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"Der Einfluss des Bundesrates ist bescheiden": alt Bundesrat Tschudi

"Das Schweizer Volk steht zur AHV"

Der Basler Bundesrat Hanspeter Tschudi war der Vater der existenzsichernden AHV


Von Peter Knechtli


"Machen Sie nicht zuviel Rauch um meine Person!", wünscht er sich zum Schluss des Gesprächs ganz in der Nähe des Basler Zolli in seinem gemütlichen Zuhause, das er zusammen mit seiner Frau Irma bewohnt. Was er zuvor mit einem biografischen Pinselstrich skizzierte, lässt freilich keinen andern Schluss zu: Der Sozialdemokrat Hanspeter Tschudi dürfte zu den erfolgreichsten und gestaltungsfreudigsten Bundesräten der Eidgenossenschaft gehören.

 

In seiner exakt 14jährigen Amtszeit als Bundesrat vertrat er 150 Vorlagen vor dem Parlament - und keine einzige scheiterte. Wie er, in dunkelblauem Veston und Krawatte, hellwach in seinem Fauteuil sitzt ("ich habe schon meine Beschwerden"), ist der 85jährige Hanspeter Tschudi erpicht darauf, die stolze Bilanz nicht als sein persönliches Verdienst gewürdigt zu wissen.

 

"Es war einfach eine gute Zeit!", erinnert er sich zurück an die Entstehung der Zauberformel, den Konsens im Bundesrat und die euphorischen Wachstumsjahre zwischen seiner Wahl am 17. Dezember 1959 und dem 31. Dezember 1973, in denen er als Chef des Departementes des Innern die eidgenössische Politik massgeblich prägte - und vor allem im sozialen Bereich neue Massstäbe setzte.

 

Als "Vater der AHV" ging der ebenso brillante wie zielbewusste Pragmatiker in die Geschichte des Bundesstaates ein. Doch schnell - Ehre, wem Ehre gebührt: nämlich dem Volk - relativiert er: "Das Volk hat schon 1947 die AHV beschlossen." Allerdings ging es damals bloss um eine Grundversicherung von 40 Franken. Tschudis Quantensprung war die erfolgreiche Verankerung des Drei-Säulen-Prinzips in der Bundesverfassung und gleichzeitig die 8. AHV-Revision, die eine Verdoppelung der Rente mit sich brachte und bis heute auf 995 Franken anstieg.

 

Tschudi war es auch, der die Ergänzungsleistungen einführte. "Heute ist die Existenz der Betagen gesichert", sagt er, mittlerweile selbst seit zwei Jahrzehnten AHV-Bezüger.

 

Das war in der tiefen Depression der dreissiger Jahre nicht so. "Die Betagten waren die Aermsten. Ihren Kindern wollten sie nicht zur Last fallen, also lebten sie, wie die Basler die Fürsorge nannten, auf dem Armenbuckel", weiss Hanspeter Tschudi aus eigener Erfahrung: Als er am "ersten Juillet 1936" als frischpromovierter Jurist zum stellvertretenden Leiter des kantonalen Arbeitsamt berufen wurde, zählte Basel 7'000 Arbeitslose.

 

Wenn er in der Sprechstunde zweimal pro Woche einen Morgen lang "die Not, die Klagen, die Hoffnungslosigkeit" der Arbeitslosen erfuhr, "war ich nachher so müde wie in keiner andern Funktion meines späteren Berufslebens". Sein Vater, ein aus dem Glarnerischen zugewanderter protestantischer Sozialist, unterrichtete als Sekundarlehrer im unteren Kleinbasel die ärmsten Kinder von Vätern, die im Volksmund "Papageien" genannt wurden: Die Arbeiter trugen die Spuren der Farbchemie im Gesicht.

 

Solche Erlebnisse prägte die Familie Tschudi, in der Solidarität die Leitkraft war. Der Vater war SP-Grossrat, sein Bruder wurde Pfarrer, und er, Hanspeter, gemeinnutzorientierter Bundesrat.

 

Steil und wie am Schnürchen verlief seine Karriere ("man hat mir die Selle immer zugetragen"): Chef des Gewerbeinspektorates, Regierungsrat und gleichzeitig aktiver Rechtsprofessor, Basler Ständerat, Bundesrat. In seiner Funktion als Bundespräsident traf er einmal auf Konrad Adenauer, der wusste, wo welche Reputation am meisten zählte: "In Bern als Oberst, in Zürich als Generaldirektor und in Basel als Professor." Doch der alt-Bundesrat pfeift auf Titel: "Sagen Sie 'Herr Tschudi', das ist ehrenwert."

 

Seine Bescheidenheit und Bodenhaftung sind mit ein Grund dafür, dass der ideale Gesellschaftsdiener bis auf den heutigen Tag "eine Art Ombudsman" geblieben ist. Fast täglich erhält er Briefe aus der Bevölkerung, die er persönlich beantwortet, sofern es nicht um Detailfragen geht.

 

Bei solchen Gelegenheiten setzt er sich jeweils entschieden gegen die Meinung zur Wehr, Spitzenverdienern keine AHV mehr auszubezahlen: "Die Reichen haben die AHV nicht nötig, aber die AHV die Reichen." Das einzigartige Sozialwerk könne nur durch "Solidarität der Reichen" aufrecht erhalten werden, und diese Solidarität sei "in der Schweiz stärker als in allen andern Ländern".

 

"Das Schweizer Volk steht zur AHV", ist Tschudi überzeugt und "gar nicht skeptisch", was deren "Finanzierung aus dem wachsenden Wirtschaftsertrag" betrifft. Die wichtigste Aufgabe jedoch sei, die starren durch flexible Altersgrenzen abzulösen.

 

Weiter will er nicht gehen: "Wir müssen uns hüten, den Aktiven dreinzureden", sagt er und windet Ruth Dreifuss ("sie ist mir gegenüber sehr liebenswürdig") beiläufig ein schlichtes Kränzchen: "Sie macht es gut."

 

"Fast noch mehr Freude" als am AHV-Fortschritt hat der Nachfolger von Bundesrat Willi Spühler an Projekten aus seinem Departement, die etwas in Vergessenheit gerieten: Er gründete die ETH Lausanne, unterstützte die kantonalen Hochschulen, baute eine Wissenschaftspolitik auf, füllte die Nationalfondskassen und leitete mit einem Verfassungsartikel den Umweltschutz ein. Unter seiner Ägide fiel auch der Jesuitenartikel, und das Nationalstrassennetz war seine erste grosse Vorlage, die er im Parlament vertrat. Schiffbruch an der Urne erlitt er nur mit dem am Ständemehr gescheiterten Bildungsartikel.

 

Sein Kredo: "Politik kann man nicht ohne Konzessionen machen. Niemand hat die alleinige Wahrheit. Man muss der andern Meinung auch Rechnung tragen, dann kommt sie einem auch entgegen."

 

Als zum Dienst an der Öffentlichkeit Berufener kennt Hanspeter Tschudi denn auch keinen Stolz über sein beeindruckendes Wirken. Von "Gnade" spricht er lieber: "Der Einfluss des Bundesrates ist bescheiden. Wir alle sind Personen der Zeitgeschichte."

24. Juni 1998


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