Ein Nachruf
Für einmal muss ich mich selbst zitieren. Am 6. Dezember 2004 hob eine "Das Rad" betitelte "Süss&Sauer"-Kolumne so an: "Die Sumerer schon haben 3'500 Jahre vor unserer Zeit das Rad erfunden. Für einmal waren es nicht die Chinesen. Doch das ist Anno Domini 2004 unerheblich". So war es vor zweieinhalb Jahren. Und so ist es heute, wir wir noch sehen werden, erst recht. Die Kolumne endete damals mit der Drohung: "So wird denn wohl, noch vor das laufende Jahrzehnt zur Neige geht, ein Nachruf auf den letzten Velofahrer fällig. In dieser Kolumne. Im Jahre 2008".
Aus triftigem Grund ist der Nachruf bereits jetzt fällig. In China nämlich geht eben alles ein wenig schneller. Jene, welche diese Kolumne regelmässig lesen, wissen, dass ich ein passionierter Radfahrer bin und täglich bei Regen, Sonne, Schnee, Wind, Kälte, Wärme oder sonst einem Hudelwetter in Peking unterwegs bin. Ich bin notabene nicht der nachzurufende letzte Velofahrer. Denn in Chinas Hauptstadt pedale ich noch immer mit Zig-Tausenden durch die Strassen.
Doch zugegeben sei: Es wird jedes Jahr, jeden Monat, jede Woche, ja täglich, stündlich schwieriger. Die schönen breiten Fahrradwege sind Vergangenheit, denn jetzt quillt die Autoflut in die Fahrrad-Domäne über. Kurz, die Velofahrer werden langsam aber sicher verdrängt. Obwohl, obwohl ... noch immer sind wir in Peking weit über sechs Millionen Velofahrer gegenüber knapp drei Millionen Autos. Aber eben, Autos brauchen mehr Platz und sind ganz einfach trendig. Und da unterscheiden sich Chinesen und Chinesinnen nicht sehr von den Europäern. Das Trendige muss her, koste es, was es wolle, und ohne Rücksicht auf Verlust. Verlust in diesem Falle vor allem von Velofahrern.
Da Peking für die Olympischen Spiele 2008 der Welt gut geordnete Verkehrsverhältnisse präsentieren will, müssen die Verantwortlichen natürlich durchgreifen. Beim Durchgreifen, wer wüsste es nicht, trifft es immer die Schwächeren. Und im Verkehr sind das nun mal die Velofahrer. Nur eben, im Unterschied zur Schweiz und Europa, wo das Fahrrad meist als Sport- und Spassgerät genutzt wird, brauchen es hier in China noch die meisten als Transportmittel. Dass die chinesische Verkehrspolizei das Velo jetzt als grosses Verkehrs-Hindernis bezeichnet, ist darum nun doch ein starkes Stück.
Ganz offensichtlich kennen die Genossen Polizisten weder die Geschichte des Fahrrads in China, noch sind sie fähig - wie es die Partei eigentlich fordert -, dialektisch zu denken. Nun ja, kein Wunder, führt doch die Partei das "kommunistisch" zwar immer noch im Namen, pflegt aber ansonsten Kapitalismus von der brutalsten Sorte.
Das Fahrrad in China war bis 1940 ein Gerät, das ausschliesslich von Ausländern und wohlhabenden Chinesen genutzt worden ist. 1930 beispielsweise gab es im "Paris des Ostens", Shanghai, bei 2,5 Millionen Einwohnern knapp 20'000 Fahrräder. Zwanzig Jahre später waren es bei rund vier Millionen Einwohnern dann knapp 200'000 Velos. Mit der Befreiung Chinas 1949 setzte der Fahrradboom erst so richtig ein. Die schönen, breiten Fahrradwege, die jetzt von überforderten Verkehrsplanern wieder aufgehoben werden, wurden damals in Chinas Städten Teil der Verkehrsplanung.
Der Velofahrer ist eine aussterbende Spezies, der Nachruf auf den letzten Velofahrer deshalb kaum verfrüht. Er ruhe in Frieden im Verkehrs-Dickicht der chinesischen Grossstädte! Die "fliegende Taube" mit Stängeli-Bremse, hand- und massgefertigtem Ledersattel sowie ohne Schaltung jedoch wird Pekings Strassen noch so lange unsicher machen, bis das Velofahren von der Polizei ausdrücklich verboten wird. Hätten doch nur nicht die Sumerer, sondern die Chinesen das Rad erfunden. Alles wäre anders gekommen ...
11. Juni 2007
"Solche Artikel sind Leckerbissen"
Pitt Müller, Basel
"Solche Artikel sind Leckerbissen"
Pitt Müller, Basel
"Bejing ist nicht China"
Wenn Kapitalismus von der brutalsten Sorte mal in die andere Richtung ausschlägt, kanns in China durchaus auch mal die "Stinker" treffen und so rauskommen wie in der zweitgrössten chinesischen (Festland-) Hafenstadt Ningbo. Hier wurde das benzingetriebene Zweirad vor drei Jahren in der City ganz einfach kurzerhand verboten. Gründe: Zu viele Unfälle und übelriechende Düfte. Dafür wurden durch die ganze Stadt hindurch breite Zweiradwege (autofahrspurbreit!) angelegt und das Elektrovelo- und -moped gefördert. Resultat: 100 Prozent saubere und leise Zweiräder mit ganz viel Platz drumherum, trotz vielen Autos.
Die Menschen und Fussgänger freuts, denn die relativ langsamen Elektromopeds und -velos bringen sowas wie eine Brise Ruhe und Gelassenheit in die sonst hektische Hafenstadt. Die Benutzer der Elektrozweiräder freuts ebenso: Elektromopeds sind hier schon ab umgerechnet 300 Franken zu haben und mit einer Ladung Energie, die für 30 bis 50 Kilometer reicht, bezahlt man gerade mal ein paar Rappen.
Für mich Exilbasler ist der Anblick von so vielen Elektrofahrzeugen fast so, als ob ich im nächsten Jahrtausend angelangt sei. In Basel sieht/sah man so ein "futuristisches" Fahrzeug ja allenfalls ein-oder zweimal im Monat - trotz Basler Fördersubventionen in Millionenhöhe! Da könnten sich unsere innovativen Basler Verkehrsförderer noch ein kräftiges Stück abschneiden.
Nebenbei bemerkt: Überirdisch parkieren darf man hier auch noch beim Bahnhof oder der Bussstation, trotz e weneli Chaos. Das hat hier nämlich durchaus auch seinen "innovativen" urbanen Charme.
Bruno Omlin, Schanghai