künftig als gesichtslose Gesetzesvollstrecker auftreten zu dürfen. Sicher ist: An einem E. T.-Journalismus kann keine offene Gesellschaft ein Interesse haben.
* Einschwärzung durch die OnlineReports-Redaktion
16. April 2018
Weiterführende Links:

"Bärendienst von Journalisten"
Endlich wird es mal beim Namen genannt: Faire Berichterstattung. Wie soll man sich verhalten, wenn eine völlig unfaire, den Tatsachen überhaupt nicht entsprechende Berichterstattung einen Menschen angreift, notabene eine Sachbearbeiterin und nicht einen Entscheidungsträger, wegen des Amtsgeheimnisses die Öffentlichkeit aber nicht über die Sachlage informiert werden darf? Und wen wundert es nach solchen Vorfällen, dass Ämter überhaupt nicht mehr gewillt sind, mit gewissen Medienschaffenden und Zeitungen zu kommunizieren? Gewisse Journalisten erweisen ihrer Zunft einen Bärendienst.
Irma Seiler, Basel
"Es darf keine Geheimnistuerei geben"
Wäre die Amtstierärztin sicher, alles richtig gemacht zu haben, stünde sie mit ihrem vollem Namen zur Sache und würde nicht die Forderung erheben, diesen nicht nennen zu dürfen. Da es sich um eine Staatsangestellte handelt, darf es keine Geheimnistuerei geben, sonst sind wir in einer Diktatur ohne jede Pressefreiheit.
Alexandra Nogawa, Basel
"Die Amtstierärztin ist Staatsdienerin"
In erster Linie ist auch eine Amtstierärztin eine Staatsdienerin; die Angestellte des Volkes, von dem sie ihre monatlichen Bezüge bezieht. Warum ihre Arbeitgeber ihren Namen nicht wissen dürfen, ist mir unverständlich.
Eine "Person der Zeitgeschichte" scheint mir doch etwas sehr, sehr hoch gegriffen.Selbst dass sie als "Staatsverwaltende hoheitlich handelte", tönt irgendwie unglaublich monarchisch.
Die Frage ist doch nur, ob diese "Hoheit" völlig übertriebene Gesetze und/oder ihre Ausführungsbestimmungen nach eigenem Gusto übertreten, oder im vorgegebenen Rahmen gehandelt hatte.
Die BaZ unterstellt ihr, weitab von dem hoheitlich gehandelt und entschieden zu haben, was der Gesetzgeber einst gewollt und entschieden hatte. (Vom "gesunden Menschenverstand" zu reden, ist ohnehin kein Thema; dafür interessiert sich die Politik nicht, die Justiz schon gar nicht.)
Wenn die BaZ sich getäuscht hatte, weil der Grosse Rat oder die Regierung (mit ihren Ausführungsbestimmungen) diesen Unsinn vorgeschrieben haben sollte, dann sollte sich die BaZ bei der gesetzestreuen Staatsverwaltenden entschuldigen. Wenn nicht, dann würde die Justiz gegebenenfalls nur dem Volk Informationen vorenthalten, um etwas zu verschleiern, das einfach nur falsch ist. Dann nämlich ist es eigentlich die Pflicht einer Zeitung, den Namen zu nennen.
Peter Waldner, Basel
"Staatsdiener sind keine Geheimräte"
Der Basler Zivilgerichtspräsident Andreas Schmidlin – darf man den eigentlich kennen und nennen? – hat's wirklich einfach mit dem grotesken "Fall" der von der BaZ im Zusammenhang mit einer umstrittenen Amtshandlung namentlich genannten Amtstierärztin: Er braucht als Urteilsbegründung nur auf Peter Knechtlis Analyse zu verweisen. Als Schreibtischtäter fragwürdige obrigkeitliche Verfügungen zu erlassen und für deren Folgen die Steuerzahler haften zu lassen, für solches Amtsverständnis darf es keine Anonymität geben.
Zum Qualitätsanspruch einer direkten Demokratie nach Schweizer Art gehört es doch, dass die Medien ohne Furcht vor Sanktionen Ross und Reiter nennen, wenn Ungereimtheiten ruchbar werden. Die Leistungskontrolle der Exekutive obliegt nicht den Departementschefs alleine, sondern gleichermassen der "vierten Gewalt", also den Medien, die man sich als Maukorbträger wirkliich nicht vorstellen mag.
Sollte das Zivilgericht zum absurden Schluss kommen, Basler Staatsdiener hätten wie "Geheimräte" besonderen Persönlichkeitsschutz zu geniessen und dürften aus der Deckung der Anonymität heraus tun und lassen, was sie allein für richtig erachten, dann würden sofortige Konsequenzen auf der Medienseite überfällig. Schluss also mit Namensnennungen für alle, die im Staatskalender stehen, selbst wenn sie nach medienöffentlicher Wiederwahl-Aufmerksamkeit oder Applaus lechzen. Und die am Ende amtlicher Verlautbarungen zu findende Einladung, Medien-Rückfragen seien an Frau X oder Herrn Y direkt zu richten, könnte man sich in Basel dann auch schenken: Anonyme Quellen zitiert man nicht.
Peter Amstutz, a. BaZ-Bundeshaus-Redaktor, Sursee
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