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"Radikal lösen": Ehemaliger Finanzdirektor Ballmer
Regierungsräte steckten Honorare in die eigene Tasche
320'000 Franken müssen zurückbezahlt werden – Regierung reichte Strafanzeige gegen ehemalige Regierungsräte ein
Von Peter Knechtli
Baselbieter Regierungsräte und Chefbeamte haben vermutlich in den eigenen Sack gewirtschaftet: Sie sollen jetzt Verwaltungsrats-Honorare in Höhe von 320'000 Franken aus den letzten fünf Jahren in die Staatskasse zurückzahlen. Dies ergab eine Routine-Untersuchung der staatlichen Finanzkontrolle.
Die kurzfristig anberaumten Medienkonferenzen, an denen Wichtiges oder Dramatisches verkündet wird, häufen sich. Heute Donnerstagmorgen trommelte dir Baselbieter Regierung die Medien in Liestal zusammen. Eingeladen hatte Regierungspräsident Urs Wüthrich (SP). Anwesend war die gesamte Baselbieter Exekutive. Gestern Mittwoch fand zu diesem Medientermin noch eine ausserordentliche Regierungssitzung statt: Der Anlass musste gewichtig sein.
Ballmer bezog am meisten Honorare
Es ging um die "Entschädigungen im Rahmen von Beteiligungsmandaten". Die Mitglieder der Regierung gehören über ihre Funktion zahlreichen Verwaltungsräten an – vom Bankrat über die Messe und den Flughafen bis zur Baselland Transport AG. Als solche beziehen sie Verwaltungsratshonorare, die eigentlich in die Staatskasse gehören. Doch teilweise gingen die Honorare in die Säcke der Regierungsräte und eines Chefbeamten. Die Finanzkontrolle untersuchte die zwanzig wichtigsten Beteiligungen, davon blieben zwölf problematische Fälle hängen.
Es geht um einen Honorar-Betrag von 320'000 Franken, bei denen die Finanzkontrolle davon ausgeht, dass eine mögliche Verletzung des Personaldekrets vorliegt. Der Betrag teilt sich auf vier Personen auf. Klar die höchsten Bezüge werden dem früheren FDP-Finanzdirektor Adrian Ballmer zugeordnet. Er bezog 153'000 Franken. Der verstorbene Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektor Peter Zwick (CVP) bezog 79'000 Franken, der ehemalige Landschreiber Walter Mundschin 56'000 Franken für seine Einsitznahme im Universitätsrat (jährlich 20'000 Franken) und der Baselbieter Kultur-Chef Niggi Ullrich 32'000 Franken für seine Funktion als Staatsvertreter der SRG Region Basel.
Sabine Pegoraro lieferte ab
Dem Bericht der Finanzkontrolle kann entnommen werden, dass der frühere Finanzdirektor Adrian Ballmer als Mitglied des Bankrates der Basellandschaftlichen Kantonalbank die durchschnittlichen jährlichen Verwaltungsratshonorare von 24'500 Franken an den Kanton ablieferte, aber die sogenannte "variable Entschädigung" in Höhe von 32'000 und die Vorzugskonditionen der BLKB-Zertifikate "privat vereinnahmt" und nicht der Staatskasse abgeliefert hat.
Von der Basellandschaftlichen Gebäudeversicherung bezog Mandatsträger Ballmer zwischen 2009 und 2012 jährlich 7'560 Franken Sitzungsgelder und Pauschalspesen von jährlich 5'000 Franken. Ballmer nahm auch das Honorar als Verwaltungsrat des EuroAirport in Höhe von jährlich 1'000 Franken privat ein. Seine Nachfolgerin Sabine Pegoraro hingegen lieferte den Betrag der Staatskasse ab.
Ablieferungspflicht "nicht bewusst"
Bei Wirtschaftsminister Peter Zwick stammten die Privat-Einnahmen von jährlich knapp 20'000 Franken aus seiner Funktion als Vizepräsident der Schweizerischen Rheinhäfen. Die Verwaltungsrats-Honorare hätten an den Kanton abgeliefert werden müssen. Kleinere Einnahmen erzielte Zwick aus seiner Tätigkeit als Verwaltungsrat der Messe Basel.
Bildungsdirektor Urs Wüthrich bezog als Universitätsrat jährlich 20'000 Franken. Davon lieferte er je 10'000 Franken an die Landeskanzlei ab. Die 10'000 Franken, die Wüthrich privat bezog, waren als Sitzungsgelder und Spesenabgeltung deklariert – bei jährlich acht Sitzungen. Die Finanzkontrolle befand aber, dass dem Kanton "ein zu geringer Anteil abgeliefert" worden sei.
Die mit der Aufarbeitung der Untersuchung beauftragte landrätliche Spezial-Subkommission errechnete, dass Ballmer und Zwick teilweise Sitzungsgelder und Spesen in Höhe von 400 bis 500 Franken pro Stunde bezogen.
Im Bericht der Finanzkontrolle steht als Erklärungsversuch immer wieder der nun doch etwas erstaunliche Satz: Den Mandatsträgern sei "nicht bewusst " gewesen, dass die Verwaltungsratshonorare an den Staat abzuliefern waren. Für die privat einkassierten Honorare im Gesamtumfang von 320'000 Franken schlägt die Finanzkontrolle eine Rückerstattungs-Forderung vor. Zwei Experten sollen laut Regierungsbeschluss von gestern Mittwoch jetzt die Ansprüche des Kantons prüfen.
Regierung reichte Strafanzeige ein
Regierungsprässient Urs Wüthrich und Justizdirektor Isaac Reber betonten, es sei der Regierung ein Anliegen, "jetzt reinen Tisch zu machen" und die nicht sauber geklärten Entschädigungs-Probleme "in radikaler Weise zu lösen". Unter anderem wurden durch die Regierung die Akten an die Staatsanwaltschaft überwiesen, verbunden mit einer Strafanzeige, weil es sich um strafrechtlich relevante Vorgänge handeln könnte. Wüthrich wollte aber nicht erklären, auf welche möglichen Tatbestände sich die Strafanzeige bezieht. Es sei aus Rücksicht auf die Betroffenen, die noch keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, noch zu früh, dazu Stellung zu nehmen.
Ingesamt waren aus den zwanzig untersuchten Gesellschaften in den letzten fünf Jahren 682'000 Franken an Honoraren, Sitzungsgeldern und Spesenentschädigungen ausgezahlt worden: An Adrian Ballmer 288'000 Franken, Peter Zwick 161'000 Franken, Urs Wüthrich 50'000 Franken, Bau- und Umweltschutzdirektorin Sabine Pegoraro 18'300 Franken, Isaac Reber 2'100 Franken, den ehemaligen Bau- und Umweltschutzdirektor Jörg Krähenbühl 68'400 Franken, den ehemaligen Landschreiber Walter Mundschin 56'600 Franken und Niggi Ullrich 36'400 Franken. Doch diese Bezüge werden – von jenen der oben erwähnten 320'000 Franken abgesehen – durch die Finanzkontrolle nicht beanstandet.
Eine rundumweisse Weste haben die Mitte Jahr neu gewählten Regierungsräte Anton Lauber (CVP, jetzt Finanzdirektor) und Thomas Weber (SVP, jetzt Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektor): Ihr Privat-Konti sind frei von Mandats-Allmosen.
4'000 Franken-Reisegutschein
Nach seiner Abwahl erhielt Krähenbühl als Verwaltungsrat der Kraftwerk Birsfelden AG zum Abschied einen Reisegutschein im Wert von 4'000 Franken und eine Auszahlung von weiteren 4'000 Franken – für eine bloss vierjährige Amtszeit.
Es besteht ausserdem der Verdacht, dass staatlichen Mandatsträger zu hohe Spesen ausbezahlt wurden, die faktisch Honorarbestandteile wären. Eine durch eine Subkommission der landrätlichen Finanzkommission unter dem Vorsitz des Grünen Klaus Kirchmayr durchgeführte Modellrechnung ergab, dass Adrian Ballmer, Peter Zwick, Urs Wüthrich, Sabine Pegoraro und Jörg Krähenbühl über fünf Jahre hinweg 148'000 Franken an "potenziell zu hohen Spesen" (so Kirchmayr) ausbezahlt wurden.
Verjährungsverzichts-Erklärung der Regierung
Laut dem Baselbieter Personaldekret müssen Mitarbeitende, die durch die Regierung in einen Verwaltungsrat gewählt werden, "die ihnen aus dieser Tätigkeit zukommenden Verwaltungsratshonorare an die Staatskasse abliefern". Dies haben die vier betroffenen Personen nicht getan. Im Dekret nicht geregelt sind Sitzungsgelder und Spesen. Laut Regierungsratsbeschluss aus dem Jahr 1999 dürfen Sitzungsgelder und Spesen durch die Mandatsträger behalten werden. Allerdings geht der damalige Beschluss von "betragsmässig wesentlich geringeren Sitzungsgeldern im Sinne einer Inkonvenienzentschädigung" aus. Dasselbe gilt für die "effektiv getätigten Spesen" – und nicht als Spesen deklarierte Honorare.
Von der aktuellen Regierung ist kein Mitglied von Rückerstattungs-Forderungen betroffen. Um nicht den Eindruck zu erwecken, sich aus der Verantwortung zu stehlen, erklärten alle fünf Regierungs-Angehörige persönlich ihren Verzicht der Verjährungseinrede bis Ende Jahr für den Fall, dass weitere Erkenntnisse der Finanzkontrolle auch an sie zu Rückforderungsansprüchen führen sollten.
Keine Spezial-Gelder mehr für Regierungsräte
Die dramatischen Erkenntnisse der Finanzkontrolle veranlasste die Regierung gestern Mittwoch zu weitreichenden Beschlüssen. Der wichtigste Punkt: Künftig sollen sämtliche Entschädigungen – egal ob Honorare oder Spesen – in die Staatskasse fliessen. Diese Lösung will die Regierung auch rückwirkend für das Jahr 2013 anwenden.
Honorare, Spesen und Sitzungsgelder vom 2009 bis 2013:
Adrian Ballmer | 288'700 |
Peter Zwick | 161'200 |
Urs Wüthrich | 50'000 |
Sabine Pegoraro | 18'300 |
Isaac Reber | 2'160 |
Jörg Krähenbühl | 68'400 |
Walter Mundschin | 56'600 |
Niggi Ullrich | 36'400 |
Kommentar: Die Gier erfasste auch Diener des Staates
19. Dezember 2013
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Reaktionen
Die Baselbieter Freisinnigen, die durch die Privat-Bezüge ihres früheren Finanzdirektors Ballmer am stärksten betroffen sind, nehmen "mit Befremden" von den "mutmasslichen Verfehlungen auch eigener Parteimitglieder" Kenntnis. Das Zurückbehalten von Honoraren sei "eine grobe Verfehlung und nicht zu tolerieren". Diese Gelder seien "ohne Wenn und Aber der Staatskasse zuzuführen".
In Bezug auf die zu hohen Sitzungsgelder und Spesenvergütungen – so die FDP weiter – sei die bisherige stossende Regelung sofort zu ändern. "Auch diese Gelder gehören dem Staat. Nicht ohne Grund erhalten die von Amtes wegen in den Verwaltungsräten sitzenden Mitglieder bereits eine angemessene Entschädigung in Form ihres regulären Lohns."
In ihrer Stellungnahme zeigen sich die Grünen Baselland "schockiert über die gravierenden Ergebnisse der Oberaufsichtsprüfung". Sie begrüssen die Sofortmassnahmen, die die Subkommission der landrätlichen Finanzkommission empfiehlt, und die Tatsache, dass diese rasch umgesetzt und Folgeprüfungen erteilt werden. Damit werde "ein verlässlicher Rahmen vereinbart, um unangemessene Entschädigungen klar zu definieren und eine persönliche Bereicherung durch politische Mandate zu verhindern".
Ähnlich äussern sich die Juso. Sie sind froh, dass die "parlamentarische Oberaufsicht funktioniert", und sie kommentieren: "Ausgerechnet Sparapostel Adrian Ballmer soll dem Kanton allein in fünf Jahren 150'000 nicht abgeliefert haben. Das ist ein schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit der alten Garde." Sie fragen sich auch, wie es mit den entsprechenden Zahlungen in den Jahren vor 2009 stehe, und ob "all diese Zahlungen durch die Betroffenen ordnungsgemäss versteuert" worden seien.
"Das sind keine Einzelfälle"
Adrian Ballmer und weitere Baselbieter Regierungsräte scheinen sich wiederholt und skrupellos persönlich auf Kosten der Steuerzahler bereichert zu haben. Nach meiner Wahrnehmung als Landrat sind das nicht Einzelfälle, sondern Teil einer weit verbreiteten politischen Verfilzung mit persönlicher Bereicherungsmentalität in diesem Kanton. Ohne uneingeschränkte Transparenz und Aufarbeitung der nachfolgenden Themen werden wir diesen Filz nicht los und bekommen wir das Baselbiet nicht auf einen grünen Zweig:
Gibt es:
a) politische Begünstigungen durch überhöhte Honorare an Landräte, Chefbeamte oder denen nahestehende Personen und politische Organisationen (z.B. Parteien, Wirtschaftskammer, Gewerkschaften usw.) durch den Kanton und dessen Unternehmen?
b) politische Begünstigungen durch die Verteilung gut bezahlter Ämter (Bankrat BLKB, Arbeitgebervertreter BLPK, Verwaltungskommission GBV usw.)?
c) politische Begünstigungen durch die Zuwendung von Lotteriefonds-Geldern?
d) politische Begünstigungen durch Sponsoring durch kantonsnahe Organisationen?
Die Baselbieter haben den Regierungsrat und das Parlament, die sie verdienen. Sie haben sie selber gewählt.
Gerhard Schafroth, Landrat Grünliberale, Liestal