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"Ich bin eine Reisserin": Präsidiums-Anwärterin Brenzikofer, Baumgärtner
"Die Grünliberalen sind eher eine Männerpartei"
Die Baselbieter Grüne Florence Brenzikofer über ihre Kandidatur für das Parteipräsidium, ihre Ausrichtung und die grünliberale Konkurrenz
Von Michael Baumgärtner
An der Spitze der Baselbieter Grünen steht ein Wechsel bevor. Kronfavoritin für das Präsidium ist die bisherige Vizepräsidentin Florence Brenzikofer. Im Interview mit OnlineReports äussert sie sich zur neuen Rolle der Grünen als Regierungspartei, zur Abgrenzung gegenüber den Grünliberalen und zu ihrem Nein zu den Sparplänen der Regierung.
OnlineReports: Frau Brenzikofer, bevor wir Ihnen auf den Zahn fühlen: Sie hielten sich vor einigen Jahren für längere Zeit in Bolivien auf. Was führte Sie dort hin?
Florence Brenzikofer: Ein Freiwilligeneinsatz zur Weiterbildung von Landlehrpersonen, ich hatte dort vorwiegend mit Erwachsenen zu tun – mit Lehrpersonen, die auf dem Land unterrichten. Wir boten vor allem Weiterbildungsangebote im methodisch-didaktischen Bereich an.
OnlineReports: Was haben Sie persönlich aus dieser Zeit mitgenommen?
Brenzikofer: Es war für die ganze Familie eine einmalige Erfahrung gewesen. Unsere jüngste Tochter ist Bolivianerin, sie kam in La Paz zur Welt. Für die Familie war es ein grosses Erlebnis, wir wohnten sehr intensiv und auf engem Raum miteinander. Es war eine sehr spannende und bereichernde Erfahrung für uns alle, insbesondere das Landleben in den Anden auf knapp 4000 Metern Höhe.
OnlineReports: Sie gelten als Spitzenkandidatin für das Präsidium der Baselbieter Grünen. Was reizt Sie an dieser Funktion?
Brenzikofer: Die grosse Freude an der politischen Arbeit; einerseits die Zusammenarbeit innerhalb der Partei und andererseits das Wirken über Parteigrenzen hinweg. Seit vier Jahren bin ich jetzt in der Geschäftsleitung als Vizepräsidentin und möchte die sehr gute Arbeit von Philipp Schoch weiterführen.
OnlineReports: Aber warum gerade jetzt?
Brenzikofer: Wir Baselbieter Grüne befinden uns jetzt in einer sehr spannenden Phase, weil unsere Landratsfraktion mit zwölf Vertretern noch nie so stark aufgestellt war wie heute. Maya Graf wird Ende November ziemlich sicher zur Nationalratspräsidentin gewählt. Überdies sind wir seit gut einem halben Jahr in der Baselbieter Regierung vertreten. Wir können jetzt effektiver und vernetzer mitwirken als zuvor.
"Wir treten mit einer Rekordzahl an
Kandidierenden zu den Gemeindewahlen an."
OnlineReports: Bedeutet das für das Präsidium unter diesen Umständen nicht einen erheblichen Mehraufwand?
Brenzikofer: Jein. Entscheidend sind gute Strukturen in der Geschäftsleitung. Es ist mein grosses Ziel, dass wir diese Positionen auch halten und die internen Strukturen stärken können.
OnlineReports: Das klingt jetzt so, als wollten Sie einfach den Status Quo verwalten.
Brenzikofer: Ich habe natürlich mehrere Ziele – auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene. So treten wir zum Beispiel mit einer Rekordzahl an Kandidierenden zu den Gemeindewahlen vom 11. März an ...
OnlineReports: ... Sie wollen damit sagen, dass die Grünen eine Wachstums-Partei sind?
Brenzikofer: Ja, in den letzten vier Jahren haben wir viele neue Ortssektionen aufgebaut, zum Beispiel in Allschwil oder Gelterkinden. Mein Ziel wäre es, die Basis weiter zu stärken und Neumitglieder zu gewinnen. Wir haben beispielsweise im Laufental oder im Waldenburgertal noch keine Ortssektionen. Und ich möchte die Vielfalt und Kreativität unserer Mitglieder zum Ausdruck bringen.
OnlineReports: Klingt sehr basisdemokratisch.
Brenzikofer: Genau, das sind wir auch.
OnlineReports: Sind Sie der Typ einer Reisserin, die eine Partei vorantreiben kann?
Brenzikofer: Ja durchaus. Und ich sehe mich als integrative und offene Person.
"Wir wollen eine
etablierte Regierungspartei werden."
OnlineReports: Falls Sie neue Präsidentin würden: Ginge es Ihnen darum, die Arbeit Ihres Vorgängers Philipp Schoch fortzusetzen?
Brenzikofer: Philipp Schoch ist es in den vergangenen zehn Jahren gelungen, die Grünen Baselland in einer beträchtlichen Breite aufzubauen. Diese Entwicklung möchte ich durch Stärkung der Basis weiterführen. Natürlich wollen wir auch die Landratssitze behalten, die wir errungen haben, und im Laufental einen Sitz dazu gewinnen. Aber zunächst müssen wir im Laufental eine Struktur aufbauen und eine Ortssektion gründen. Wir haben auf jeden Fall Ambitionen, weiter zu wachsen ...
OnlineReports: ... und eine etablierte Regierungspartei zu werden?
Brenzikofer: Auf jeden Fall. Unser neu gewählter Regierungsrat Isaac Reber hat in seinem Wahlkampf bewiesen, dass er Regierungsverantwortung übernehmen will, und so sehen wir es auch als Partei. Wir haben auf dieses Ziel hingearbeitet und es erreicht. Wichtig ist auch, dass die Jungen immer einen Platz finden.
OnlineReports: Musste der grüne Nachwuchs in letzter Zeit denn unten durch?
Brenzikofer: Nein, gar nicht. Philipp Schoch ist ja auch sehr jung zum Präsidenten gewählt worden. Wir wollen insbesondere die Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren an Bord holen und stärken. Denn auch ich habe davon profitiert, als ich damals mit 27 Jahren in den Landrat gewählt wurde. Wir haben viele junge Wähler, diese wollen wir durch junge Politiker angemessen repräsentieren. Die "Jungen Grünen Nordwestschweiz" leisten dabei viel Vorarbeit. Sie leben beispielsweise den Fusionsgedanken zwischen Basel-Stadt und Baselland vor.
"Die Zeit ist vorbei, als die Grünen bloss
eine Einthemen-Partei waren."
OnlineReports: Ganz neue Akzente würden Sie demnach eher nicht setzen?
Brenzikofer: Die Zeit ist vorbei, als die Grünen bloss eine Einthemen-Partei waren. Wir wollen uns in Sachthemen stärken und haben viele kompetente Leute in der Fraktion, um diese Potential in der Spitalpolitik, in Bildungsfragen und in der Energiepolitik voll ausschöpfen zu können.
OnlineReports: Uns erstaunt, dass Sie hier nicht die Wirtschaftskompetenz erwähnen, die den Grünen in den letzten Jahren einige Anerkennung eingetragen hat.
Brenzikofer: Diese Kompetenz ist uns auf jeden Fall sehr wichtig. Mit unserer nationalen Wirtschaftsförderungs-Initiative wollen wir die Schweizer Wirtschaft besonders im Energiebereich wieder stärken und das Baselbiet als Standort noch attraktiver machen ...
OnlineReports: ... dann stünde einer Fusion mit den Grünliberalen ja nichts mehr im Wege.
Brenzikofer: Wieso?
OnlineReports: Weil das eben sehr grünliberal klang.
Brenzikofer: Das sehe ich nicht so. Es gibt einige Dinge, die uns von den Grünliberalen unterscheiden. Im Baselbiet sind die Grünen sehr offen und decken auch ein liberales Segment ab (deshalb braucht es die Grünliberalen nicht;-) Dieses breite Spektrum ist auch wünschenswert. Was uns von der GLP unterscheidet, ist beispielsweise die Chancengleichheit für Frauen. Die Grünliberalen sehe ich eher als Männerpartei. Uns Grünen war die Gleichstellung immer sehr wichtig.
OnlineReports: Ist die Gleichstellung auf kantonaler Ebene genügend umgesetzt?
Brenzikofer: Nein. Deshalb braucht es die Fachstelle für Gleichstellung auch heute noch.
"Ich bin gegen das Entlastungspaket
und gegen Kürzungen in der Bildung und im
öffentlichen Verkehr."
OnlineReports: Wo liegen denn die grössten politischen Baustellen im Kanton?
Brenzikofer: Zum einen ganz sicher in der Spitalfrage. Dort wäre eben die Zusammenarbeit mit Basel-Stadt sehr wichtig, um den Fusionsgedanken voranzubringen. Die derzeitige Lösung mit den vielen Spitälern ist viel zu teuer. Eine weitere grosse Aufgabe ist die Umsetzung von "Harmos".
OnlineReports: Was halten Sie von der geplanten Schliessung der Kaufmännischen Vorbereitungsschule durch die Regierung?
Brenzikofer: Da bin ich vehement dagegen. Gerade als Sekundarlehrerin weiss ich, dass dies eine Erfolgsschule ist. Ich kritisiere auch sehr stark die Erhöhung der Pflichtstundenanzahl bei Lehrkräften. Die Lehrpersonen leisten heute immer mehr "Extras" und das Kerngeschäft, das Unterrichten, kommt oft zu kurz.
OnlineReports: Wenn Sie aber mit dem Bildungsabbau so unzufrieden sind, müssten Sie doch auch mit der Arbeit der Regierung unzufrieden sein?
Brenzikofer: Ich bin gegen das Entlastungspaket und wehre mich insbesondere gegen die Kürzungsvorschläge in der Bildung und im öffentlichen Verkehr.
OnlineReports: Braucht es also einen zweiten Grünen in der Regierung?
Brenzikofer: Langfristig ja! Aber wir sind zufrieden mit Isaac Reber als Sicherheitsdirektor. Er ist kompromissbereit und immer offen für Kritik. Mit seiner Arbeit bin ich sehr zufrieden. Es ist nach einem halben Jahr allerdings noch schwierig, seine Arbeit zu beurteilen. Aber Reber wird sich sicherlich sehr gut in der Regierung einbringen und wird seine Position stärken können.
OnlineReports: Erleichtert der Sitz in der Regierung den Grünen die Arbeit oder erschwert er sie eher?
Brenzikofer: Die Arbeit ist weder leichter noch schwerer, der Sitz ist ganz einfach eine Bereicherung. Er gibt uns eine neue Position und andere Möglichkeiten.
OnlineReports: Was meinen Sie konkret mit "anderen Möglichkeiten"?
Brenzikofer: (überlegt lange) Ich habe jetzt spontan kein konkretes Beispiel.
"Wir werden Isaac Reber kollegial begleiten
und ihm auch kritisch gegenüber stehen."
OnlineReports: Werden Sie Isaac Reber eher kollegial begleiten oder ihm auch kritisch gegenüberstehen?
Brenzikofer: Beides. Wir stehen in engem Austausch mit "Isi" Reber. Er bringt sich weiterhin sehr stark ein, ist nahe dran an der Basis.
OnlineReports: Ist vorgesehen, dass Ihnen die Hemmiker Landrätin Sarah Martin im Verlauf der Legislatur Platz machen wird?
Brenzikofer: Nein, vorerst ist nichts geplant. Wir gehen davon aus, dass ich das Präsidium auch ohne Landratsmandat gut ausüben kann, da ich in sehr engem Kontakt mit der Fraktion stehe.
OnlineReports: Philipp Schoch führte die Grünen geschlagene zehn Jahre. Geben Sie sich auch zehn Jahre?
Brenzikofer: Das kann ich noch nicht sagen. Es braucht sicherlich eine gewisse Kontinuität. Ich finde toll, dass er das Präsidium so lange führte. Aber irgendwann kommt die Zeit für einen Wechsel. Ich hoffe, dass ich den Zeitpunkt des Rücktritts ebenso gut wählen würde wie er …
OnlineReports: … und falls Sie danach wieder etwas mehr Zeit hätten: Könnten Sie sich eine Rückkehr nach Bolivien vorstellen?
Brenzikofer: Wir planen durchaus wieder einmal eine grössere Reise nach Bolivien. Auch um unserer jüngsten Tochter zu zeigen, wo sie geboren wurde. Früher oder später werden wir nach Bolivien zurückkehren – aber nicht mehr, um dort zu leben.
9. Februar 2012
Weiterführende Links:
Die Gesprächspartnerin
Nach zehn Jahren Amtszeit als Präsident der Baselbieter Grünen gibt Philipp Schoch sein Amt ab. Kronfavoritin für seine Nachfolge ist Florence Brenzikofer aus Oltingen. Die 36-jährige Sekundarlehrerin ist verheiratet und Mutter dreier Kinder. Mit ihrer Familie verbrachte sie zwei Jahre in Bolivien (2006-2008).
Brenzikofer gehörte dem Baselbieter Landrat von 2003 bis 2006 an. Bei den letztjährigen Landratswahlen schnitt sie auf ihrer Liste knapp hinter der Bisherigen Sarah Martin an zweiter Stelle ab. Über den neuen Parteivorsitz entscheidet die Mitgliederversammlung am 24. April.