... Cyberspace: Digital mit Füller
Wer eine Reise tut, der kann etwas erzählen. Schon im klassischen Altertum schrieb Homer oder Herodot getreu dieser Devise. Dann Marco Polo im 13. Jahrhundert, gefolgt wenig später vom im Westen leider wenig bekannten Ibn Batutta bis hin zu geistigen Grössen der Aufklärung im 18. Jahrhundert wie Herder oder zu Beginn des 19. Jahrhunderts Goethe. Danach die Entdecker, Abenteurer, Gelehrten und Kolonialisten an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wie Stanley oder Sven Hedin. Im 20. Jahrhundert etablierte sich folgerichtig der Reiseschriftsteller.
Jetzt freilich, bereits im elften Jahr des 21. Jahrhunderts, ist nichts mehr, wie es einmal war. In weniger als zwei Jahrzehnten hat sich alles derart verändert, dass füglich von einer Revolution gesprochen und geschrieben werden kann. Mit dem Internet, den Blogs, dem "Facebook" und so weiter und so fort hat das gedruckte Wort in diesem Bereich bereits eine Entwicklung vorausgenommen, die sich nahtlos in zehn bis zwanzig Jahren auf die Zeitung, so wie wir sie heute kennen, auswirken wird. Unschwer vorauszusagen, dass auf Papier gedruckte Zeitungen der Vergangenheit angehören. Spätestens in zehn bis zwanzig Jahren. Darauf mache ich jede Wette.
Der geneigte Leser, die aufgeweckte Leserin wird sich fragen, warum denn einer, der "Briefe aus ..." der halben Welt quasi als Möchtegern-"Reisesschriftsteller" veröffentlicht, zu solch schrägen Schlussfolgerungen kommt. Die Antwort ist einfach: Bis in die hinterste Ecke der Welt – etwas eingeschränkt sogar in Ländern wir Nordkorea oder Burma/Myanmar – regiert das digitale Paradigma, sozusagen. Dass es hier zum Thema wird, hat nur damit zu tun, dass fast ständig on the road, on the sea, in the air in Asien, Europa oder Amerika das Reisen ohne digitale Gadgets wenn nicht unmöglich so doch sehr viel beschwerlicher wäre. iPhone, eBooks, Notebooks, und bald iPad und dergleichen sei Dank.
Die Frage bleibt natürlich, was die blitzschnelle Information rund um den Erdball bringt, ob sie überhaupt etwas bewegt. Sehr wahrscheinlich wenig, nicht einmal was die Demos in Iran oder das Erdbeben in Haiti betrifft. Jene, die solches behaupten, haben nur ein kurzes Gedächtnis und können nicht mit früheren, ähnlichen Ereignissen vergleichen. Nichts nämlich hat sich – nachweisbar – durch die Informationsflut verändert. Mehr Information produziert eben nicht automatisch mehr Wissen. Aber aktuelle Fahrpläne abrufen, Tickets buchen, Routen ausfindig machen, GPS-Karten herunterladen, E-Mails, SMS, MMS versenden, Networken (Neudeutsch für "Beziehungen aufbauen") und vieles mehr, das alles ist natürlich sehr bequem.
Ob ich allerdings eine Minute, eine Stunde oder einen Tag früher oder später erfahre, ob die UBS aus dem Schneider ist, Roger Federer gewonnen oder verloren, Toni Fritsch überheblich den Schweizer Einsatz in Haiti über allen Klee gelobt, Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao einmal mehr Harmonie gepredigt, Bundespräsidentin Leuthard vorsichtigen Pessimismus verbreitet, die Schweizer Ski-Nati sich adäquat für Olympisches Edelmetall vorbereitet hat oder eine Fähre im indonesischen Archipel gesunken ist – das ist summa summarum einerlei. Die einzigen die profitieren, sind die Telecom-Anbieter, besonders unverschämt jene in der Schweiz, die mit ihrem quasi Duopol im internationalen Preis-Vergleich weltrekordverdächtige Abzocker sind.
Der blitzschnelle Informationsaustausch ist sehr wahrscheinlich so "sinnvoll" wie mein blitzschnelles Herumrirren von Asien nach Europa nach Amerika und zurück. Das Jet-Zeitalter vor einigen Jahrzehnten freilich war so wenig aufzuhalten wie jetzt das digitale. Was sich gleich bleibt seit eh: Es kommt immer drauf an, was man daraus macht. Ein Ratschlag: Bücher lesen, wann auch digital. Und was der viel zitierte "Qualitäts-Journalismus" betrifft, wird er – wie übrigens bereits seit Jahrzehnten – in Nischen überleben, zum Beispiel auf Radio DRS, der NZZ und auf OnlineReports.ch.
Mit einem Körnchen Salz kann natürlich der digitalen Welt auch ein Schnippchen geschlagen werden. Dieser "Brief aus Cyberspace" wurde wie immer alle "Briefe aus ...." tatsächlich von Hand mit Füllfeder auf weissem - selbstverständlich umweltfreundlichem – Papier entworfen. L'Art pour l'Art im digitalen Zeitalter, sicher, aber schöööön ...
28. Januar 2010