© Foto by Greenpeace
"Risiko einer Vergiftung": Fundstelle auf der Chemiedeponie Le Letten
Jetzt ist die "Letten"-Chemiemülldeponie im Visier
Greenpeace und Fachleute kritisieren "offen herumliegenden Giftmüll" und die Untätigkeit der französischen Umweltbehörden
Von Peter Knechtli
Nach der Chemiemülldeponie "Roemisloch" gerät nun auch die elsässische Schwesterdeponie "Le Letten" 150 Meter vor der schweizerisch-französischen Landesgrenze wieder in die Schlagzeilen: Laut Analysen von Greenpeace liegt dort "hochtoxischer Giftmüll" herum. Die Umweltschutzorganisation reichte Strafanzeige ein.
Wie die Chemiemüllgrube "Roemisloch" liegt auch "Le Letten" unmittelbar hinter der Landesgrenze auf elsässischem Boden. Die Umwelt-Organisation Greenpeace, die seit Jahren eine Totalsanierung der Chemiemülldeponien in der Region Basel fordert, stellte heute Dienstagamorgen auf der im Wald gelegenen Halde seit 45 Jahren "offen herumliegenden Giftmüll" sicher. Novartis, Ciba und Syngenta sowie die französischen Umweltbehörden wüssten "seit Jahren von diesem unter freiem Himmel liegenden Giftmüll und nehmen in Kauf, dass sich Kinder aus der Nachbarschaft vergiften könnten".
"Auch Schweizer Grundwasser bedroht"
Die neue Vorwürfe stützen sich auf Analysen, die das Laboratoire RWB in Porrentruy im Auftrag von Greenpeace ausführte. An der Fundstelle "Krummer Baum" ermittelte RWB mindestens 43 Chemikalien. Der Giftmüll sei an jener Stelle mit mindestens 150 Gramm pro Kilogramm zum Teil hochgiftigen Chemikalien belastet: 50 Gramm Nitrobenzol und mindestens 100 Gramm halogenierte chemische Substanzen. Die Umweltschutzorganisation geht fest davon aus, dass es sich bei der Deponie um Produktionsabfälle der Basler chemischen Industrie handelt. In den Jahren 1957 bis 1961 seien mindestens 3'200 Tonnen Giftstoffe in die wilde Deponie "Le Letten" abgekippt worden. Bedroht sei auch das Grundwasser der Schweizer Gemeinden Schönenbuch und Allschwil.
Greenpeace-Aktivisten stellten heute Dienstagmorgen in der kritisierten Deponie Giftmüll sicher, riegelten andere Fundstellen mit Gittern ab und kennzeichneten das Deponiegelände mit Warnschildern und Absperrbändern.
"Extrem hohe Konzentrationen"
Greenpeace stützte sich bei der Aktion gegen "Le Letten" auf Labor-Analysen, wonach es sich beim um hochtoxischen Chemie um Blut- und Nervengifte und Krebs erregende Chemikalien wie Brom-Anilin und Nitrobenzol in "extrem hohen Konzentrationen" handelt. Die Umweltorganisation wirft den Chemiekonzernen und den französischen Behörden vor, sie nähmen "das Risiko einer akuten Vergiftung von Mensch und Umwelt in Kauf". Da die Verhältnisse rund um die Deponie "Le Letten" "klar rechtswidrig" sei, reichte Greenpeace laut Matthias Wüthrich, dem Verantwortlichen für die Chemie-Kampagne, noch heute Morgen Strafanzeige ein. Bis Ende Woche müsse "das Deponiegelände abgesichert, jeglicher akut gefährdender Giftmüll fachgerecht entsorgt und die Totalsanierung eingeleitet werden".
In ihren schrftlichen Unterlagen domentiert Greenpeace auch Aussagen von Kaderleuten der Basler Umweltschutzbehörden und einer Toxikologin der Universität Zürich, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen (siehen Kasten). Greenpeace lässt es aber nicht bei der Forderung nach sofortiger Totalsanierung der Deponie "Le Letten" bewenden. Vielmehr erhebt sie diese Forderung für sämtliche im Dreiländereck der Region Basel vor sich hin dümpelnden Chemiedeponien.
Chemiekonzerne versprechen Entsorgung
Laut Conrad Engler, Sprecher der "Interessengemeinschaft Deponiesicherheit Regio Basel" (IG DRB), in der die Chemie- und Pharmakonzerne vertreten sind, wird das giftige Material der Deponie "entsorgt", so bald eine Vereinbarung mit Frankreich unter Dach und Fach sei. Die IG habe den französischen Behörden schon vor vier Jahren vorgeschlagen, auf der Deponie herumliegendes Material und verrostende Fässer zu entfernen und fachgerecht zu entsorgen. Für die Deponie-Untersuchung und für die Umsetzung dieser Massnahmen sei eine Vereinbarung mit Frankreich ausgearbeitet worden, die kurz vor der Unterzeichnung steht.
Dieser Vertrag biete der IG DRB den rechtlichen Rahmen für die Realisierung von Massnahmen in Le Letten und im Roemisloch, für Verhandlungen mit den Landeigentümern und vermeide rechtliche Auseinandersetzungen. Sobald die Präfektur die Vereinbarung unterzeichnet habe, werde die IG "die notwendigen Schritte in die Wege leiten, um in Zusammenarbeit mit Behörden und Landeigentümern das auf der Deponie liegende Material wegzuräumen und umweltgerecht zu entsorgen". Parallel dazu werde die Ausräumung von Bauschutt aus dem "Roemisloch"-Bach in Neuwiller geplant, wenn die Convention mit dem französischen Staat unterzeichnet ist.
Die IG DRB widerspricht den Einschätzungen der Fachleute: Ihre neusten Untersuchungsergebnisse zeigten, "dass von der ehemaligen Deponie Le letten in Hagenthal-le-Bas keine akute Gefährdung von Mensch, Tier und Umwelt ausgeht". Die neusten Analyseresultate vom vergangenen November hätten "keine Belastung der Gewässer mit Deponie-typischen Stoffen ergeben und die bisherigen Untersuchungen bestätigt, die seit Herbst 2003 nach einem Qualitätssicherungskonzept der Universität Basel durchgeführt werden.
22. Februar 2005
Was Fachleute sagen
André Herrmann, Kantonschemiker des Kantons Basel-Stadt | «Als Fachperson kann ich folgende persönliche Meinung abgeben: Diese Abfälle gehören bestimmt nicht in frei zugängliche Gebiete und müssen fachgerecht entsorgt werden. Die gemessenen Chemikalien sind eindeutig starke Gifte (u.a. kanzerogene) und können die Menschen direkt oder indirekt (über Kontamination von Lebensmitteln, insbes. über Trinkwasser) gefährden.»
| Margret Schlumpf, Toxikologin, Universität Zürich | «Bei diesem Chemiemüll handelt es sich um eine Mischung diverser giftiger Chemikalien wie Naphthalin, Chloroform, aromatische Amine, Benzolderivate sowie Chlor– und/oder Brom-haltige Verbindungen. Die Handhabung der meisten dieser Chemikalien unterliegt strikten Restriktionen. An der Fundstelle sind diese Chemikalien jedoch völlig unkontrollierbar. Es handelt sich um eine Mischung von Substanzen, die in freier Natur ein hohes Risiko darstellen. Sie müssen mit entsprechenden Schutzmassnahmen geborgen und nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen als Sondermüll entsorgt werden. Allein schon der Umstand, dass die Verursacher es offensichtlich in Kauf nahmen, dass sich spielende Kinder in unmittelbarer Nähe von offenem Chemie-Müll aufhalten könnten, ist, gelinde gesagt, als verantwortungslos zu taxieren. Betroffen sind aber auch wild lebende Tiere, ganz besonders Kleinlebewesen wie Schnecken, Würmer, Käfer oder Ameisen, deren Lebensgrundlage der Waldboden ist. Wenn sie nicht direkt als Folge der Einwirkungen solcher Chemiegemische zugrunde gehen, bilden sie immerhin Futter für Reptilien, Vögel und Säugetiere und bringen auf diese Weise die belastenden Chemikalien in tierische und auch in die menschliche Nahrungskette ein.»
| Jürg Hofer, Leiter Amt für Umwelt und Energie des Kantons Basel-Stadt
| «So wie Sie die Zusammensetzung der Abfälle geschildert haben, gehe ich davon aus, dass es sich um Sonderabfälle handelt, wie sie in Anhang 2 der am 1. April 1987 in Kraft getretenen Verordnung über den Verkehr mit Sonderabfällen (VVS) in der Schweiz umschrieben sind. Solche Abfälle dürfen vom Verursacher nur an einen Betrieb abgegeben werden, der zu ihrer Entgegennahme berechtigt und bereit ist. Der Verursacher (Abgeber) muss für jeden Sonderabfall einen sogenannten Begleitschein ausfüllen, der Art und Menge der Abfälle sowie den Transporteur und den Empfänger festhält. Sonderabfälle der von Ihnen geschilderten Art müssen heute in einer Sondermüllverbrennungsanlage verbrannt werden. Sie dürfen sicher nicht unbehandelt deponiert werden.» |
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