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"Handlungspotenziale identifizieren": Basler Regierungspräsident Guy Morin*
Morin setzt städtische Ernährungspolitik auf die Basler Agenda
Der Basler Regierungspräsdient unterzeichnete in Mailand einen Pakt für städtische Ernährungspolitik
Von Monika Jäggi
Der Basler Regierungspräsident Guy Morin hievt mit der Unterzeichnung eines internationalen Abkommens an der Expo 2015 in Mailand die städtische Ernährungspolitik auf seine politische Agenda. Doch staatliche Fachleute dämpfen hohe Erwartungen: Basel werde sich nie selbst versorgen können.
Basel-Stadt ist zwar alles andere als ein typischer Landwirtschaftskanton und Ernährungspolitik kein Thema, mit dem sich lokalen Parteien profilieren. Trotzdem verbirgt sich hinter dem wenig aufregenden Begriff ein Thema mit Zündstoff. Dieser Stoff findet sich im Text des Abkommens zur städtischen Ernährungspolitik ("Urban Food Policy Pact"), den Morin gestern Donnerstag in Mailand unterzeichnete.
"Basel unterschreibt, dieses Abkommen, um den in Mailand begonnenen Diskussionsprozess fortzusetzen und das Thema auf die politische Agenda zu setzen", begründet Morin gegenüber OnlineReports die Unterzeichnung des Dokuments. Das Ziel sei, eine zuverlässige, gesunde, vielfältige und finanziell tragbare Lebensmittel-Versorgung für die ganze Bevölkerung sicherzustellen.
Das Abkommen geht auf eine Initiative der Stadt Mailand im Rahmen der Expo zurück. Es soll Städten weltweit auf die Sprünge helfen, ihr Ernährungssystem unter die Lupe zu nehmen und dessen Nachhaltigkeit zu verbessern. Zu den Unterzeichnern der hundert Signatar-Städte gehören neben Basel auch Zürich, Genf, Melbourne, Buenos Aires, Dakar, Moskau oder Rotterdam und viele mehr.
Stadtplanung und Nahrungsmittel-Versorgung
Heute ist es noch selbstverständlich, dass wir Fleisch, Gemüse und sauberes Wasser auf unseren Tischen finden. Immer mehr Boden wird jedoch verbaut, während die städtische Bevölkerung laufend zunimmt. In den Schweizer Städten müssen drei Viertel aller Einwohner – immerhin sechs Millionen Menschen – ernährt werden, Tendenz steigend.
Damit die Versorgung auch in Zukunft gewährleistet bleibt, gibt das Abkommen in einer Wegleitung für Stadtverwaltungen Handlungsanleitungen mit 37 konkreten Vorschlägen. Da geht es um Armutsbekämpfung, um gesunde Ernährungsweise, um bessere Nahrungsmittel-Verfügbarkeit und -Verbreitung oder um Möglichkeiten der Nahrungsmittel-Produktion in der Stadt.
Die Umsetzung dieser Vorschläge birgt Zündstoff. So verpflichten sich die Städte beispielweise, ihre Städteplanung, ihre Strategien und Vorschriften so abzuändern, dass eine gerechte und dauerhafte Nahrungsmittel-Versorgung möglich wird, oder das Land für permanente Gemeinschaftsgärten zur Verfügung zu steht. Einmal mehr stellt sich an diesem Beispiel die Frage, wie das verdichtete Bauen und die städtische Nahrungsmittel-Produktion vereinbar sind.
Möglichkeiten noch eingeschränkt
Auf die Frage, wie dieses Abkommen in Basel umgesetzt werden soll, sagte Morin, das Thema soll zunächst weiter vorangebracht werden: "Dies geschieht über den Austausch und die Vernetzung der Beteiligten, was vom Präsidialdepartement koordiniert wird." In Basel-Stadt gebe es bereits Projekte, die ein nachhaltiges Ernährungssystem fördern, und die nun gesammelt und sichtbar gemacht werden sollen. In einem weiteren Schritt, so Morin, "werden wir auf dieser Basis Handlungspotenziale identifizieren und diskutieren".
Konkreter wird Stefanie Kaiser, die Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kantons- und Stadtentwicklung im Präsidialdepartement. Sie begleitete die vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) konzipierte Ausstellung "Spirito di Basilea – Der Tisch ist gedeckt!", die an der Expo 2015 gezeigt wurde.
"Erstes Ziel ist es, den Austausch zwischen den betroffenen Departementen zu fördern", sagt Stefanie Kaiser. Denn die Ernährung betreffe direkt oder indirekt viele Fachbereiche. Allerdings – schränkt sie die Möglichkeiten ein – "hat jede Stadt eine andere Ausgangslage und muss für sich entscheiden, welche Massnahmen sie umsetzen kann".
Chefbeamte eher skeptisch
Auch Dominik Keller, der stellvertretende Leiter Amt für Energie und Umwelt (AUE) und Präsident der Landwirtschafts-Kommission Basel-Stadt, dämpft die Erwartungen: "Einen konkreten Umsetzungsplan haben wir vom AUE noch nicht”, sagt er.
Keller mahnt denn auch, realistisch zu bleiben. Auch mit dem nun unterzeichneten Abkommen werde sich Basel nicht selber versorgen können: "Unsere acht Landwirtschaftbetriebe, aber auch die urbane Landwirtschaft leisten nur einen kleinen Beitrag", stellt Keller klar.
Zudem sei einiges, was im Abkommen vorgesehen sei, bereits in Gang gesetzt. "Konkret klären wir ab, wie wir unsere stadtnahen Betriebe besser einbinden können, zum Beispiel via Direktvermarktung."
Skeptisch ist Emanuel Trueb, Leiter der Stadtgärtnerei Basel: "Ich hatte dazu geraten, vorerst auf die Unterzeichnung dieses Dokumentes zu verzichten. Es betrifft zahlreiche Stellen im Kanton, auch die Gemeinden Riehen und Bettingen, die bisher nicht involviert wurden."
Trueb weist auch darauf hin, dass in Basel-Stadt noch keine konsolidierte Haltung zum Thema Ernährungspolitik bestehe.
Er warnt überdies vor den Konsequenzen: "Die Unterschrift wird als politischer Auftrag verstanden, was Ressourcen bei der Verwaltung nötig macht, die heute nicht existieren. Ich bin nicht sicher, ob das politisch mehrheitsfähig ist." Mit dem umfassenden Freizeitgarten-Angebot und mit der stadtnahen Landwirtschaft bestünden jedoch beste Voraussetzungen für eine Ernährungspolitik im Sinne des Abkommens.
Wirkung in Basel noch unklar
Vorsichtig ist auch Heidrun Moschitz, wissenschaftliche FiBL-Mitarbeiterin und Projektleiterin der in Mailand gezeigten Ausstellung als Beitrag von Basel-Stadt: "Was das Abkommen für Basel konkret bedeutet, wird sich zeigen." Es bleibe jeder Stadt selber überlassen, was sie damit mache. Moschitz ist jedoch optimistisch: "Durch die Wahl des Ausstellungs-Thema hat sich Basel für das Thema Ernährung entschieden."
Das FiBL jedenfalls plant am nächsten Eco-Kongress, der am 27. Mai 2016 zum Thema "Welternährung und die Schweiz" in Basel stattfinden wird, bereits eine Veranstaltung zum Thema "nachhaltige Ernährung einer Stadt am Beispiel von Basel".
Kein Zweifel, dass in Basel-Stadt Handlungsbedarf besteht. Denn die Vorschläge des Abkommens gehen weiter, als das, was Basel derzeit beabsichtigt. Welche Wirkung die Unterzeichnung über das Prestige hinaus haben wird, muss sich zeigen.
* mit den Bürgermeistern von Banjul und Bari anlässlich der Abkommens-Unterzeichnung am 15. Otkober 2015 in Mailand
16. Oktober 2015
"Reine Augenwischerei"
Natürlich ist es für das eigene Ego prima, wenn ein kommunaler Politiker im grenznahen Ausland und vor laufender Kamera ein internationales Abkommen unterzeichnen kann. Dumm nur, wenn zu Hause die eigenen Spezialisten skeptisch sind und Sinn und Zweck solcher Vereinbarungen hinterfragen.
In Basel-Stadt eine städtische Ernährungspolitik isoliert zu betreiben ist reine Augenwischerei. Solche Bestrebungen kann man nur sinnvoll weiterverfolgen, wenn man die urbanen Räume weit fasst und dazu gehört in Basel-Stadt nicht nur der Südbadische Raum, sondern auch das Elsass und der Kanton Baselland. In solchen realistischen Räumen kann man neue Ernährungssysteme überprüfen und möglicherweise real umsetzen. Basel-Stadt kann sich doch nicht einmal die Fantasie einer autonomen Versorgung leisten. Urban Gardening und urban Farming sind in solchen Miniräumen Freizeitbeschäftigungen und sind kaum geeignet, auch nur modellhaft, die Versorgung einer städtischen Bevölkerung von rund 190'000 Menschen zu simulieren.
Aber vielleicht will Guy Morin – anstelle der eliminierten Fachstelle für Menschen mit Behinderung – ein paar neue Stellen im Präsidialdepartement schaffen: Eine Fachstelle für "Urban Farming" oder die staatliche Sicherstellung einer zuverlässigen, gesunden, vielfältigen und finanziell tragbaren Lebensmittel-Versorgung für die ganze Bevölkerung.
Trotzdem: Schön ist jetzt mal ein internationales Abkommen unterzeichnet. Das Konzept liefert das Präsidialdepartement später (vielleicht?). Ganz im Sinne eines mentalen "Freiraum-Projektes" für den Mailand-Reisenden Morin.
Christoph Meury, Birsfelden