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"Dann kennt sie nichts": Linke Aufsteigerin Samira Marti

Die Aufsteigerin im Generationen-Wandel der Baselbieter SP

Porträt eines "enormen Arbeitstiers": Die 24-jährige Baselbieter SP-Politikerin Samira Marti wird die jüngste Nationalrätin der Schweiz


Von Peter Knechtli


Die erst 24-jährige Politikerin Samira Marti ist für die Baselbieter SP ein Glücksfall: Sie stürmt in den Nationalrat, an die Spitze der Gewerkschaft VPOD und ins Top-Kader ihrer Kantonalpartei. Solche Raketen-Starts wecken in der Regel gleich Zweifel. Bei Samira Marti eher nicht. Dennoch gibt es auch warnende Stimmen.


Der sehr bescheidene 1. Mai-Umzug der Sozialdemokraten und Gewerkschafter stand im Regen. Damals am 1. Mai 2015 in Sissach. Doch wenig später, im Saal des "Jakobshofs", brach der grösste Jubel aus, als die unbekannteste Rednerin ans Mikrofon schritt: die Juso-Politikerin Samira Marti.

Vielleicht waren es die Juso-Kumpel, die ihrer ehemaligen Co-Präsidentin phonstarken Begleitschutz gaben, und ihre Rede war nicht preisverdächtig. Aber die entscheidende Botschaft lautete: Achtung – die Zukunfts-Frau der Partei! Ja, sagt Samira Marti drei Jahre später, sie habe die deutliche Zuwendung wahrgenommen. "Noch heute sprechen mich viele Parteimitglieder, die ich nicht kenne, auf diesen Auftritt an."

Produktiver Juso-Brutkasten

Wie Kantonalpräsident Adil Koller und sein Landrats-Genosse Jan Kirchmayr, beide 25-jährig, ist auch die um ein Jahr jüngere Samira Marti dem im Baselbiet als besonders produktiven Brutkasten der Jungsozialisten entsprungen. Die Zeit, eine erste Bilanz ihres Wirkens zu ziehen, wird erst noch kommen. Denn die öffentliche Wahrnehmung der in Liestal wohnenden Volkswirtschafts-Studentin steht noch aus.

Aber bald geht's bei ihr so richtig los: Während sie an der Universität Zürich den Master absolviert und bei der SP Schweiz in Bern zu 50 Prozent als Kampagnenplanerin arbeitet, wurde sie letzten Dienstag gleich zur neuen Präsidentin der im öffentlichen Dienst tätigen Gewerkschaft VPOD beider Basel gewählt. Gleichzeitig ist sie bereits Vizepräsidentin der SP Baselland. Und im Spätherbst wird sie als Nachfolgerin von Susanne Leutenegger Oberholzer und jüngste Nationalrätin der Schweiz unter der Bundeshauskuppel vereidigt werden.

Kathrin Schweizer machte Weg frei

Dabei entsprach es gar nicht ihrem Ehrgeiz, so viel auf einmal zu wollen. Einzig das VPOD-Präsidium hatte sie angestrebt: Letzten November reagierte sie positiv auf eine Anfrage zu einem Zeitpunkt, als ihr Nationalrats-Glück als Zweitnachrückende noch in weiter Ferne lag und die Pläne Leutenegger Oberholzers noch nicht bekannt waren.

Erst als die Augster Langzeit-Parlamentarierin ihren Rücktritt auf die zweite Jahreshälfte hin offiziell bekanntgab, begann sich das Karussell zu drehen: Die Erstnachrückende Landrätin Kathrin Schweizer entschied sich gegen den Gang nach Bern, sondern für die Regierungs-Kandidatur, was Marti den Weg ins Bundeshaus frei machte. Eine Ämtchen-Sammlerin sei sie nicht, sagt Samira Marti. Mit Beginn des Nationalrats-Mandats will sie ihren SP-Job aufgeben.

Glanzergebnis bei Nomination

Der Weg nach oben hatte sich innerhalb der Links-Partei schon früh abgezeichnet. Bei der parteiinternen Nomination für die Nationalratswahlen erzielte sie – was den späteren Jubel im "Jakobshof" miterklären könnte – knapp hinter Eric Nussbaumer das zweitbeste Ergebnis, noch vor der Susanne Leutenegger Oberholzer.

Ihr früherer Juso-Präsidium-Kollege und heutiger Landrat Jan Kirchmayr bewundert Marti als "enormes Arbeitstier" und "verbissen im positiven Sinn". Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt habe, "dann kennt sie nichts". Im Frühling 2015 war die SP gerade aus der Regierung geflogen und in die Oppositionsrolle versetzt. Rechtzeitig in diesen "enormen Umbruch" platzte Samira Marti, die als Hoffnungsfunke so etwas "wie den Neuanfang der SP verkörperte" (Kirchmayr).

Als "bemerkenswert ausgeglichen" und "sehr gut organisiert und strukturiert" charakterisiert der junge Kantonalpräsident Adil Koller (25) die noch jüngere Partei-Hoffnung. Sie ist ihm wie Kirchmayr als "Familienmensch" aufgefallen, der auch nicht politisch Engagierte zum Freundeskreis zählt.

"Systematische Frauen-Unsichtbarkeit"

Als "Powerfrau" wahrgenommen zu werden, stört Samira Marti nicht. Über sich selbst sagt sie: "Ich habe viel Energie, bin eher klar und analytisch, nicht emotionsgesteuert." Was ihr aber auf den Keks geht, sind Erfahrungen mit Journalisten-Fragen, ob das Nationalrats-Mandat mit ihrer Familienplanung in Einklang stehe. Säuerlich machen sie auch Hinweise auf ihre Juso-Kumpel Koller und Kirchmayr ("das ist die Zukunft der Partei"), während sie daneben steht. Marti: "Diese Unsichtbarkeit der Frauen hat eine gewisse Systematik."

Mit den Juso ist Samira Marti immer noch eng verbunden, auch wenn sie deren Entscheide auch mal "Schwachsinn" findet: so die Forderung, die SP soll Oppositionspartei bleiben und die Rückkehr in die Kantonsregierung nicht wagen. "Das würde zum Stillstand führen. Doch in der repräsentativen Demokratie schuldet man den Wählern Engagement in der Regierung", begründet sie staatsfrauisch.

Streit um "Neger"

Selbst wenn Fritz Oser, ihr Grossvater mütterlicherseits, FDP-Landrat und Ehrenpräsident der "Liga der Baselbieter Steuerzahler" war: Soziales Verhalten in allen Bereichen ist das, was Samira Marti und ihre beiden jüngeren Geschwister von ihren linken Eltern – beide Primarlehrer, Vater früherer GSoA-Aktivist, Mutter Basler "Stadtgärtnerei"-Sympathisantin – "in einem politischen Haushalt gelernt" haben: "Als Privilegierte, wie wir es sind, ist man sozial und setzt sich für die Schwächsten ein."

Diesen Leitsatz beherzigte klein Samira schon im Alter von acht Jahren, als zwei dunkelhäutige Zwillinge von Schülern als "Mohrenköpfe" beleidigt wurden. "Das ist im Fall rassistisch", schrieb sie einem Beleidiger. Worauf dieser zurück wetterte: "Ich habe zu Hause gelernt, dass man Neger Neger nennt. Das lasse ich mir von Dir nicht ausreden."

Politik-Impuls Bildungs-Abbau

Das politisierende Urelebnis stellte sich bei Samira Marti "über den Bildungsabbau" ein, als in Reigoldswil ihre Sekundarschule hätte geschlossen werden sollen. Ein "super organisierter breiter Widerstand", den Samira Marti und ihre Eltern mittrugen, verhinderte das Vorhaben.

Aktiv war die Jungpolitikerin auch im Gymnasium als Präsidentin der Schülerinnen- und Schülerorganisation, wobei sie im Jahr 2012 die erste grosse Schüler-Demonstration in Liestal mitmobiliserte. Dem Jugendrat, einem Konsultativgremium der Regierung, gehörte sie so lange an, "bis es mir nicht mehr reichte, den Blumenstrauss zu überreichen und hinten nur zuzuhören".

2013 in die SP eingetreten, übernahm sie auch gleich das Juso-Präsidium und den Abstimmungskampf um die "Transparenz-Initiative", die mit über 43 Prozent Ja-Stimmen ein sehr beachtliches Ergebnis erzielte. Eine Schlappe, die ihr die Grenzen des Erfolgs schlagartig bewusst machte, musste Vorstandmitglied Samira Marti in der Wahl um das Präsidium der Juso Schweiz einstecken: Sie erzielte nur halb so viele Stimmen wie ihre Gegenkandidatin Tamara Funiciello. "Es musste so kommen und es war auch gut, zu erleben, dass es einmal nicht wie erwartet endet."

"Nicht ins Heroische befördern"

Diese nüchterne Selbsteinschätzung dürfte dem früheren Baselbieter SP-Regierungsrat Peter Schmid gefallen, der über Samira Marti sagt: "Sie ist einfach eine gute und absolut normale junge Frau, bei der man auch mal um zwölf Uhr nachts Spaghetti essen kann. Aber", fügt er mahnend an, "man muss sie nicht gerade ins Heroische befördern". Denn der einstige Baselbieter Erziehungsdirektor – mit den Unwägbarkeiten des Politik-Betriebs vertraut – weiss: "Die Wege vom politischen Nobody zum Partei-Leader und retour können kurz sein."

Der Muttenzer Politiker weist auf diesen Aspekt hin, um "keinen Erwartungsdruck auf Samira Marti aufzubauen, den sie nicht erfüllen kann". Schmid bemerkt auch, dass sich "das Zusammenwirken der Generationen verändert hat". Sie gingen heute "vorbehaltlos und offen aufeinander zu" – eine Respektkultur, die auch dem früheren SP-Baudirektor Edi Belser auffällt.

An Samira Marti (wie auch an andern gereiften Jusos) bemerkt Schmid denn auch "so etwas wie eine konservative Vorstellung von Anstand", aber auch die "grosse Ernsthaftigkeit", mit der sie sich in die Politik vertieft. Sie habe auch eine "ausgesprochene Begabung, auf Menschen mit verschiedenem Flair zuzugehen". Andere nennen sie ein typisches Beispiel des "Generationenprojekts" der Baselbieter SP.

An Wirtschafts- und Steuerpolitik interessiert

Samira Marti weiss, dass "hohe Erwartungen in mich gesetzt werden" und in Bern niemand auf sie gewartet hat. Deshalb hat sie sich auch nicht zuviel vorgenommen: "Wirtschafts- und Steuerpolitik interessiert mich sehr", sagt die Ökonomin im Bewusstsein, dass eine Einsitznahme in der bedeutenden Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK), "die mich sehr interessiert, im Moment nicht realistisch ist". Realistisch hingegen ist, dass mit der Entschädigung für das Nationalrats-Mandat "mein Studium gesichert ist".

Sorgen macht sich die Aufsteigerin über den politischen Zustand des Baselbiets. Ob sie sich in Bern oder in Zürich aufhält: "Ich werde ausgelacht. In unserem Kanton herrscht Planlosigkeit und Stillstand. Es ist nicht erkennbar, wohin diese Regierung steuern will". Zu "regelmässigen Negativ-Schlagzeilen" führe auch die 20-prozentige Kürzung der Renten für die Staatsangestellten. Ihre Gewerkschaft und auch weitere Verbände des Staatspersonals wollen in den nächsten Wochen entscheiden, ob sie ihre Streik-Drohung tatsächlich umsetzen wollen.

Es ist der erste Härtetest für Gewerkschafts-Präsidentin Samira Marti und ihre gelobte "starke Basis-Orientierung".

5. Juni 2018

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