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Peter Achten: "Basilea"

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Violett und Kopf nach unten

Jetzt, wo von Corona bis Zecken das Impfen in aller Munde ist, versuche ich mich an die Impfungen meiner Kindheit – etwa Masern und dergleichen – zu erinnern. Ohne Erfolg. Zwar ist nach Jahrzehnten des Lebens und Arbeitens rund um den Globus mein gelbes Impfbüchlein randvoll. Doch eine Impfung gegen Grippe – jetzt kommen wir Corona schon näher – ist nicht darunter. Bis vor sechs Jahren in Peking.
 

Eines Tages kommt mein Enkel Maximilian von der Schule und sagt zu mir: "Nonno, heute sind wir gegen Grippe geimpft worden, und der Lehrer hat gesagt, Kinder und sehr alte Leute sollten sich unbedingt jedes Jahr gegen Grippe impfen lassen." Aha! Ich wollte dann von Mäxli wissen, ob ich mich jetzt auch impfen lassen muss. Sicher, meinte er, denn ich sei doch schon "ziemlich sehr alt". Also in Peking und danach die jährliche Grippeimpfung. Da ich "ziemlich sehr alt" bin, erhielt ich am Anfang dieses Jahres dann zweimal die Covid-Impfung.
 

Covid-19 hat mich dann dennoch erwischt. Alles verlief schliesslich moderat dank bester ärztlicher Betreuung. Dabei fiel mir ein, dass ich mit Ärzten immer Glück gehabt habe. Besonders in meiner Kindheit. Der erste Arzt, der mich und den wohl auch ich gesehen habe, fällt auf meinen ersten Geburtstag, den 9. Septermber 1939. Nach glaubwürdigen Augenzeugenberichten soll mich meine Mutter – wie aller Mütter – als "das schönste Baby" bezeichnet haben.

Bereits am zweiten Tag soll sie nach den gleichen Augenzeugen auch geäussert haben, dass der kleine Peterli "nicht ganz unintelligent" sei. Hat meine Mutter das aus meinem wilden Äugchenrollen, aus meinem zerreissenden Krächzen, das selbst den Vater aus dem Schlaf riss oder aus meinen genussvollen Rülpserchen nach der Muttermilch geschlossen? Einerlei.
 

Unser Hausarzt Professor Hottinger – kurz und liebevoll nur Hotti genannt – sagte mir viele, viele Jahre in der Praxis in seinem schönen Haus am Petersplatz, wie ich tatsächlich ausgesehen habe. Weder schön noch hässlich nämlich, sondern violett. Er habe auch an den Knöcheln hochgehoben, Kopf nach unten und habe sachte auf meinen Rücken und mein violettes Bäuchlein geklopft.

Die St. Josephsklinik beim Schützenmattpark und dem Schützenhaus bleibt mir deshalb seit meinem ersten Tag auf dieser Erde in bester Erinnerung. Die wenigen Male in den letzten Jahrzehnten, in denen ich Basel besuchte, stand ich immer eine Viertelstunde an der Ecke der Klinik stehen. Ich finde es wunderbar und wohltuend, auf dem physischen Ort zu stehen, wo man tatsächlich zur Welt gekommen ist.
 

Während meiner Kindheit hatte ich wenige Krankheiten zu tun. Ab und zu ein Kontrollbesuch bei Hotti oder Impfungen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Ansonsten hin und wieder eine Erkältung. Als Primarschüler waren eine oder zwei Erkältungen pro Wintersaison für mich zu wenig, weil ich gerne schön im Bett ausschlafen konnte und bedient wurde. Mit einem entfachten Zündhölzchen versuchte ich, den Thermometer nach oben zu drücken. Leider explodierte er, und mit mehr als  einer oder zwei Erkältungen pro Saison war es vorbei.

"Mein rechter Daumen sieht aus
wie eine schmale, langgezogenen Pflaume."

Mit knapp fünf Jahren hatte ich dann den ersten, ernst zu nehmenden Zwischenfall. Ich spielte mit meiner um ein Jahr älteren Schwester im Garten an der Kandererstrasse. Das eiserne Gartentörchen nutzten wir als bewegliches Spielzeug. Dann geriet in einem Moment der Unachtsamkeit der Daumen meiner rechten Hand ins Törchen. Ich schrie wie am Spiess. Doch je mehr ich schrie, umso mehr drückte meine Schwester das Gartentörchen zu.

Um es kurz zu machen: Nach einer ambulanten Behandlung im Spital sagte mein Vater zu Hause, die Ärzte hätten meinen Daumen wieder "angeklebt". Die Mediziner haben tatsächlich einen guten Job gemacht. Keinerlei Behinderung an der rechten Hand. Aber Schönheitschirurgen waren gewiss nicht am Werk. Der rechte Daumen sieht aus wie eine schmale, langgezogenen Pflaume. So werde ich bis heute täglich an mein Schwesterlein erinnert.
 

Kaum ein Jahr später am 1. August 1945 – dem ersten Nationalfeiertag nach dem Krieg – schlug mein Schwesterlein wieder zu. Im hinteren Hof an der Kandererstrasse warteten wir. Der kleine Platz bedeckt mit Kieselsteinen, darauf eine Teppichstange. Ich hängte mich mit meinen Knien daran, der Kopf nach unten. Mein Schwesterlein näherte sich unbemerkt und drückte meine Knie von der Stange. Ich fiel ungespitzt in den Kieselboden. Es blutete. Meine Mutter verarztete mich schnell und verband meinen Kopf mit einem grossen, weissen Verband, auf den ich sehr stolz war. Mit Schweizerkreuz-Lampions gingen wir dann ans Rheinufer zur Feier.
 

Viele Leute lauschten einem Redner. Viel verstand ich nicht, ausser dass er immer wiederholte, "dass wir viel Glück hatten". Das konnte ich damals natürlich noch nicht einordnen. Weiss gekleidete Turner bauten eine menschliche Pyramide, das alles von bengalischem Feuer beleuchtet. Dann zuerst die Nationalhymne, die nur mitgesummt wurde. Schliesslich aus hunderten von Kehlen "z'Basel a miim Rhy".

Mein Vater, Secondo mit Migrationshintergrund, sang mit und hatte Tränen in den Augen. Meine Mutter weinte. Ich sang begeistert mit die bis heute einzige für mich gültige Nationalhymne: "z'Basel a miim Rhy, jo doo mecht i sii". Am nächsten Tag hat Hotti meinen Kopf fachgerecht verarztet.

 

Auch hier blieb etwas zurück: eine gut zwei Zentimeter lange Schramme oberhalb der Stirn. Jeden Morgen also beim Blick in den Spiegel werde ich an meine Schwester erinnert. Als Erwachsene freilich haben meine Schwester und ich uns gefunden und haben eine innige Beziehung. Ueber meinen Pflaumendaumen und die Schramme lachen wir nur noch.
 

Als Kind war ich auch einmal im Spital. Man musste mir die Mandeln schneiden, was damals noch nicht ambulant gemacht werden konnte. Nur allzu gut erinnere ich mich noch an die Anästhesie. Herr Doktor nahm mich auf den Schoss, umfasste mit der Linken meinen Brustkorb. In der rechten Hand hatte er einen weissen, mit Aether beträufelten weissen Lappen, den er mir über Mund und Nase hielt. Ich glaubte zu ersticken. Doch nach wenigen Atemzügen war ich weg.

Die Tage im St. Clara-Spital waren angenehm. Jeden Tag durfte ich so viel Vanille-Eis essen, wie ich wollte. Vor allem aber liebte ich die Ingenbohl-Schwestern, die mir viele Geschichten und viel vom lieben Gott erzählten.
 

Eines Tages fragte ich, ob in diesem Spital auch Menschen sterben und was aus ihnen werde. Die Schwester fragte mich, ob ich denn mal einen Toten sehen wollte. Und wie! Ich musste drei Ave Maria und drei Vater Unser beten, und durfte dann im Keller einen Toten sehen. Ich erinnere mich, dass ich den Toten wie ein Objekt anschaute, nicht wie einen Menschen. Was die Ingenbohl-Schwester mir damals erlaubt hat, wäre heute völlig unmöglich. Doch mir hat es nicht geschadet. Im Gegenteil. Es war eine Lehre fürs Leben über Leben und Tod.
 

Der Tod ist mir so schon früh begegnet. In den folgenden Jahrzehnten habe ich in vielen Länder Tote gesehen, Kriegstote, Hungertote, Katastrophentote. Philosophisch gesehen jedoch ist nicht der Tod der Skandal, sondern die Ungerechtigkeit. Mit andern Worten: Warum haben wir in der Schweiz so viele Chancen, in Syrien, Südsudan, Nordkenia, Bangladesh oder Afghastan indessen nicht? Beim sich nähernden Tod ist für mich Ungerechtigkeit die Hauptfrage. Leider nicht auflösbar.

21. Juni 2021
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Peter Achten, geboren 1939 in der St. Josephsklinik beim Basler Schützenmattpark und aufgewachsen beim Erasmusplatz im Kleinbasel und am Dorebächli im Neubadquartier. Studium der Geschichte und Wirtschaft. Lokalredaktor beim "Basler Volksblatt" und der "National-Zeitung", Nachrichtenredaktor bei den "Basler Nachrichten". Auslandkorrespondent in Lateinamerika und Spanien. 1975 bis 1986 Moderator und Produzent der SRF-Tagesschau. Danach Korrespondent für in- und ausländische Medien in Asien (Peking, Hong Kong, Hanoi) und den USA. Lebt seit wenigen Jahren wieder in der Schweiz. Autor verschiedener Bücher, zuletzt "Abschied von China" (Stämpfli Verlag).

pedro.achten@icloud.com

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Hatte das "Regi" gerade Pause? 

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