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"Ich werde es nicht zulassen": Baselbieter FDP-Chef Herrmann
FDP-Steuermann Michael Herrmann in struben Zeiten
Zwischen Wagner und Schäfli, zwischen SVP und CVP: Wohin der Baselbieter Freisinn vor den eidgenössischen Wahlen steuert, bleibt unklar
Von Peter Knechtli
Die Baselbieter FDP, lange im Ruf, sich dem SVP-Kurs anzunähern, zeigt wieder eine Tendenz Richtung Mitte: Eine Mehrheit der sieben freisinnigen Nationalratskandidaten unterstützt Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter als CVP-Ständeratskandidatin. Das ist ein Richtungsentscheid. Doch Einigkeit ist in der Partei nicht eingekehrt.
Diesen Frühling wars in einem lauschigen Rebhäuschen hoch über Biel-Benken, als der Schweizer CVP-Präsident Christophe Darbellay ohne Zögern sagte: "Die FDP ist keine Mitte-Partei, sondern steht irgendwo rechts zwischen SVP und CVP." Die führende Mitte-Partei, so die Aussage des obersten Parteichristen, sei nun die CVP.
Während sich die Christdemokraten trotz gelegentlichen strategischen Absprachen – vor allem in Personalfragen – programmatisch klar von der SVP absetzen, war die Position des einst staatstragenden Freisinns oft nicht klar. Das zeigte sich vergangenen Februar, als Exponenten des Baselbieter Freisinns und der SVP gemeinsam den von der SVP angestrebten Referendums-Sieg gegen eine Erhöhung der Theater-Subvention feierten.
Wagner will FDP-Kurs definieren
Mittlerweile hat sich – ohne offiziellen Richtungs-Entscheid und nachvollziehbaren Grund – das Blatt gewendet: FDP-Nationalratskandidat Martin Wagner, der noch vor einem Jahr das Kredo des Unpolitischen gelobte und sich jetzt, erst gerade Parteimitglied geworden, der FDP-Basis als "grundliberaler Freisinniger" offerierte, riss in einem Sololauf das Steuer herum. Mit seinem schroffen Angriff auf den SVP-Lenker Christoph Blocher, mit dem er noch letztes Jahr geschäftete, vertrat Wagner aber nicht das Wahlprogramm der FDP, sondern sein eigenes. "Zu meinem Wahlprogramm gehört selbstverständlich die Abgrenzung der FDP von der SVP", beanspruchte Wagner Definitionshoheit in einem Interview mit der "Aargauer Zeitung".
Immerhin steht Wagner damit auf dem Siebner-Ticket nicht allein: Zusammen mit Balz Stückelberger outete er sich kürzlich als Supporter der vor allem gegen die Ständeratskandidatur von SVP-Nationalrat Caspar Baader gerichteten CVP-Ständeratskandidatur von Elisabeth Schneider. Via Facebook bekannte sich auch die Eptinger FDP-Nationalratskandidatin Stephanie Eymann Schneider zur zielstrebigen CVP-Frau (ohne allerdings deren Komitee beizutreten), worauf ihr Oberwiler Mitbewerber Paul R. Hofer den Beitritt zum Komitee "Schneider-Schneiter in den Ständerat" öffentlich machte. Der neu gewählte Handelskammer-Direktor Franz Saladin will, wie er OnlineReports erklärte, weder Caspar Baader noch Elisabeth Schneider unterstützen. Auch die Thürner Bewerberin Daniela Schneeberger will sich in der Ständerats-Frage "draus halten" und als Nationalratskandidatin keinem Komitee beitreten.
Gysin: "Rundumschlag goutiere ich nicht"
Doch nicht allen freisinnigen Nationalrats-Aspiranten gefiel das starke Signal einer Absetzbewegung gegenüber der SVP. In der "Basellandschaftlichen Zeitung" ging der FDP-Rechte Patrick Schäfli, der zur SVP beste Kontakte unterhält, auf Distanz zu Wagners "aggressivem Wahlkampf", der, so seine Befürchtung, die Wähler vom Urnengang abhalten könnte.
Nur vier Tage zuvor distanzierte sich auch Wirtschaftskammer-Direktor und abtretender FDP-Nationalrat Hans Rudolf Gysin von Wagner. Im "SonntagsBlick" ("Gysin stellt Wagner kalt"), dessen Mutterhaus Ringier bekanntlich nicht gut auf Wagner zu sprechen ist, sagte er: "Seinen Rundumschlag gegen Blocher und die SVP goutiere ich nicht. Die FDP muss mit der SVP zusammenarbeiten" – so, wie vergangenen Mai, als der Baselbieter Wirtschaftsrat einstimmig bei fünf Enthaltungen die Unterstützung der Ständeratskandidatur Baader beschloss. Und Gysin fügte an: "Wagner ist kein politischer Typ."
Einfluss über alle möglichen Kanäle versucht der Wirtschaftsanwalt aber doch zu nehmen. Selbst dem Parteipräsidenten Michael Herrmann, so orakelt eine FDP-Quelle, habe Wagner schon Reaktionsanweisungen gegeben. Als OnlineReports den sofortigen Rücktritt der FDP-Wahlkampfleiterin auch mit dem "Verhalten" Wagners begründete, liess der wortreiche Verfechter der Medienfreiheit ("ich trete pointiert auf") eine Gegendarstellung publizieren, die sich gegen die ihn betreffende Passage richtete. Support erhielt er vom Arlesheimer Blogger Manfred Messmer. Dieser Bonsai-Stöhlker dichtete OnlineReports ein "Märchen" an, obschon er es besser hätte wissen müssen. Denn OnlineReports hatte stichfeste Informationen aus erster Hand.
SVP will nicht kontern
Offenkundig ist derzeit nur, dass die Beziehung der Baselbieter FDP gegenüber der SVP unklarer ist als je zuvor. "Die zerschlagen noch das letzte Geschirr", meinte SVP-Landrat Karl Willimann gegenüber OnlineReports. "Wir haben Wagner nicht so tollpatschig eingeschätzt. Seine "absolut unerklärlichen Angriffe" auf Blocher und die SVP würden "in breiten Kreisen nicht goutiert". Diese Angriffe aber zu kontern, so Willimann, "wäre kontraproduktiv".
Dass die sieben Nationalrats-Kandidierenden ohne Übereinstimmung mit der Parteibasis eigene politische Züglein fahren, stört Parteipräsident Michael Herrmann nicht. Er freut sich nach aussen über die öffentlichkeitswirksame Binnenkonkurrenz: "Das ist das Beste, was uns passieren kann", sagte er vor einigen Wochen zu OnlineReports.
"Lehren einmal mehr nicht gezogen"
Doch wie weit Herrmann seine Partei im Griff hat, ist unklar. Parteimitglieder berichteten OnlineReports, ihr Steuermann sei "nervös". In einem internen Mail verurteilte er den "SonntagsBlick"-Artikel "aufs Schärfste" und schrieb: "Ich werde es nicht zulassen, ... dass Kandidierende von eigenen (!) Parteimitgliedern angegriffen und sogar lächerlich gemacht werden." Die Lehren aus den Diskussionen um die Theatersubventionen oder Harmos "scheinen einmal mehr nicht gezogen worden zu sein". Gysin wiederum konterte: Die "fiesen Unterstellungen" Herrmanns an seine Adresse weise er "kategorisch" zurück.
Mehr noch: Der Wirtschaftskammer-Direktor, der am Nominationsparteitag vom 10. Mai überraschend seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur bekannt gab, schien an der ersten Wahlkampfsitzung sechs Wochen später als Berater nicht mehr gefragt. "Gemäss Parteipräsident Herrmann ist anscheinend die Präsenz des noch amtierenden FDP-Nationalrats und Kampagnenspezialisten Gysin nicht erwünscht." Er habe den "Entscheid über mein Nichtmitwirken akzeptiert und werde nicht mehr darauf zurückkommen". Den einzelnen FDP-Kandidierenden stehe er aber "auf Anfrage gern beratend für ihren persönlichen Wahlkampf zu Verfügung".
Gelassen über Mandate der Ehefrau
Für diese Mandate interessieren sich auch Andere. Zum Beispiel Bettina Fischer Herrmann, die Ehefrau von Parteipräsident Michael Herrmann. Nicht ohne Argwohn zirkulierte innerhalb der FDP schon vor Wochen die Information, dass Bettina Fischer die persönliche Wahlkampagne von Martin Wagner leitet. Es sei problematisch, dass Herrmanns engste private Vertraute individuelle Kandidaten-Promotion betreibe, hiess es etwa.
Recherchen von OnlineReports zeigen indes, dass sich die meisten der übrigen Kandidierenden an dieser Praxis nicht stören. Im Gegenteil: Der Tenor zeigt Verständnis dafür, dass eine selbstständig Erwerbende PR-Frau und Kampagne-Spezialistin ihre Mandate dort akquiriere, wo sie vorhanden seien – zumal ihr Kampagne-Angebot auch für andere Personen auf der FDP-Liste gelte. So nimmt auch Stephanie Eymann die Dienste der Gelterkinder PR-Frau teilweise in Anspruch, dies allerdings nur "im kollegialen Rahmen" (Fischer Herrmann). Daniela Schneeberger hat sich nach ihrem Bekunden "ein eigenes Team zusammengestellt", ebenso Patrick Schäfli. Wer Franz Saladins Kampagne organisiert, wollte er nicht verraten.
FDP-Sektions-Freunde
Bettina Fischer Herrmann sagte zu OnlineReports, das Mandat sei auch schon deshalb nahe liegend, weil Wagner, in Rünenberg wohnhaft, durch seinen Parteieintritt wie sie der FDP-Sektion Gelterkinden angehöre. Sie habe ausserdem schon den Landrats-Wahlkampf und weitere Kampagnen von FDP-Exponenten mitbestritten.
Wagners Wahlchancen sind intakt. Doch der Mann ist flexibel in der Zukunftsgestaltung. Seine Verlegertätigkeit bei der "Basler Zeitung", als Langfrist-Engagement angekündigt, hatte gerade mal neun Monate Bestand. Wenn er die Wahl nicht schaffe, sagte der Neo-Freisinnige Wagner zu TeleBasel, dann sei seine politische Karriere kommenden Herbst "auch wieder beendet".
5. Juli 2011
Weiterführende Links:
"Warum hat es Herr Wagner bei der BaZ nicht vorgemacht?"
Original-Ton Martin Wagner: „Herrn Knechtli wünsche ich etwas mehr Gelassenheit und Objektivität.“ Mich und wahrscheinlich viele andere Leser würde es sehr interessieren, warum Herr Wagner das nicht bei der BaZ vorgemacht hat? Wie war das mit Anspruch und Realität? Eben.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Bedürfnis nach Qualitätsjournalismus"
Nach der Lektüre dieses Artikels freue ich mich umso mehr auf die neue Online-Zeitung der Topjournalisten Buess und Leupin. Dieses neue Medienangebot ist dringend notwendig, denn wir alle dürfen unser Bedürfnis nach Qualitätsjournalismus nie preisgeben. Herrn Knechtli wünsche ich etwas mehr Gelassenheit und Objektivität. Verschwörungstheorien sind halt nach wie vor eine ungeeignete Triebfeder für unsere Medienschaffenden.
Martin Wagner, Rünenberg