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Warten auf den langen Transport: Bündner Schlachtvieh
Rinder-Wahnsinn der menschlichen Art
Extrem-Beispiel Graubünden: Wie Steuermillionen in Viehmärkte und lange Schlachttier-Transporte fliessen. Die Zeche bezahlen die Tiere
Von Matthias Brunner
Wer mit Schlachtvieh ökologisch umgeht, schaut finanziell in den Mond. Wer es aber auf quälend langen Transporten auf seinen letzten Weg schickt, sahnt ab. Diese umweltpolitisch und finanziell bizarre Agrarpolitik des Kantons Graubünden kostet Millionen an Steuergeldern. Jetzt fordert die "kagfreiland" gleiche Entschädigungen für alle.
Für das Jungrind "Gazelle" hat an diesem strahlenden Tag das letzte Stündlein geschlagen. Biobauer Andrea Nold aus Conters im Prättigau tritt den letzten Weg gemeinsam mit "Gazelle" zum Metzger im nur drei Kilometer entfernten Küblis an. Auch für Nold ist dies ein schwerer Gang. Noch einmal krault er "Gazelle" die Stirn – dann fällt der dumpfe Knall des Bolzens. Sofort sackt das Tier tödlich getroffen zu Boden. "Ich bin das dem Tier einfach schuldig, dass ich es bis zuletzt begleite", findet Nold, Präsident der KAG-Bio-Prduzentengenossenschaft im Prättigau, der sieben Bauern angehören.
Damit erfüllt der Landwirt die Idealvorstellungen der Nutztierschutz-Organisation "kagfreiland", die möglichst kurze Transportwege und wenig Stress für die Tiere fordert. "Wenn es meinen Tieren gut geht, geht es auch mir gut", meint der engagierte Bauer.
Rind ist nicht gleich Rind
Hätte er allerdings sein Jungrind auf einen der vier weiter entfernten, offiziellen Schlachtviehmärkte in Ilanz, Schiers, Zernez oder Cazis gebracht, hätte er für das selbe Jungrind einen sogenannten Auffuhrbeitrag von bis zu 250 Franken vom Kanton erhalten.
Aehnlich geht es Gian Michael aus der Schamser Talgemeinde Donath. Wie sein Berufskollege aus dem Prättigau möchte auch er seine Tiere am liebsten in der Nähe schlachten lassen. Doch da kein Schlachtlokal mehr in der Umgebung zur Verfügung steht, ist er gezwungen, seine Tiere nach dem weiter entfernten Cazis zu transportieren. Dabei werden beide Bauern als Direktvermarkter bloss mit einem bescheidenen Pauschalbetrag von je 60 Franken für ihre Tiere abgespiesen. "Wir fänden es gerechter, wenn die Viehhalter unabhängig vom Markt alle gleich entschädigt würden", findet Hans-Georg Kessler von "kagfreiland".
Im Dschungel der Subventionen
Verantwortlich für die geltende Regelung ist die neue, seit rund einem Jahr betriebene Bündner Agrarpolitik. Denn seit der Bund mit dem Inkrafttreten des neuen Landwirtschaftsgesetzes die Schlachtviehbeiträge abgeschafft hat, sind die Kantone für die Regelung des Schlachtvieh- und Fleischmarkt verantwortlich.
Seither herrscht in diesem Bereich ein völlig unübersichtlicher Subventionsdschungel. Selbst die Schweizerische Genossenschaft für Schlachtvieh- und Fleischversorgung (GSF) scheint den Ueberblick verloren zu haben. Direktor Jürg Schletti gab ONLINE REPORTS auf Anfrage jedenfalls zur Antwort: "Wir haben keinen Überblick über die unterschiedlichen Schlachtviehbeiträge in den einzelnen Kantonen."
Andere Kantone schafften Beiträge ab
Nach einer Umfrage des St. Gallischen Bauernverbandes bei benachbarten Organisationen hat der Kanton Thurgau die Auffuhrbeiträge mangels Interesse an den öffentlichen Viehmärkten bereits gestrichen. Auch die Innerschweizer Kantone Obwalden und Schwyz werden diese Beiträge bis im Jahr 2001 abschaffen.
Nicht so Graubünden. Kein anderer Kanton pumpt so viel Geld in die verschlungenen Kanäle des Schlachtviehmarkts. Nur der Kanton Bern kann noch einigermassen mithalten. So bezahlt er für Mastkälber aus dem Berggebiet einen maximalen Beitrag (inklusive Distanzzuschlag) von 170 Franken pro Tier. Peter Kreuter, Leiter der Fachstelle Tierproduktion des Kantons Bern begründet diese Auffuhrbeiträge mit dem Ausgleich zwischen dem Berggebiet und dem Flachland: "Es geht uns nicht darum, Beiträge zum Einkommen zu leisten, sondern durch diese Massnahmen mehr Markt zu schaffen."
Längere Schlachttiertransporte und teure Bündner Arena
Der Kanton Graubünden geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er neben den Auffuhrbeiträgen zusätzlich sogenannte "Qualitätsbeiträge" entrichtet und sich auch an Infrastrukturkosten der Vermarktungsstrukturen beteiligt. Insgesamt lässt sich Graubünden dieses Konzept jährlich happige 2,3 Millionen Franken Steuergelder kosten. Am Schlachtviehmarkt ist scheinbar die Agrarreform "Agrarpolitik 2002", die mehr Markt und mehr Ökologie propagiert, spurlos vorbeigegangen.
Alexander Dönz, Chef des Bündner Landwirtschaftsamtes, verteidigt die planwirtschaftlichen Methoden so: "Wir wollen damit die Marktbedingungen verbessern." Grotesk: Von je weiter her das Nutzvieh zum Viehmarkt transportiert wird, umso höher ist der Auffuhrbeitrag. Begründet wird diese Abstufung mit den Transportkosten. Offensichtlich will hier der Kanton bewusst einen Anreiz schaffen, damit die Tiere selbst aus dem entlegensten Tal auf einen der vier offiziellen Viehmärkte gekarrt werden.
Neues Viehvermarktungs-Zentrum in Mittelbünden
Die Indizien sind unverkennbar. Für stolze 6,5 Millionen Franken wurde in Cazis in Mittelbünden ein neues, grosses Viehvermarktungs-Zentrum aus dem Boden gestampft. Es ist Teil des neuen Bündner Schlachtviehmarkt-Konzeptes, welches sich auf vier Märkte für den ganzen Kanton konzentriert. Der Staat hat insgesamt 2,1 Millionen Franken an den Neubau gezahlt. Neben Hypotheken und Krediten wurde das Projekt mit Geld aus den verschiedensten Kassen und Kässeli finanziert, welche die Bündner Viehvermittlungs-AG als Anhängsel des Bündner Bauernverbandes angehäuft hat.
Zusätzlich leistet der Kanton einen jährlichen Zustupf von 600’000 Franken an die Infrastrukturkosten, mit welchem auch die übrigen drei Vermarktungszentren aufgerüstet werden. Leer gehen dagegen die vielen kleinen Schlachtlokale in den Dörfern aus, die zum Teil nicht mehr rentieren, weil sie veraltet sind. Doch den Dörfern und Genossenschaften fehlt zumeist das nötige Kapital, um diese Schlachtlokale nach den heutigen Anforderungen und den verschärften Hygienevorschriften umzubauen.
Im September 1998 nahm "die Bündner Arena", wie das Prestigeobjekt von Cazis genannt wird, den Betrieb unter der Regie der Bündner Viehvermittlungs-AG auf. Seitdem gelangen hier sogar Tiere aus dem Tessin zur Versteigerung. Hier werden die Kälber, Rinder und Kühe zuerst begutachtet und nach der Qualität eingeschätzt, was für die Entrichtung des Qualitätsbeitrages massgebend ist. Anschliessend werden die Tiere versteigert und von den Händlern gekauft. Damit ist die Reise für das Rindvieh allerdings noch nicht zu Ende. Denn der Schlachthof befindet sich nicht etwa auf dem selben Gelände, sondern etwas einen Kilometer entfernt in der Industriezone. Wegen dieses planerischen Unsinns müssen die dem Tode geweihten Tiere deshalb nochmals in den Transporter bugsiert werden. Jedoch nur rund ein Drittel von ihnen werden im Schlachthaus von Cazis selber geschlachtet. Die meisten werden ins Unterland verfrachtet und gelangen erst nach langer Fracht in die fabrikmässigen Schlachthäuser von Zürich, Basel und Bern oder anderswo.
Transport-Stress vermindert Fleisch-Qualität
Wie sich diese verfehlte Politik auf die "Qualität" der Fleischlieferanten auswirkt, zeigen wissenschaftliche Untersuchungen an Schlachtkörpern. Danach führt vor allem Stress und Flüssigkeitsverlust, wie ihn die Tiere während des Transportes und auf dem Markt erleiden, zu "DFD-Fleisch" (dark, firm, dry), welches qualitativ minderwertig ist.
Nach der Ansicht von Simonetta Sommaruga, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), widerspricht diese Entwicklung den Wünschen der meisten Konsumentinnen und Konsumenten: "Es ist ganz klar: Gefordert sind beim Fleisch eindeutig artgerechte Haltung, möglichst regionale Herkunft und kurze Transportwege für die Tiere." Ausserdem entgeht dem Berggebiet durch die Schlachtung und Verarbeitung im Unterland der grösste Teil der Wertschöpfung.
Viehhändler und Schlachtviehmarkt profitieren - Bergtäler verarmen
Diesen Umstand beklagen auch die Bauern aus den 18 Gemeinden der Bergtäler Schams, Avers und Rheinwald: "Uns bringt das Vermarktungszentrum Cazis gar nichts", stellt Gian Michael aus Donath fest. Zumindest der Verdacht lässt sich nicht so leicht von der Hand weisen, dass vor allem die Viehhändler und die im Schlachtviehmarkt involvierten Kreise von der Bündner Arena profitieren können.
Simonetta Sommaruga bezweifelt, dass der freie Markt bei diesen Vermarktungszentren tatsächlich spielt: "Ich glaube, dass so eine Stützungsmassnahme nur beschränkt mehr Markt zulässt." Die Schlacht- und Verarbeitungsgenossenschaft Schams wollte deshalb ein eigenes Projekt für ein Schlachtlokal mit Verarbeitungsraum realisieren. "Damit Bündner Fleisch auch tatsächlich aus Graubünden stammt und nicht aus Argentinien", fordert Gian Michael.
Der Kanton war jedoch nicht bereit, einen Beitrag an die budgetierten Kosten von 800’000 Franken zu zahlen. Jetzt will die Genossenschaft mit einem neuen, bescheideneren Projekt nochmals mit einem Unterstützungsgesuch an den Kanton gelangen.
2. Mai 2000