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"Firewall statt Transparenz": FDP-Kandidat Dürr nach Nomination
Das Sicherheitsdepartement und sein ultraliberaler Chef
Als Erfolgs-Story ist Baschi Dürrs erste Amtszeit als Basler Regierungsrat nicht erkennbar
Von Peter Knechtli
Es vergeht kein Tag, an dem nicht neue unappetitliche Vorgänge aus dem Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement ans Tageslicht kommen: Dienstwagen für gegen zwei Dutzend Polizeioffiziere, die sich offenbar wie gewählte Notabeln herumchauffieren liessen, während vier Jahren vergessene Lohnausweise für die Basler Milizfeuerwehr, Benützung eines Polizeifahrzeugs für die private Motorradprüfung.
Und dann der Vorwurf eines Sex-Skandals: Ein Polizist habe sich Anfang August am Ende eines offenbar sehr feucht-fröhlichen sommerlichen Gruppenausflugs über eine sturzbetrunkene und kaum noch bewegungsfähige Polizistin hergemacht – gefilmt von einem Berufskollegen. Die Baselbieter Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Schändung.
Der Zeitpunkt, weshalb solche Vorfälle wie aus einem schlechten Film gerade jetzt an die Öffentlichkeit gelangen, ist kein Zufall. In gut einer Woche sind in Basel-Stadt Wahlen, und zur Wiederwahl tritt auch Baschi Dürr an, der FDP-Regierungsrat und Vorsteher des Justiz- und Sicherheitsdepartements. Der 39-jährige steht unausgesprochen, aber offensichtlich im Fokus einer Reihe von Vorfällen, in deren Schatten die übrigen Regierungsrats-Kandidierenden richtiggehend aus dem Blickfeld fallen.
Vielleicht war genau dies die Absicht jener Quellen, die die Medien – auf welchen Umwegen auch immer – mit heikeln und tatsächlich öffentlichtsrelevanten Informationen versorgten. Dies mit dem Ziel, den politisch für das Sicherheitsdepartement Verantwortlichen zu treffen. Man lasse sich aber nicht täuschen. Kampagneartig ans Tageslicht gelangende Enthüllungen bewirken nicht nur eine Abkehrbewegung unter nicht parteigebundenen Wählern, sie können auch einen Mitleids- und Solidarisierungseffekt aus dem eigenen politischen Lager auslösen.
"Der Unmut von denen 'da unten' gegen die 'da oben'."
Auf welche Seite das Pendel im Lichte der jüngsten Medienberichte ausschlägt, zeigen erst die Wahlergebnisse am 23. Oktober. Doch bei allem Wohlwollen, das einem jungen Regierungsrat in der ersten Amtsperiode als Polizeidirektor (wie die Funktion früher hiess) zuzubilligen ist, bleibt die Feststellung, dass Baschi Dürr in verschiedenen Fällen unglücklich geführt und kommuniziert hat. Beispiel einer Schlappe: Seine voreilige Verleumdungsklage gegen Unbekannt, nachdem die "Basler Zeitung" über einen "Duldungsbefehl" bei der Besetzung der alten Post an der St. Johanns-Vorstadt berichtet hatte.
Zu erinnern ist auch – und hier kommt auch die Rolle von Polizeikommandant Gerhard Lips ins Spiel – an unberechenbar harte (Favela-Demo auf dem Messeplatz) oder unverständlich passive (Besetzung St. Johanns-Vorstadt) oder misslungene Einsätze wie jener gegen die Demonstration von Linksautonomen gegen die Militärübung "Conex15" vor dem Ausschaffungs-Gefängnis "Bässlergut", als sich die Polizei verprügeln lassen musste.
Im unteren Polizeikader und an der Basis muss sich gegen die Departements-Oberen ein Unmut entwickelt haben, dass die Frontleute jetzt nicht hinter jenen stehen, von denen sie sich zu lange allein gelassen fühlten. Wenn der Polizeikommandant intern als "Kommandant Unbekannt" verspottet wird, weil er weder sicht- noch hör- und spürbar sei im Korps, dann wäre es die Sache des PR-erfahrenen Departements-Chefs, für hierarchieübergreifende Verständigung zu sorgen.
Dasselbe gilt für die durch Dürr ausgebaute Kommunikation nach aussen, die ganz und gar nicht an den liberalen Anspruch des Chefs erinnert. Den amtierenden Mediensprechern soll hier kein Vorwurf gemacht werden. Vermutlich sind ihnen die Hände derart gebunden, dass Journalisten sie eher als Firewall statt als Transparenz-Hersteller wahrnehmen. Vertrauen und Verständnis für Zusammenhänge schaffende Gespräche sind nicht mehr möglich, wenn knappe Mail-Korrespondenz zunehmend die übliche Dialog-Form wird.
"Das Schweigen zu den Sex-Eskapaden passt ins Schema der Abschottung."
So verschwieg das Departement offensichtlich öffentlichkeitsrelevante Vorgänge wie den Einsatz einer Sondereinheit gegen die Faysal-Moschee, wozu fraglos eine kurze Medienkonferenz über Ziele und Ergebnisse angebracht gewesen wäre. In dieses Schema der Abschottung passt der Umgang mit gravierenden Ereignissen wie den jüngsten sexuellen Eskapaden von Korps-Angehörigen. Als im Baselbiet aufflog, dass ein Polizist zusammen mit seiner Ehefrau (einer Basler Polizistin) im Eigenheim in Böckten eine Indoor-Hanfanlage betreute, was zur seiner Verhaftung führte, gab die Polizei dies immerhin bekannt – zähneknirschend und unvollständig.
Auch wenn es im aktuellen Basler Fall nicht zu einer Verhaftung, aber zu einer Freistellung gekommen ist, behandelte das Departement den Fall als Geheimsache – bis er über andere Quellen mit erhöhter Sprengkraft an die Öffentlichkeit stiess. Genauso schweigsam blieben die Kommunikatoren aus dem Hause Dürr im Frühling letzten Jahres. Auch damals ging es um die Freistellung eines Polizisten, der mehrere Kolleginnen am Arbeitsplatz sexuell belästigt haben soll. Der Fall gelangte an der Kommunikationsabteilung vorbei an die Medien.
Sexuelle Belästigungen gibt es fraglos auch andernorts. Dennoch drängt sich die Frage auf, ob die Fälle von Übergriffen als mögliche Überkompensations-Handlungen und die Kader-Privilegien nicht auch Rückschlüsse auf die interne Stimmung und das Unrechtsbewusstsein zulassen. Immerhin haben die Polizisten das Gelübde unter anderem darauf abgelegt, "die Grundfreiheiten und die Rechte der Menschen zu achten und zu schützen" sowie "die Verfassung und die Gesetze ihrem Sinn und Zwecke nach korrekt und gerecht anzuwenden".
Man muss sich die Augen darüber reiben, dass Dürr die Fälle von Privilegien-Wirtschaft und Schlamperei nicht rechtzeitig bemerkt und für Remedur gesorgt hat. Punkto Dossiersicherheit ist er seinem Amt gewachsen, führungsmässig nicht. Dieselbe Annahme gilt für Polizeikommandant Lips. Von ihm hätte so viel emotionaler Zugang zu weichen Faktoren der internen Vorgänge erwartet werden dürfen, dass er rechzeitig durchgegriffen hätte.
Nicht ausbleiben darf angesichts der Serie an Fragwürdigkeiten die Überlegung, wie weit die Geschäftsprüfungs-Kommission des Grossen Rates ihrer Funktion als Oberaufsichts-Gremium nachgekommen ist. Hat sie von der Privilegienkultur gewusst? Kennt sie das Departements-Betriebsklima? Kennt sie die Folgen von Flops für die Steuerzahler in den letzten vier Jahren (Fall Frauchiger, Fall Nägelin, Lohnausweise)? Von den Geschäftsprüfern dürften spätestens im nächsten Jahresbericht klare Antworten erwartet werden.
"Baschi Dürr der kühle, intellektuelle Anti-Befehlshaber."
In solchen Momenten tauchen Erinnerungen an den verstorbenen früheren Polizeidirektor Karl Schnyder auf. Auch wenn viele Linke den ehemaligen Gewerkschaftssekretär verwünschten – seine bedingungslose Art, wie er im schwarzen Ledermantel die Polizei auf ihren brisanten Einsätzen gegen AJZ- und "Stadtgärtnerei"-Demos auf der Strasse begleitete, erscheint in ihrer verklärten Bodenständigkeit schon wieder als beispielhaft. Hinterher stand er, auch wenn die Einsätze keineswegs über alle Zweifel erhaben waren, mit magnetartiger Bodenhaftung vor seine Mannen und presste vor dem Grossen Rat seinen legendären Standard-Satz heraus: "Meine Damen und Herren, ich übernehme dafür die volle politische Verantwortung." Wirklich wahrnehmen musste er diese Verantwortung nie. Es kehrte jeweils der Alltag ein.
Baschi Dürr ist nicht Karli Schnyder. Er ist der kühle, intellektuelle Anti-Befehlshaber, der auch deshalb nicht ins Polizeidepartement passt, weil er ebenso bedingungslos an Freiheit und Selbstverantwortung glaubt. In seiner Herrschaft über Law and order, die er nicht selbst gewählt hat, scheint er wie gefangen. Vielleicht müssen die bürgerlichen Wählerinnen und Wähler das Fazit von Dürrs erster Amtsperiode so deuten, dass sie ihm vier weitere Jahre in diesem Departement ersparen und ihn dort hin delegieren, wo er immer schon sein wollte: ins Präsidialdepartement.
13. Oktober 2016
Weiterführende Links:
"Gezielt hochgekocht"
Ihr Artikel ist – wie eigentlich immer bei Ihnen – journalistisch sorgfältig ausgewogen. In einem "Laden" wie dem Justiz- und Sicherheitsdepartement mit 2'000 Mitarbeitenden (davon rund 1'000 bei der Polizei) gibt es quasi von Natur aus immer wieder irgendwelche Vorfälle und internen Reibereien. Schon in einem KMU mit nur 10 Leuten passiert ja übers Jahr gesehen im personellen Bereich das Eine oder Andere. Man rechne.
Was dabei ärgerlich und unfair ist, dünkt mich die Art und Weise, wie einige alles, was jetzt gezielt hochgekocht wird, zu einem widerlichen Brei vermischen und unüberlegt pauschal die Verwantwortlichen verunglimpfen, obwohl die ja fürs Fehlverhalten von Einzelpersonen nichts können.
In einem gebe ich Ihnen recht: Baschi Dürr ist für den "Job" als Stadtpräsident die bestgeeignete Person. Mit seinem sicheren Auftreten, seiner Mehrsprachigkeit und seinem offenen, liberalen Geist wäre er für unseren Kanton ein sehr gutes Aushängeschild.
Edwin Tschopp, Basel
"Drei weitere Aspekte"
Peter Knechtlis am 9. Oktober und vom 13. Oktober brillant auf den Punkt gebrachten Kommentaren zur "Affäre JPD/Baschi Dürr" möchte ich noch drei Aspekte anfügen: Erstens der systemrelevante Aspekt: Ich glaube, es gibt in der ganzen Schweiz keine Polizeidirektion, die nicht vor kürzerer oder längerer Zeit ihre "Affären" mit dem Polizeidepartement bzw. mit dessen Führung hatte. Polizeidirektor ist offenbar ein Katapult-Job. Ist die oberste Führung zu lasch, wird sie kritisiert. Ist sie zu sehr dem Kasernenhof-Ton verpflichtet, gibt's ganz sicher auch wieder Stunk: intern bei den Mitarbeitenden oder extern in der breiten Öffentlichkeit.
Das liegt zweifellos daran, dass die Blaulicht-Organisation militärisch-hierarchisch geführt werden (müssen). Damit hat ja unsere Gesellschaft in zunehmendem Mass ihre Probleme. Partizipation ist angesagt, "Human touch" wird eingefordert – vom Personal und von der breiten Öffentlichkeit. Und das verträgt sich nur schlecht mit militärisch-hierarchischen Strukturen. Es gibt bzw. gab zu diesem Aspekt gerade in Basel nur wenige Polizeidirektoren, die diesen Seiltanz beherrscht haben. Karli Schnyder gehörte dazu, wie es Peter Knechtli betont. Doch wenn der Chef des JPD dieses Seil nicht sieht bzw. den Tanz darauf nicht beherrscht, wird er bald einmal von seinem Kader (Chebeamten), das sich in dieser Führungsstruktur rasch einmal seine kleinen "Königsreiche" errichten kann, über kurz oder lang "an der Nase herum geführt". Dann hängt der Chef am Tropf der Informationshoheit dieser kleinen Könige und wird so immer wieder bewusst oder unbewusst "vorgeführt". Wenn's in die Hose geht, muss in der Regel ja der Chef und nicht der Chefbeamte über die Klinge springen. Offenbar hat Baschi Dürr den Weg durch dieses Dickicht nicht gefunden. Zweitens, der "verschwörungstheoretische" Aspekt: Es fällt schon auf, wie es auch Peter Knechtli antönt, dass in Basel wieder einmal ein (bürgerlicher) Regierungsratskandidat – mit perfektestem Timing – ziemlich gezielt in Misskredit gebracht wird. Das war seinerzeit bei Saskia Frei nicht anders oder – bei den letzten eidgenössischen Wahlen im Baselbiet – bei Christoph Buser. Die publizierten Internas waren den "Whistleblowern" aus dem JPD ja nicht erst seit drei Wochen bekannt. Wieso haben sie diese gerade jetzt und nicht schon viel früher den Medien kolportiert?
Cui bono? (Wem gereicht es zum Nutzen?) Offensichtlich einzig und allein dem linksgrünen Parteienspektrum, das sich jetzt auffallend bedeckt hält. In diesem Sinne beargwöhnt, bleibt mir doch ein arg saurer Geschmack im Mund. Daraus folgt schliesslich: Drittens, der journalistische Aspekt: Wie haben sich doch in jüngerer Zeit etliche Leserinnen und Leser der BaZ darüber beklagt, dass man zum Beispiel den missionarischen Autoverhinderer Wüthrich und seinen Autobesitz, aber öfters auch schon Hans-Peter Wessels journalistisch-kritisch unter die Lupe genommen hat. Jetzt schweigen sie. Auch das Mantra zur einseitigen, aus Herrliberg "ferngesteuerten" BaZ-Redaktion fehlt zur "Affäre" JPD.
Kann man aber der BaZ (aber auch Peter Knechtli) einen Vorwurf zu ihren Recherchen, Berichten und Meinungen machen? Sicher nicht. Es ist ihre Pflicht zu recherchieren und zu berichten, auch wenn die Informationsquellen – siehe oben – in ihren Absichten nicht über alle Zweifel erhaben sind. Wehe, die BaZ hätte zum JPD nicht recherchiert und berichtet, man hätte ihr noch so gerne erneut den "Herrliberger Marsch" geblasen.
Edi Borer, Neuhausen D
"Es geht um die Glaubwürdigkeit der Polizei"
Nun ja Herr Isler – können sie sich vorstellen, dass die Häufung solcher Vorfälle bei der Polizei, die nun öffentlich wurden (diverse unberechtigte Privilegien des Katers, falsche Kilometer-Abrechnungen, Sexübergriff im Polizei-Korps, Dienstwagen für private Bedürfnisse usw.) die Normalbürger ins Grübeln bringen könnten, was sonst noch so alles schief läuft? Die Glaubwürdigkeit der Polizei wird in Frage gestellt werden, da geht es nicht nur um ein Motorrad. Ein Glaubwürdigkeits-Problem ist das Dümmste, was sich die Polizei leisten kann.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Wer hat sich eigentlich geändert?"
Nach der Lektüre der Meldungen der vergangenen Tage frage ich mich, wer sich eigentlich geändert hat: Der Steuerzahler (bzw. die –in), die Mandatstragenden oder die Medien? Ich kann mich sehr gut daran erinnern (es sind nur gerade 25 Jahre her), wie ein hochgeliebter Regierungsrat sich täglich mit seinem Dienst-Benz aus seinem 4 Kilometer entfernten Domizil holen liess, um dann noch jeden Donnerstag Morgen an der Mustermesse den Chauffeur warten zu lassen, bis der Coiffeurtermin vorüber war.
Oder wie war das mit dem Regierungsrat, der leidenschaftlich gerne Golf gespielt hat? Es ist noch nicht so lange her, hat das kein Mensch interessiert. Heute, im Zeitalter der elektronischen und sozialen Medien, wo "Bashing" (ohne "c" zwischen s und h) anonym und anstandslos möglich ist, liegen solche – menschlichen – Freiheiten nicht mehr drin und die Inhaber(innen) von öffentlichen Ämtern werden von der Öffentlichkeit gezwungen etwas zu sein, was sie unmöglich sein können: Nämlich perfekt und fehlerfrei!
Daniel Thiriet, Riehen
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