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"Aus Gründen der Rechtssicherheit": Parking-Ärgernis Falknerstrasse
Verkehrskonzept Innerstadt: Mischung aus Ränkespiel und Tollpatschigkeit
Ein heikles Projekt unter der Lupe: Wie Interessenvertreter die verkehrsfreie Basler City in die Sackgasse fuhren
Von Christof Wamister
Das Konzept einer verkehrsberuhigten Basler Innenstadt ist ein Gesetzgebungs-Beispiel von seltener Absurdität: Die Regierung stoppte die Umsetzung in letzter Minute, nachdem Interessenverbände mit einer geschickten Kampagne ein altes Anliegen wieder ins Spiel gebracht und die Grossräte sich von eigenen Vorgaben distanziert hatten. Jetzt erschweren auch noch Zufahrtssperren ("Poller") den harzigen Prozess.
"Immer waren sie unmittelbar davor, einen Anführer zu haben und eigene Gesetze und Gebräuche, aber daraus wurde nie etwas, weil ihr Gedächtnis nicht von einem Tag bis zum nächsten reichte, und deshalb einigten sie sich auf ein von ihnen erfundenes Sprichwort: 'Was die Bandar-log heute denken, denkt bald der Dschungel', und das tröstete sie sehr."
(Kipling, Das Dschungelbuch)
Die Vorgänge sind bemerkenswert, ja einmalig. Im August 2013 beschloss die baselstädtische Regierung eine Verordnung "betreffend die ausnahmsweise Zufahrt in die Innenstadt", die auf Vorgaben des Grossen Rates von 2011 basiert. Damals stimmte das Parlament dem Kredit für das neue Verkehrskonzept Innenstadt mit 60 gegen 24 Stimmen und bei Namensaufruf zu. Dagegen votierten die SVP-Fraktion und einzelne Liberale und Freisinnige – unter ihnen der heutige FDP-Regierungsrat Baschi Dürr. Im November 2013 informierten die Behörden an mehreren Veranstaltungen über die Massnahmen und auf den 1. Januar 2014 trat die Verordnung in Kraft. Die Neubeschilderung war für die Wochen nach der Fasnacht vorgesehen.
Zwei Schritte zurück
Doch vor und nach den Weihnachtsfeiertagen entspann sich eine vom Gewerbeverband, den bürgerlichen Parteien und der "Basler Zeitung" getragene Kampagne gegen "gewerbefeindliche Schikanen", so dass am 4. Februar die zuständigen Regierungsräte Hans-Peter Wessels und Baschi Dürr "nach einer Besprechung mit Vertretern des Gewerbeverbandes" und "aus Gründen der Rechtssicherheit" beschlossen, die Umsetzung der Massnahmen bis auf weiteres auszusetzen. Die Überzeugung, dass es so nicht gehe, erfasste auch eine Mehrheit des Grossen Rates und im April überwies das Parlament eine Reihe von Vorstössen, mit denen die Verordnung sozusagen korrigiert wurde.
Die Hinweise aus dem links-grünen Lager, dass die Verordnungs-Ebene eigentlich Sache der Regierung sei, verfingen nicht. Der Grosse Rat kam auf sein Zweidrittels-Mehr für das Verkehrskonzept Innerstadt von 2011 zurück und trennte das Gewebe der Penelope wieder auf, um es mit einem Bild aus der Odyssee zu sagen.
Hochzeitstorten und Begräbnisgebinde
Homerisch ist die Geschichte der verkehrsberuhigten oder autofreien Innerstadt in der Tat. Doch der Konflikt lässt sich auf einen Kernpunkt konzentrieren. Das Verkehrskonzept geht gemäss den Vorgaben der grossrätlichen Verkehrskommission von vereinheitlichten Sperrzeiten aus: Von frühmorgens bis 11 Uhr (am Samstag bis 9 Uhr) darf zugefahren, an- und ausgeliefert werden; in den restlichen Zeiten gilt für die Kernzone ein Fahrverbot mit einer Reihe von unbestrittenen Ausnahmen (Taxis, Hotelzufahrten, Behinderte etc.).
Die Zufahrt in den Sperrzeiten wird mit gebührenpflichtigen Bewilligungen gehandhabt. Spezialberechtigte wie Spitexbetriebe, Sicherheitsdienste, Marktfahrer erhalten ganzjährige Bewilligungen. Umstritten sind eigentlich nur die Bewilligungen für "dringliche Verrichtungen", die innerhalb von 24 Stunden gewährt würden. Daraus entspann sich die Debatte um kurzfristig auszuliefernde Hochzeitstorten und Begräbnisgebinde.
Auf Zu- und Wegfahrten angewiesen
Das Geschäftsmodell der innerstädtischen Betriebe, die Frischprodukte liefern oder verkaufen, sei "zwingend davon abhängig, dass während des gesamten Tages entsprechende Zu- und Wegfahrten von ihrem Geschäftsstandort möglich sind", schrieb die Grossrätin und heutige Regierungsratskandidatin Martina Bernasconi (Grünliberale) in einer von Grossen Rat überwiesenen Motion. Unternehmen mit eigenem Produktionsbetrieb oder einer Verkaufsfiliale in der Kernzone der Innerstadt soll es erlaubt sein, zwecks Güterumschlag mit Ökofahrzeugen jederzeit zu ihrem Standort zu- und wegzufahren.
Was unter Ökofahrzeugen zu verstehen sei, müsse man "noch genauer definieren", erklärte Bernasconi gegenüber OnlineReports: Elektro- oder Erdgasfahrzeuge, E-Bikes, aber sicher nicht Dieselfahrzeuge. Um Missbräuchen vorzubeugen, könne die Zahl der Fahrzeuge und Bewilligungen pro Betrieb beschränkt werden. Der Vorschlag von Bernasconi könnte bedeuten, dass die Kategorie der ganzjährigen Bewilligungen auf bestimmte Kategorien von Unternehmen ausgeweitet würde. Die Forderung nach Ökofahrzeugen geht allerdings am zentralen Anliegen vorbei, dass die Fussgänger während der Sperrzeiten möglichst wenig durch Fahrzeuge gestört werden sollten.
Augenmass versprochen
Warum wurde denn dieses Anliegen von den zuständigen Interessenverbänden nicht bereits vor der Formulierung der Verordnung eingebracht? Das habe man sehr wohl getan, betonen Mathias Böhm von "Pro Innerstadt" und Patrick Erny vom Gewerbeverband. "Regierungsrat und Verwaltung haben dem Gewerbe im Rahmen der Überarbeitung der Verordnung versprochen, diese pragmatisch und mit Augenmass umzusetzen. In der Begleitgruppe war davon jedoch nichts mehr zu spüren. Aus diesem Grund sahen wir uns gezwungen, mit dem Vorstosspaket politisch Gegensteuer zu geben", sagt Erny. Die erwähnte Begleitgruppe wurde erst für die Umsetzung der Verordnung in das Detailreglement umgesetzt.
Allerdings wäre schon aus dem Text der Verordnung (Paragraph 3, "Bewilligungen") ersichtlich gewesen, dass für "dringliche Verrichtungen" nur eine Kurzbewiiligung vorgesehen ist. Der Widerstand setzte aber erst ein, nachdem das Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) an Veranstaltungen und mit Beteiligung von Vertretern des Gewerbeverbandes und von "Pro Innerstadt" über die neuen Regeln informiert hatte. Departementesvorsteher Baschi Dürr, historisch ein Gegner des Konzepts, nahm keinen ersichtlichen Einfluss, um die Regelungen gewerbefreundlicher zu gestalten.
Problem Gerbergasse und Falknerstrasse
Der Konflikt schlummerte allerdings schon lange, wie ein Communiqué des Gewerbeverbandes von 2010 belegt. Darin begrüsste der Verband das neue Verkehrskonzept mit den einheitlichen Sperrzeiten. Aber ausserordentliche Anlieferungen und Dienstleistungen während der Sperrzeiten – so gleichzeitig die Forderung – müssten auch ohne bürokratischen Mehraufwand weiterhin möglich sein.
Michael Wüthrich (Grüne), Präsident der grossrätlichen Verkehrskommission, wehrte sich im Grossen Rat temperamentvoll, aber vergebens gegen die Verschiebung der Umsetzung. Wenn die Motion Bernasconi in die Verordnung aufgenommen werde, sei eine Ausdehnung der freien Zufahrt auf alle Unternehmen zu befürchten oder es resultiere "irgendwann eine halbbatzige Lösung", erklärte er gegenüber OnlineReports.
Wüthrich weiter: "In der Gerbergasse und in der Falknerstrasse stehen die grossen Fahrzeuge der dortigen Gewerbetreibenden während des ganzen ganzen Tages auf dem Trottoir, ohne dass sie gross gebüsst würden." Und das dürfe während den künftigen Sperrzeiten nicht mehr möglich sein. Wüthrich wirft dem Gewerbeverband vor, er wolle "den Fünfer und das Weggli": die einkaufsfreundliche Fussgängerzone und die uneingeschränkte Zufahrt. Das lasse sich nicht vereinbaren.
Streit um Poller steht bevor
Um die berechtigten Bedürfnisse des produzierenden Gewerbes zu befriedigen, gäbe es aber ein Patentrezept: Poller (Bild), im Boden versenkbare Säulen an den Eingangspforten zur City. Wüthrich, der an einem Gymnasium Informatik unterrichtet, erklärt das Prinzip: Die Gewerbekarte wird mit einem Chip versehen, mit dem sich die Poller mit RFID-Technik ("radio freqency identification") steuern lassen. Damit wird elektronisch registriert, wer hinein- und hinausfährt, und wie lange er für seine Verrichtungen in der Fussgängerzone bleibt. Wer das System missbraucht, wird gebüsst. Jeder Tourist kennt diese Systeme aus Ländern und Städten, die einen autofreundlicheren Ruf haben als Basel.
Die Forderung nach einem Pollersystem in der Rheinstadt besteht aufgrund eines grossrätlicher Vorstosses schon seit 2005. Im Zusammenhang mit der aktuellen Korrektur des Verkehrskonzeptes machte der liberale Parlamentarier Heiner Vischer dafür erneut Druck.
Schnell zu realisieren seien die Sperren aber nicht, gibt Marc Keller, Sprecher des Bau- und Verkehrsdepartements, zu bedenken: "Die Absperrung von Zufahrten in der Innenstadt durch mechanische Sperren verlangt nach einem separaten Konzept", Für die Evaluation des besten Systems seien sowohl planerische, baulich-gestalterische als auch betriebliche Kriterien zu berücksichtigen. Notfalldienste zum Beispiel dürften durch die Poller nicht behindert werden.
Pilotanlage am Spalenberg
Einen Kredit für eine Poller-Pilotanlage oben am Spalenberg hat der Grosse Rat bereits gesprochen. Michael Wüthrich findet dies etwas lächerlich. Er habe den Eindruck, die Verwaltung reagiere zögerlich und wolle die Poller nicht wirklich.
Doch mittlerweile sind diese Poller rund um die Innerstadt parlamentarischer Auftrag: Sie gehören zum Forderungspaket für eine Überarbeitung des Verkehrskonzeptes, hinter dem auch der Gewerbeverband steht. Das Problem ist allerdings, dass ein Basler Pollersystem längst nicht beschlussreif ist, da noch kein Konzept vorliegt.
Für den Zeitraum bis zu dessen Realisierung wird jetzt eine Zwischenlösung gesucht, welche die Zufahrt in den Sperrzeiten grosszügiger formuliert als die zur Zeit noch geltende Verordnung. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass sich später gegen die Poller doch noch Widerstand formiert, weil diese keine Hintertüre offenlassen und eine bussenrelevante Auswertung der Ein- und Ausfahrten auch mit bürokratischem Aufwand verbunden ist.
Alle sind mitverantwortlich
Das Verkehrskonzept Innenstadt wurde mit grossem Elan in Angriff genommen und als Verkehrskompromiss präsentiert. Damit verbunden sind auch die Ausdehnung der Fussgängerzone auf die Mittlere Brücke und ins Kleinbasel und der Bau eines unterirdischen City-Parkings im St. Alban-Graben. Doch mittlerweile ist viel Sand in das Getriebe geraten.
Wer ist schuld daran? Alle haben ihren Anteil: Der Grosse Rat, weil er über den Haufen warf, was er vor drei Jahren beschlossen hatte. Die Regierung, weil sie die Poller-Lösung schubladisierte und ein besonders pingeliges Regelwerk ausarbeiten liess, mit dem kaum jemand zufrieden sein konnte. Sie lieferte damit den Innerstadt-Interessenverbänden die zur Opposition nötige Steilvorlage, auf die sie gewartet hatten. Denn diese hatten ihre Forderung nach möglichst freier Zufahrt auch in den Sperrzeiten nie aufgegeben.
Regierung und Verwaltung brüten nun über der Strafaufgabe, den Willen des Grossen Rates in den Versionen von 2011 und 2014 zu interpretieren und die Interessen des produzierenden Innerstadtgewerbes besser zu berücksichtigen. Vielleicht findet sich ja noch eine ganz einfache Lösung.
1. Mai 2014
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