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"Alles andere schwächen": Basler Erfolgs-Emblem Roche-Turm
Die "einsame Region" braucht eine machtvolle Schweiz-Demo
Petitionen und Resolutionen reichen gegen die ständige Diskriminierung durch den Bund nicht mehr aus
Von Peter Knechtli
Es kommt mir vor wie die alte Leier, und ich kenne sie seit bald einem halben Jahrhundert. Offen gestanden: Ich kann sie nicht mehr hören. Basel müsse seinen Einfluss in Bundes-Bern verstärken – sei es durch eigene Netzwerke, die in der Aareschlaufe ihre Beziehungsnetze auswerfen, sei es durch National- und Ständeräte, die überparteilich koordiniert und ohne Rücksicht auf Individualinteressen im Bundeshaus endlich als das agieren, was man mittlerweile altdeutsch "pressure group" heisst: eine Truppe von Druckmachern auf allen zugänglichen Ebenen.
Letzten Freitag gefiel es der CVP-Fraktion der Bundesversammlung, die Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter als Vertreterin des Baselbiets und deren Region Basel als potenzielle Nachfolgerin von Bundesrätin Doris Leuthard ins Leere laufen zu lassen. Statt dessen zog die Partei zwei Frauen aus den CVP-Kantonen Wallis und Uri vor. Basel-Stadt wartet seit 45 Jahren vergeblich darauf, im Bundesrat vertreten zu sein, das Baselbiet gar seit 128 Jahren. Aus gutem Grund schreibt Markus Somm in der "Basler Zeitung" von einer "einsamen Region am Rande der Schweiz".
Soeben hat das S-Bahn-"Herzstück" in Basel durch einen bedauerlichen Entscheid in Bern einen Rückschlag erlitten: Der Bundesrat ist nicht bereit, die Projektierungskosten von 120 Millionen Franken für die trinationale Durchmesser-S-Bahn mit dem Ausbauschritt 2035 zu finanzieren. Diese Landesregierung ist also nicht gewillt, den entscheidenden materiellen Impuls zur Umsetzung des bedeutendsten ÖV-Projekts zu geben, den diese Region je gesehen hat.
Frustration allenthalben: Die Planungsregion Nordwestschweiz sprach von einer "verpassten Chance" und kündigte an, sie werde sich "im parlamentarischen Prozess für die nachträgliche Aufnahme von Projektierungsmitteln stark machen".
"Nur das, was nach Zürich orientiert ist, will der Bundesrat stärken."
Der Baselbieter Kantonshauptort Liestal sieht sich mit geplanten Verschlechterungen des Angebots im Fernverkehr Richtung Olten-Zentralschweiz und Mittelland konfrontiert und wird deutlich: "Nur das, was nach Zürich orientiert ist, will der Bundesrat stärken, alles andere hingegen schwächen." Mit dieser Haltung sei das Zentrum mit einem eigenen Einzugsgebiet von 80'000 Einwohnern nicht einverstanden. Die "Vereinigung für eine Starke Region Basel/Nordwestschweiz" forderte Nachbesserungen.
Gerade Pendler aus der weiteren Umgebung von Basel fahren noch zu oft mit dem Auto zur Arbeit in "die Stadt" und verursachen dadurch täglich Staus auf den Autobahnen, weil die Angebote an öffentlichen Verkehrsmitteln keine besseren, sondern schlechtere Perspektiven vermitteln.
Ein überparteiliches Komitee von Bundesparlamentariern der Region, Wirtschaftsverbänden, Triregional-Politikern, Stararchitekten, Unternehmern und selbst dem früheren SBB-Generaldirektor und heutigen Rheinhäfen-Präsidenten Benedikt Weibel lancierte eine Bittschrift. Die Parlamente der beiden Basel forderten in Resolutionen ein Bundes-Engagement für das "Herzstück".
Die schnelle Reaktionszeit die Aktionen ist vorbildlich und auch ein Zeichen dafür, dass Informationen über das Bundesrats-Njet vorzeitig in die Region am Rheinknie gedrungen waren. Zu gut sind die Fäden der hiesigen Wirtschaftsverbände in die vorparlamentarischen Prozesse.
Aber das alles reicht nicht, um "Bern" erstens die Bedeutung des "Herzstücks" für den Juranordfuss, zweitens den Beitrag der Wirtschaftsregion Basel an die Wohlstands-Gemeinschaft Schweiz und drittens die Existenz dieser Wirtschaftsregion überhaupt in Erinnerung zu rufen. Das sind alles gut gemeinte papierene Bittstellungen, die keinerlei verbindliche Bedeutung haben – ein Kampf mit stumpfen Waffen.
Die unangemessene Berücksichtigung von Anliegen aus der Region Basel im Bundeshaus wird schon so lange und so wiederkehrend beklagt, dass etwas dran sein muss. Wenn die fehlende Wahrnehmung dieser "einsamen Region" in der Schweizer Entscheidungs-Zentrale aber schon längst als chronischer Mangel erkannt ist, dann ist der Zeitpunkt gekommen, die Wirksamkeit der Gegen-Mittel zu hinterfragen.
Die "Herzstück"-Region braucht in den nächsten Monaten eine mächtige öffentliche Kundgebung für eine stärkere Wahrnehmung der zweitwichtigsten Wirtschaftsregion der Schweiz – von Handels- und Wirtschaftskammern, trinationale Organisationen bis allen möglichen politischen Parteien überparteilich getragen. Zum Beispiel im "Joggeli" oder auf dem Liestaler Bahnhofplatz.
Warum denn eigentlich nicht zu einem Mittel greifen, das im Musterland der Demokratie so häufig praktiziert wird. Auch die Teppich-Etage der Gesellschaft darf dieses Recht durchaus in Anspruch nehmen: Eine bunte Versammlung krawattierter Wirtschaftsverbands-Manager, Partei-Funktionären, Wissenschaftern und gewöhnlichen Bürgern und Büezern: Eine derartige sorgfältig vorbereitete, disziplinierte Demo geriete zu einem erstklassigen Medienereignis und könnte von "Bern" nicht mehr leichtfertig übersehen werden.
"Viele überregionale Probleme lassen sich nicht mehr auf 'links' oder 'rechts reduzieren."
Die überparteiliche von links bis rechts unterstützte Demonstration gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (mit Ausnahme der SVP) vom kommenden Samstagnachmittag um 16 Uhr in Basel könnte beispielhaft sein. Denn die nationalen und globalen gesellschaftlichen Probleme, die sich nicht auf "links" oder "rechts" reduzieren lassen, werden sich künftig mehren und nach Kundgebungen unabhängig vom individuellen Standpunkt rufen. Dazu gehört auch die systematische Hintanstellung berechtigter Interessen der beiden Basel durch die Bundesbehörden.
Auch wenn es Social Media-angefixte Politiker anders sehen: Mit Facebook- und Twitter-Kommentaren aus dem trauten Office sind die Inner-Schweizer Entscheidungsträger zu einer wichtigen Investition im Raum Basel und zu mehr Sensibilität gegenüber dieser Region irgendwo hinter dem Jura aufzurütteln.
Mir wäre nicht bekannt, was gegen eine breit mobilisierte, zivilisiert abgehaltene Demonstration spräche, an der für einmal die meinungsführenden Petitionäre aus Politik-, Verbands- und Unternehmensspitzen das Wort hätten, falls sie die Courage aufbrächten, es auch zu ergreifen.
Nicht nur käme ihre Botschaft gegen Abbau oder Halbherzigkeit im Ausbau des öffentlichen Verkehrs auf diese Weise in "Bern" mit Sicherheit an – die politisch interessierte Bevölkerung hätte, erwünschte Nebenwirkung, gleichzeitig Gelegenheit, diese Meinungsführenden und die Ernsthaftigkeit ihrer Forderung live zu erleben.
Verbands- und Wirtschaftsbosse ans Demo-Mikrophon – weshalb nicht? Durchaus ein urdemokratisches und wirksames Mittel, sich in der Restschweiz Gehör zu verschaffen.
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20. November 2018

"Meilenweit entfernt"
Wenn wir schon von alten Leiern sprechen: Nicht nur am gleichen Strick ziehen, sondern vor allem auch in die gleiche Richtung. Davon sind wir meilenweit entfernt. René Rhinow bringt es auf den Punkt.
Jörg Schild, Basel
"Wir müssen mit exakten Zahlen aufwarten"
Dies ist eine gute Idee. Es darf aber keine Blabla-Demo mit schwachen Argumenten sein. Wir müssen mit exakten Zahlen und Tatsachen über Jahrzehnte aufwarten. Zum Beispiel:
- wieviel Geld fliesst aus Basel nach Bern an den Bund? - wieviel kommt zurück? - das zurückbehaltene Geld investieren wir für unsere Projekte der Nordwestschweiz: für den OeV, den internationalen Strassenverkehr, das SBB-Zugsmaterial (Doppelstock).etc. - Meines Erachtens müssen wir mutig sein und damit drohen, dass wir die Zahlungen nach Bern stoppen, bis sich das Verhalten in Bern ändert und konkrete, kontrollierbare Zusagen vorliegen. - Eine Unterlage muss erstellt werden mit einem hohen Detailierungsgrad und konkreten Zahlen, wie zum Beispiel der Bericht der "avenir suisse" "Eine Agrarpolitik mit Zukunft", aber mit dem Titel "Die Bedeutung der Nordwestschweiz für die Zukunft der Schweiz".
Wir haben ja eine Universität in Basel, welche dies erstellen und damit für unsere Zukunft der Nordwestschweiz und der Eidgenossenschaft einen konkreten Beitrag leisten könnte.
Jürg Schärer, Kaiseraugst
"Lamento bringt der Region gar nichts"
Die gemeinsame Demonstration am Samstag gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist ein dringend notwendiges Zeichen gegen Fehlentwicklungen hier vor Ort: In Basel wird gegen die jüdische Metzgerei vandaliert und an Hausversteigerungen werden mit „Xpats go home“-Tafeln Ressentiments geschürt. Auch gemeinsame Veranstaltungen gegen die Menschenrechtsverletzungen im kurdischen Nordsyrien sind (leider) nötig, dort sind Freunde und Verwandte von Zugewanderten zynischen Manövern ausgesetzt.
Anders liegt der Fall Interessenvertretung in Bundesbern. Von der zweitstärksten Wirtschaftsregion mit der Humanistenstadt Basel im Zentrum erwartet man beim Bund andere Kommunikationsformen als von Moutier - nämlich klare Strategien und reife Projekte mit erkennbarem Mehrwert. Primär verlangt dies, dass die gesetzlichen Rahmen- und Vollzugsbedingungen für Forschung und Entwicklung so ausgestaltet werden, dass die Region im härter werdenden globalen Wettbewerb weiterhin einen Spitzenplatz einnehmen und so zum hiesigen Wohlstand und der Mitfinanzierung der strukturschwachen Gebiete beitragen kann.
Und zweitens sind die Infrastrukturprojekte so vorzulegen, dass der regionale Vorteil den nationalen und internationalen stützt und so die Mitfinanzierung durch den Bund plausibel wird. Das Bahnnetz der Zukunft soll zum Beispiel die Fahrzeit zwischen Hamburg und Zürich durch die Region um 30 Minuten verkürzen und den Halt auf eine Station reduzieren – so wie das sonst auf der Linie überall schon der Fall ist. Falls die mittlerweile vierte in Bern deponierte Version des "Herzstücks" das erfüllt und der Nutzen klar ersichtlich ist, darf eine entsprechende Bewertung erwartet werden - wenn nicht, eben nicht.
Lamento bringt der Region gar nichts, nur seriöse Arbeit und klare Kommunikation am richtigen Ort.
Thomas Kessler, Basel
"So ist kein Blumentopf zu gewinnen"
Weshalb Basel und seine Region in der Schweiz nicht gehört werden? Unter der (wohl zutreffenden) Annahme, dass unsere Wirtschaftsregion (die zweitstärkste der Schweiz!) sich in einem harten Markt der Standorte behaupten muss, stellt sich die Frage des Marktauftritts. Man nennt dies neudeutsch "branding".
Wann endlich kapieren die Verantwortlichen, dass "NORDWEST" oder "BEIDER BASEL" keine Marke sein können? Oder vielleicht "RHEINKNIE", oder "DREILÄNDERECK" oder "JURA NORD" oder wie oder was?! Ein "Universitätskinderspital beider Basel", dafür ein "Universitätsspital Nordwest"? Ja was denn nun? Was soll der Unsinn – zeigen Sie mir die zugehörigen Universitäten "beider Basel" bzw. "Nordwest".
Und genau hier beginnt das Problem: Solange sich insbesondere Basel-Stadt und Baselland in einem (von aussen besehen) lächerlichen Bruder- (jaja, meinetwegen Schwester-)streit befinden, werden Energien absorbiert – da bleibt nichts Positives übrig. Und solange Basel-Stadt sich nicht getraut "Basel" als Marke für die ganze Region vorzuschlagen und dafür zu weibeln, und solange Baselland und/oder Aaargau, Solothurn diese Marke nicht unterstützen und dagegen weibeln, ist bezüglich Aussenwirkung Hopfen und Malz verloren!
Mit einem schwachen, widersprüchlichen und wenig selbstsicheren Auftritt ist jedenfalls kein Blumentopf zu gewinnen.
Und schliesslich – es geht ja um Infrastrukturprojekte – muss leider gesagt werden, dass Basel über keine Verkehrspolitik verfügt, die als solche erkennbar wäre, geschweige denn profiliert und stringent. Regierungsrat Wessels versteht unter "Verkehrspolitik" das Parkplatzzählen.
Während dessen wird Basel zunehmend vom öffentlichen Bahnfernverkehr abgehängt, weist das himmeltraurigste S-Bahn-Netz aller städtischen Zentren der Schweiz auf (eigentlich kann man ja nicht von einer S-Bahn reden). Basels Politik insgesamt vermeidet aus ideologischen Gründen eine dienliche Balance zwischen öffentlichem und Individualverkehr und signalisiert nach Aussen nur Chaos und Unzulänglichkeit.
Und für einen solchen Verbund (verkehrs-)politischer Jämmerlichkeit sollen wir auf die Strasse gehen? Und uns vollends der Lächerlichkeit preisgeben?
Die böse Eidgenossenschaft nimmt Basel nicht Ernst?! Hand auf's Herz: Würden SIE einer solchen Villa Kunterbunt Milliarden anvertrauen?
Andreas Egger, Basel
"Wollen die beiden Basel wirklich?"
Gut gebrüllt, lieber Peter! Doch vor allem: Die beiden Basel müssen wollen! Wollen sie wirklich? Wollen sie wirklich gemeinsam? Treten ihre Vertreter und Vertreterinnen in Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport mit dieser Grundüberzeugung tagaus tagein auf? Da bin ich mir nicht so sicher. Hätte ich doch unrecht.
René Rhinow, Liestal
"Bundesplatz wäre der richtige Ort"
Diese Demo für bessere Wahrnehmung unserer Region müsste doch auf dem Bundesplatz machen. Wenn sie hier stattfindet, wird sie "auswärts" nicht beachtet.
J. Claude Rohner, Basel
"Man könnte dies Arbeit eines Kümmerers auslagern"
Lustige Idee, lieber Peter. Aber auch die Wirkung einer Schweiz-Demo wird verpuffen, wenn sie nicht in eine Langfrist-Strategie eingebunden ist.
Was es braucht, ist die Formulierung eines gemeinsamen – du hast die Akteure aufgezählt – Zielbildes, wie man in der Restschweiz wahrgenommen werden will. Dann bestimmt man die Stakeholder, die entscheidend für unseren Erfolg sind und untersucht, wie wir von diesen wahrgenommen werden. Den Differenzen, Lücken und Widersprüchen, welche man dabei aufdeckt, begegnet man mit Kernbotschaften, die dann mit einer massgeschneiderten Strategie gemeinsam verbreitet werden. Das Zielbild bleibt relativ starr, die übrigen Punkte werden jährlich überarbeitet.
Der Prozess dauert bis zum Erfolg zwar lange, ist aber geradlinig und bekannt. Was fehlt, ist ein Kümmerer; weder die öffentliche Hand noch private Organisationen sehen sich neben ihrer täglichen Arbeit im Stande, sich langfristig und stringent darum zu kümmern. Man könnte diese Arbeit aber auslagern – und die Früchte nach ein paar Jahren ernten, wenn Wahlen und Infrastrukturentscheide endlich im Sinne unserer Region gefällt würden.
Franz Saladin, Saladin Public Affairs, Basel
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