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"Prosperität kein Selbstläufer": Kandidierende*, Telebasel-Texttafel mit OnlineReports-Zitat
Das Baselbiet braucht die klügsten Köpfe, nicht Schlagworte
Merkwürdigkeiten und Irritationen im Baselbieter Regierungs-Wahlkampf: Überraschungen nicht ausgeschlossen
Von Peter Knechtli
Offen gestanden: Unabhängig von meiner persönlichen Präferenz kann ich mit unterschiedlichen Kräfteverhältnissen in der Baselbieter Kantons-Exekutive gut leben. Diese Regierung hatte seit Beginn der neunziger Jahre wechselnde Partei-Zusammensetzungen. Aber in keiner der Amtsperioden kam es zur Katastrophe – und wenn (wie bei der Affäre um die Verwaltungsrats-Honorare), dann aus anderen Gründen.
Zwischen 1991 und 1999 sassen zwei Sozialdemokraten in der fünfköpfigen Regierung. Einer von ihnen wurde danach Präsident der Nationalbank (Edi Belser), der andere Präsident der Fachhochschule Nordwestschweiz (Peter Schmid).
Es gab auch Phasen, in denen die SVP (2011) oder die SP (2015) vorübergehend nicht der Regierung angehörte. Die Zeiten waren etwas rauher und unruhiger, aber das Baselbiet überstand sie problemlos und sorgte später für Korrekturen.
"Die Parteien riefen eine Zauberformel aus,
die im Baselbiet nie existierte."
Bis ins Jahr 2019, als die fünf stärksten Parteien (SVP, SP, FDP, CVP und Grüne) – trotz Zweierkandidatur der SVP – zur Meinung kamen, sie müssten je mit einer Person in der Regierung vertreten sein: Flugs riefen sie eine "Zauberformel" aus, die zwar nie existierte, ihnen aber das Mitregieren legitimierte und dem bürgerlichen Trio von SVP, FDP und CVP (heute: "Mitte") mit der traditionellen Betonierung der numerischen Mehrheit einen entscheidenden Zusatz-Nutzen eintrug.
So verwundert nicht, dass im Vorfeld der Wahlen vom 12. Februar nun jene Parteien diese "Zauberformel" wieder heraufbeschwören, die ihr eine Regierungsmehrheit und damit das komfortable Durchregieren ermöglichen. Die Legitimation: Das Baselbiet sei eben "stockbürgerlich".
Diese Kausal-Erklärung greift zu kurz. Bau- und Umweltschutzdirektor Isaac Reber ist zwar grün, aber eher bürgerlich als links, und die SP als stärkste Partei mit einem Sitz so schwach vertreten, dass sie jederzeit in Schach gehalten werden kann. Die Gefahr einer linken Übermacht bestand und besteht somit nicht im Entferntesten.
Hingegen stellt sich die Frage, weshalb die bürgerliche Allianz so hingebungsvoll den Schulterschluss übt, wenn Regierungswahlen eben nicht Partei-, sondern Persönlichkeitswahlen sind. Weil es um einen knallharten Anspruch auf Mehrheits- und Durchsetzungsstrategie geht.
Acht Namen stehen für die fünf Sitze zur Auswahl. Vier der fünf Bisherigen kandidieren erneut. Sie haben ihren Job auf ihre Weise gut gemacht. Sie sind mit Blick auf die Wiederwahl gesetzt.
Militär-Oberst Anton "äm-ää" Lauber als "Mitte"-Finanzdirektor markiert in der Regierung den General und hält die Staatskasse eisern im Gleichgewicht. FDP-Bildungsdirektorin Monica Gschwind brachte die möglichst erreichbare Ruhe in das Pädagogen-Biotop und optimiert die Volksschulen. SP-Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer duldete eine illegale Coronakritiker-Demo, behauptete sich aber gegen alarmistische Angriffe in der Falschgeld-Politsatire. Bau- und Umweltschutzdirektor Isaac Reber zeigt in seiner dritten Amtsperiode erstmals erkennbar parteigrünes Profil.
"Wird Sandra Sollberger Regierungsrätin,
wird Dominik Straumann Nationalrat."
Der Kampf dreht sich zentral um die Neubesetzung der Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion, die der pragmatische Thomas Weber (SVP) nach zehn Jahren verlässt. Gemessen an der "Zauberformel"-Ideologie wäre SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger die logische Nachfolgerin, was ihrem Kantonalpräsidenten Dominik Straumann das Nachrücken in den Nationalrat ermöglichte.
Zu tun hat sie es mit drei ebenso neu antretenden Herausforderern. Ihr Konkurrent der ersten Stunde ist der Raumplaner und Liestaler Stadtbaumeister Thomas Noack von der SP, die zwei Sitze anstrebt.
Der frühere Bubendörfer Gemeinderat offenbart im Wahlkampf eine geradezu auffällige Unauffälligkeit. Er greift nicht an, reagiert gelassen auf Provokationen – selbst durch seine Juso. Er wirkt staubtrocken, etwas humorfrei, spricht, wenn er gefragt wird, aber dann so, dass Handlungsprofil und Selbstbewusstsein ("Ich bin unter den Herausforderern der Profilierteste") erkennbar werden: Organisation des Zusammenlebens, grenzüberschreitende Kooperation, Klimawandel und klassische SP-Themen wie Kita-Angebote und Kaufkraftverlust zählen zu seiner Agenda.
Der Kandidat mit dem eindeutig grössten Überraschungs-Potenzial ist der Muttenzer Ökonom und langjährige Gemeinderat Thomi Jourdan. In einer Ersatzwahl für den verstorbenen CVP-Regierungsrat Peter Zwick im Juli 2013 kam der EVP-Kandidat dem Favoriten Anton Lauber mit einem Stimmenanteil von 45 Prozent unerwartet gefährlich nahe.
In der bevorstehenden Gesamterneuerungswahl wird er an dieses Ergebnis anknüpfen wollen. Denn Jourdan, der sich nach zehn Jahren kraftvoll zurückgemeldet, kann mit Unterstützung der weit nach rechts wie links ausufernden politischen Mitte zählen von Wählenden, denen das "Zauberformel"-Denken nicht das Mass aller Dinge ist.
Sein Rückhalt im 90-köpfigen Landrat mit aktuell vier EVP-Sitzen ist zwar sehr gering, mit seinem parteiübergreifenden ausgleichenden Ansatz möchte er aber dem Rechts/Links-Klassenkampf im Exekutivgremium entgegenwirken. Unter allen acht Kandidierenden sticht er als eloquentster hervor.
"Mit ihrer Wahl in den Nationalrat
begann die Gesinnungs-Redikalisierung."
Gering, wenn nicht aussichtslos sind die Wahlchancen des Grünliberalen Lupsinger Ökonomen Manuel Ballmer. Die Regierungs-Kandidatur des bis vor kurzem politisch unbekannten IT-Unternehmers aus Lupsingen, der sich auch als Landrat bewirbt, dürfte vor allem als ambitiösen Versuch gewertet werden, der nur mit drei Sitzen im Landrat vertretenen GLP zum Fraktionsstatus von fünf Sitzen zu verhelfen. Was Ballmer sagt, hat Substanz, aber seine Auftritte sind etwas ungelenk. Er dürfte sich als Kandidat mit der "roten Laterne" abfinden müssen.
Nominell als Favoritin geht Sandra Sollberger als Kandidatin der "bürgerlichen Allianz" ins Rennen. Sie wäre die erste SVP-Frau im Baselbieter Regierungsrat. Doch die Malermeisterin aus Liestal hat ein ernsthaftes Problem: Der rhetorische Bruch in ihrem Auftritt nach ihrer Zeit als Landrätin, in der sie gesellig und auch gefällig politisierte.
Mit ihrer Wahl in den Nationalrat 2015 und dem Eintritt in den Dunstkreis der nationalen SVP-Führungsriege vollzog sie eine populistische Gesinnungs-Radikalisierung, die mit dem Vokabular der Baselbieter Sektion nicht mehr übereinstimmte: Vorgestanzte Fragmente aus dem Arsenal der SVP-Schlagwort-Schmiede statt individuelle Interpretation und Souveränität. Das trug ihr das Prädikat der "Parteisoldatin" ein.
In ihrer Bewertung eines Podiums der Handelskammer beider Basel titelte die "Basler Zeitung" dieser Tage, Sollberger gefährde die bürgerliche Regierungsmehrheit: "Ihre Voten sind plump und zeugen teils von mangelhaftem Fachwissen."
Mit Kritik hat Sandra Sollberger Mühe. Als sich OnlineReports letzten August die Freiheit nahm, einige typische öffentliche Aussagen der Politikerin kritisch zu dokumentieren, schnappte sie ein: In "Telebasel" damit konfrontiert, drücke sie sich um eine Stellungnahme – und gab damit eine Ahnung davon, wie sie als Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektorin mit andern Meinungen und Medienfreiheit umginge.
Diese Szene markiert den Beginn einer taktischen Inszenierung der Kandidatin, die angeblich "offene Türen" pflegt, sich auf ihrem Wahlplakat aber mit merkwürdig geballter Faust darstellt: Die Verweigerung vor der Öffentlichkeit ist ein bestimmender Teil ihres Wahlkampfs. Die abweisende Haltung setzte sich fort bei mehreren Medien und Institutionen, die sie zu einem Auftritt eingeladen hatten: Absage.
Als der frühere FDP-Präsident Paul Hofer Sollberger zu einem Podium der "Operation Libero Nordwestschweiz" am 1. Februar einlud, winkte die gebürtige Zofingerin nach wiederholter Anfrage wegen einer "Verpflichtung als Nationalrätin" ab. Und sie fügte hinzu: "Ich bin sicher, Sie als erfahrener Politiker verstehen, wenn man sein Amt pflichtbewusst ausübt" – als stünde sie nicht mitten in einem Kampf um einen kantonalen Regierungssitz.
Die Strategie zielt darauf, Dossierdefizite in kontradiktorischen Diskussionen mit dem beschlagenen politischen Gegner Noack und öffentliche Auftritte mit Publikumsfragen zu kaschieren und autorisierbare (korrigierbare) Print-Interviews vorzuziehen. Der Plan: Sandra Sollberger soll die Wahl im "Mitte"/FDP-Windschatten der Bisherigen Lauber und Gschwind möglichst lautlos mit "Flutsch-Effekt" schaffen.
OnlineReports-Anfragen für ein Streitgespräch mit Noack liess die Frau der offenen Türen unbeantwortet: "Mit diesem Journalisten arbeite ich nicht mehr zusammen", so Sollberger zum "Regionaljournal". So handelt die Regierungskandidatin einer Partei, "die vorbehaltlos für Meinungs- und Gedankenfreiheit sowie Toleranz gegenüber Andersdenkenden einsteht" (so SVP-Fraktionspräsident Peter Riebli in der "Oberbaselbieter Zeitung").
Als befände sie sich in einer anderen Filmrolle, gibt sie sich in diesem Kürzest-Wahlkampf zahm. Verschwunden sind die groben Töne gegen Ausländer und andere haarsträubende Aussagen. Ihre Statements wirken angeklebt wie aus dem Partei-Tutorial.
Sandra Sollberger will – trotz Atomschutz-Artikel in der Kantonsverfassung – einen AKW-Standort Baselland nicht völlig ausschliessen, lehnt aber eine Windturbine in Muttenz ab. Ihre Aussagen zur Kooperation mit Nachbarkantonen und den europäischen Nachbarn sind kaum noch erkennbar glattgebügelt. Keine Zitate zum Primat der Migrations-Begrenzung vor den bilateralen Verträgen mehr, kein Profil auf "Smartvote". Sie betont ihr Netzwerk in Bundes-Bern und begründet ihre "Führungserfahrung" mit ihrer Funktion als Vizepräsidentin der SVP-Fraktion.
Nachfragen unter nationalen Parlamentariern ergeben, Sandra Sollberger habe "in keinem Dossier thematische Führerschaft". Ihre Wirkung unter der Bundeshaus-Kuppel ist so mässig wie der messbare Erfolg ihrer Arbeit im Nationalrat. Erfolgreich war sie mit einer Motion über die Reduktion der Bürokratie-Belastung in Unternehmen. Die lange Liste ihrer Vorstösse erschöpft sich aber weitgehend in Interpellationen und Fragen in der Fragestunde.
In ihrer politischen Haltung steht sie gefühlt rechts von ihrem Nationalrats-Kollegen Thomas de Courten, der selbst als "Hardliner" gilt, aber keine Stammtisch-Sprüche klopft. Aber der Rünenberger, der vor vier Jahren ebenfalls für die Regierung kandidierte, unternahm im Wahlkampf – was ihm hoch anzurechnen ist – keinerlei Versuche, seine klar rechte Positionierung zu vertuschen. Er stand zu sich selbst.
"Im Windschatten der Bisherigen
mit 'Flutsch-Effekt' in die Regierung."
Anders als sie es selbst darstellt, ist Sandra Sollberger im bürgerlichen Lager keineswegs unumstritten. Nur machen die meisten, die ihr Profil für unberechenbar und nicht exekutivtauglich halten, die Faust im Sack.
Umso verwunderlicher ist, dass gestandene Amts- und Funktionsträgerinnen wie die brillante FDP-Wirtschaftsliberale Saskia Schenker, die in zentralen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Fragen deutlich abweichende Positionen vertreten, der SVP-Kandidatin um den Hals fallen.
Dabei ist die "bürgerliche Allianz" in ihrer Konsistenz nicht rundum glaubwürdig. Die "Zauberformel"-Erfindung wurde in der Startphase des Wahlkampfs gerade von den Freisinnigen torpediert, als sie selbstbewusst eine Zweierkandidatur aufbauten, die auch für die SVP-Kandidatur hätte gefährlich werden können. Landrat Sven Inäbnit, ein Grundliberaler mit staatsmännischem Format, stand schon bereit. Aber die FDP knickte vor der mächtigeren SVP ein.
Aus rein "egoistischen Gründen", so räumte eine FDP-Kaderquelle gegenüber OnlineReports offen ein, habe die Partei Inäbnit zurückpfeifen und trotz inhaltlich klarer Differenzen mit der Kandidatur Sollberger "die Kröte schlucken müssen". Die Freisinnigen fürchteten, eine oppositionell erhitzte SVP könnte die neue Amtsperiode zur Blockade-Hölle machen und künftigen freisinnigen Personal-Ambitionen die Unterstützung verweigern.
Wahlen sind der richtige Zeitpunkt, eine Zwischenbilanz über Zustand und Herausforderungen des Kantons zu ziehen. Die neuerdings mehrschichtigen globalen Krisen wie Klima, Krieg, Pandemie und Inflation beeinflussen die kollektive Befindlichkeit und die politischen Wegweiser bis auf Gemeinde-Ebene. Das politische Klima wird schärfer, Regieren wird komplexer, nicht einfacher. Daran ist bei der Wahl von Regierungsräten zu denken.
Wohlstand und Prosperität im Baselbiet sind keine Selbstläufer. Die Wahrnehmung des Landkantons in der Rest-Schweiz wie im Bundeshaus hat Steigerungs-Potenzial. Sei es Steuerpolitik oder Armut, Migration oder das Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden, Verkehrsprobleme oder die Positionierung des Kantons in der Grenzregion: Der Kompass muss ständig neu kalibriert werden.
Die Zunahme dieser anspruchsvollen übergeordneten Aufgaben bei gleichzeitiger Bewältigung des Tagesgeschäfts braucht eine Politik, die dem Volk vermittelt wird, und eine Regierung der klügsten und glaubwürdigsten Köpfe.
* von links: Konkurrenten Thomas Noack, Sandra Sollberger, Thomi Jourdan
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23. Januar 2023
Weiterführende Links:
"Späte Rache von Thomas de Courten"
Die sogenannte BüZa war seit jeher nur der SVP nützlich. Küchenpsychologisch meine ich, dass die Kandidatur von Frau Sollberger eine späte Rache von Thomas de Courten am Baselbieter Wahlvolk ist, weil er nicht in den Regierungsrat gewählt wurde – deshalb pusht er Frau Sollberger auch in der Öffentlichkeit. Die Dame ist in jeder Hinsicht eine Zumutung (ausser vielleicht beim Wände streichen).
Barbara Umiker Krüger, Rheinfelden
"Hohes Mass an Gesprächsverweigerung"
Ich nehme an, dass Frau Sollberger bei der Anstellung eines Mitarbeiters nicht nur darauf achtet, dass dieser einen Pinsel in der Hand halten kann. So verhält es sich bei der Wahl in den Regierungsrat. Frau Sollbergers hohes Mass an Gesprächsverweigerung ist dahingehend interpretierbar, dass sie die Werkzeuge einer Regierungsrätin in keinster Weise zu beherrschen vermag. Eigentlich weiss sie das, aber niemand im bürgerlichen Lager hat den Mut, ihr zu sagen, dass ihre "Vorstellungsgespräche" als ungenügend bewertet werden, oder sie spekulieren darauf, dass das Wahlvolk ihre Kutsche an die Wand fährt.
Eneas Domeniconi, Gelterkinden
"Unsicher und ideologisch"
Frau Sollberger wirkt genau so unsicher und ideologisch, wie ihre Vorgänger der SVP im Regierungsrat. Aber: Die Mehrheit in diesem Kanton liebt offensichtlich schwache Kandidaten. Und es passt schon, eine rote Haarsträhne genügt.
Walter Buess, Ormalingen
"Nur aus Eigennutz"
Ich bin sicher, dass die FDP nur aus Eigennutz Frau Sollberger unterstützt. Diese Nützlichkeit und Abmachung wird an den NR-/SR- oder weiteren Baselbieter Wahlen vielleicht zum Vorschein kommen. Frau Sollberger gibt sich für mich als Wölfin im Schafspelz: Adrett und nett. Logischerweise nimmt sie nie klar Stellung. Es gilt aber: Einmal Soldatin immer Soldatin. Das Baselbiet tut sich einen gefallen, wenn sie nicht gewählt wird.
Ruedi Basler, Liestal