© Fotos by Greenpeace, Philip Reynae
"Umgeben von kontaminierter Luft": Tuareg-Frauen holen Trinksame bei Akokan, Niger
Weil in den guten Schweizerstuben das Atomlicht brennt
Eine neue Studie über den Atomkonzern Areva belegt verheerende Folgen des Uranabbaus im Niger
Von Ruedi Suter
Vier der fünf Schweizer Atomkraftwerke verwenden höchstwahrscheinlich Uran aus dem afrikanischen Niger. Dort schädigt der Uranabbau nachhaltig Menschen, Tiere und Umwelt. Wie schwer, das haben nun Umweltschützer und Menschenrechtler mit wissenschaftlichen Untersuchungen im Abbaugebiet erforscht. Die Resultate sind alarmierend.
Atomstrom wird wieder salonfähig. Auch in der Schweiz scheint das Argument von der "sauberen Atomenergie" wieder mehr Leuten einzuleuchten. Wen wundert's, angesichts der wachsenden Umweltschäden, welche auf die Nutzung der fossilen Energien zurückzuführen sind. Klimaerwärmung und monströse Ölkatastrophen wie die aktuelle um die explodierte Ölplattform "Deepwater Horizon" der Schweizer Betreiberfirma Transocean im Golf von Mexiko lassen die Kernkraftwerke im neuen Glanz erstrahlen.
Dieser Glanz glänzt aber nur so lange, als die Probleme und Zerstörungen durch die Atomindustrie verdrängt werden. Beispielsweise die verheerenden Langzeitfolgen des Uranabbaus, AKW-Katastrophen wie jene von Tschernobyl, die Folgeschäden durch detonierte Atomwaffen und verschossene urangehärtete Munition sowie die für menschliches Zeitgefühl fast "ewige" Strahlung des Atommülls.
Uran-Abbau für Schweizer Stuben
Bislang kaum thematisiert wurden in der breiten Öffentlichkeit die unheimlichen Effekte des Abbaus von Uran für die Einheimischen in den Schürfgebieten. Doch nun dreht der Wind. Bereits im Juli 2008 hatte OnlineReports unter dem Titel "Der Atomstrom-Komfort führt in die verstrahlte Wüste der Tuareg" nachgewiesen, dass auch Schweizer Atomstrom-Konsumierende indirekt Schuld an Tod und Siechtum in der Wüstenbevölkerung um die Uranminen im afrikanischen Niger tragen. Grund: In Schweizer Atomkraftwerken werden Brennstäbe verwendet, die der französische Atommulti Areva liefert; dieser Konzern baut seit Ende der sechziger Jahre im Niger Uran ab.
Doch Areva – das Kombinat forciert weltweit den Ausbau der Atomindustrie und betreibt in über 100 Ländern seine Atomgeschäfte – versucht Bedenken und Kritiken gleich zu atomisieren: Die Verantwortlichen weisen regelmässig alle Schuldzuweisungen weit von sich und versichern, zum Wohle von Mensch, Tier und Umwelt alle nur denkbaren Sicherheitsvorkehrungen umgesetzt zu haben. Auch in der Wüste des mausarmen, im Februar von einem erfolgreichen Putsch gebeutelten und zurzeit gerade wieder von einer Hungersnot heimgesuchten Staates Niger. Dort betreibt der gallische Atomgigant bei Agadez seine Minen Somair und Cominak, und dort will er bis 2014 in einem unerbittlichen Konkurrenzkampf gegen asiatische und amerikanische Konkurrenten eine riesige dritte Mine (Imouraren) eröffnen.
Grüner Stosstrupp in der Strahlen-Wüste
Doch jetzt hat Greenpeace zusammen mit dem nigrischen Netzwerk Réseau des Organisations pour la Transparence et l’Analyse budgétaire (Rotab) und den französischen Wissenschaftslabaor Criirad das Geschäftsgebaren Arevas in diesem afrikanischen Wüstengebiet unter die Lupe genommen. Die Umweltorganisation stellte am Donnerstag im Beisein betroffener Wüstenbewohner in Genf eine brandneue Studie vor, die mit schwerwiegenden Vorwürfen gegen den Atomkonzern gespickt ist. Grundlage des Berichts "Left in the Dust – Areva's radioactive legacy in the desert towns of Niger" bilden Recherchen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftern im Solde der Regenbogenorganisation. Diese suchten letzten November das von der Regierung zumeist abgeschottete Minengebiet bei den Städten Arlit und Akokan auf und befragten – teils sogar mit dem Einverständnis von Areva – unter anderem die Menschen, vorab nomadische und halbnomadische Tuareg. Überdies nahmen
sie offene wie auch verdeckte Messungen der Radioaktivität im Boden, im Wasser und in der Luft vor.
Die spätere Analyse der Proben in Zusammenarbeit mit Criirad bestätigten das, was Almoustapha Alhacen, Präsident der nigrischen NGO Aghir in'Man, an der Medienorientierung in Genf einmal mehr wiederholte: "Die Radioaktivität fordert Opfer und verschlimmert die Armut, weil wir jeden Tag der Strahlung ausgesetzt sind. Wir sind umgeben von kontaminierter Luft, vergiftetem Wasser und vergifteten Böden – während Areva mit unseren Ressourcen hunderte von Millionen verdient." Und Jean Ziegler, streitbarer Autor, Professor für Soziologie und Vizepräsident des beratenden Ausschusses des UNO-Menschenrechtsrates doppelte nach: "Die Öffentlichkeit darf die Augen vor dem Leid zehntausender afrikanischer Menschen nicht mehr verschliessen."
"Nomaden wurden die Lebensgrundlagen entzogen"
Der frühere Genfer SP-Nationalrat Ziegler sprach dabei auch die Verantwortung der Schweizer Öffentlichkeit an. Grund: Diese bezieht Atomstrom aus vier (der insgesamt fünf) einheimischen Kernkraftwerken. Und die AKWs Beznau I und II, Leibstadt und Gösgen sind Kunden bei jener Firma, die ihrer Praktiken wegen 2008 in Davos mit dem "Public Eye Award" zum "übelsten Unternehmen des Jahres" gestempelt wurde. Wie viel Niger-Uran dank Areva in den schweizerischen Reaktoren verbrannt wird, konnte auch Greenpeace nicht in Erfahrung bringen. Sollten nun aber die drei neuen, von den Stromkonzernen geplanten helvetischen Atommeiler gebaut werden, so befürchten Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen, würde dies letzten Endes auch wieder zu Lasten der Menschen in der Sahara gehen.
Was dies konkret für die rund 80'000 Menschen von Arlit und Akokan bedeutet, versucht die neue Studie deutlich zu machen. Stimmen ihre Ergebnisse, ist Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Seit Inbetriebnahme der Minen vor 40 Jahren wurden insgesamt 270 Milliarden Liter Wasser verbraucht. Dies liess im Wüstengebiet, wo jeder Tropfen Wasser überlebenswichtig ist, den Grundwasserspiegel absinken. "Der immense Wasserverbrauch führt zum Verschwinden von Pflanzen und Tieren und zur kompletten Verwüstung der betroffenen Gebiete. Damit wird einheimischen Volksstämmen und Nomaden eine Lebensgrundlage entzogen", kommen die Ermittelnden zum Schluss.
35 Millionen Tonnen strahlendes Abfallgestein
In vier von fünf Wasserproben in der Region Arlit ergaben die Messungen überdies Urankonzentrationen im Trinkwasser, die über den empfohlenen Richtwerten der WHO liegen. Einheimische klagen, dieses Wasser mache krank. Frühere Daten zeigten, dass die Erhöhung der Konzentration auf Uranminen zurückzuführen seien, heisst es im Bericht. Wie das Wasser sind auch die Böden verseucht: "Urankonzentrationen in der Nähe der Untertagmine zeigen hundertzehnfach höhere Werte als für die Region üblich." Das langfristig noch grössere Risiko, warnen die Ermittelnden, stelle jedoch die Hinterlassenschaft in den Minen dar. Ihre Begründung: "35 Millionen Tonnen Abfallgestein und eingetrocknete Prozessschlämme lagern unter freiem Himmel und stellen in diesem Zustand eine Gefahr für Hunderttausende von Jahren dar. Durch Versickerung und Luftverfrachtung verschmutzen sie sowohl Luft wie Grundwasser."
Wo Wasser und Böden radioaktiv sind, ist auch die Luft belastet.
"Die Sterberate aufgrund von Infektionen der Atemwege ist doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Feinstäube aus den Minen, die durch Winde verfrachtet werden, sind radioaktiv belastet und gelangen durch Inhalation und Nahrungsmittelaufnahme in den Körper. Die Belastung durch das für die Lunge gefährliche Radon ist auch ausserhalb des Minengeländes so erhöht, dass die Jahresgrenzwerte für die Bevölkerung kaum eingehalten werden können", stellte das Team fest. Zwar versuche Areva, die Staubentwicklung durch Befeuchten der Strasse mit Wasser zu unterbinden. Das dieses jedoch auch kontaminiert ist, werde sich die Situation langfristig sogar noch verschärfen.
Kontaminierte Häuser, strahlendes Kochgeschirr
Schliesslich prüfte das Team auch die mögliche Verschleppung von radioaktivem Material. Laut Studie konnten auf den Strassen von Akokan Werte gemessen werden, welche fünfhundertfach über der normalen Hintergrundstrahlung liegt. Das hänge damit zusammen, dass Gestein aus den Minen als Füllmaterial für die Strassenlöcher verwendet wurde. Noch gefährlicher sei, dass strahlendes Restgestein auch als Baumaterial für Häuser gebraucht werde, in denen Menschen ihre Nächte verbringen. Damit nicht genug – Greenpeace fand auf den Gebrauchtwarenmärkten
der Region Alltagsgegenständen wie Kochutensilien, die aus radioaktiven Altmetallen hergestellt worden sind.
Und die gesundheitlichen Folgen? Sie wurden von der französischen Organisation Sherpa umfassend dokumentiert. In ihrem Bericht stellt sie fest, dass Areva über Jahre weder seine Mitarbeiter noch die Menschen in den Städten über die Risiken der Arbeit mit radioaktivem Material informierte. Erst 15 Jahre nach dem Beginn der Förderung seien Staubmasken üblich geworden. Bis heute hätten die von den Minen finanzierten Krankenhäuser "in keinem der Krankheitsfälle eine Form von Berufskrankheit festgestellt".
Vertuschter Lungenkrebs, verheimlichte Leukämie
Lungenkrebs und Leukämie seien erst später diagnostiziert worden – in den weit entfernten Spitälern von Agadez und Niamey. Hauptbetroffene, so Sherpa weiter, seien vor allem ahnungslose Leiharbeiter gewesen, die ohne jeden Schutz arbeiten mussten. So hätten sie ihre kontaminierten Arbeitskleider auch daheim getragen. Sherpa stellt in ihrer Studie jedoch auch fest, dass Areva unterdessen Schutzverbesserungen für die Arbeiter realisiert habe. Die meisten Einwohner in den Städten hätten jedoch nach wie vor keine Ahnung, welche Gefahren ihnen drohten und wie sie sich schützen könnten.
Seitens der Regierung des Nigers, die die besonders betroffenen Tuaregs mehr bekämpft denn unterstützt, ist weiterhin kein Schutz der Bevölkerung zu erwarten. Zu gross ist das internationale Interesse an der Beschaffung von billigem Uran im Norden des Landes, wo sich global agierende Konzerne auf einer Fläche grösser als die Schweiz bereits Uranschürfrechte gesichert haben. Stefan Füglister, Nuklearexperte bei Greenpeace, erklärte auf eine Frage von OnlineReports: "Wir konnten zwar den nigrischen Umweltminister treffen, doch ist dieser unterdessen weggeputscht worden."
"Riesige Hypothek von radioaktiven Abfällen"
Was auch immer die neue Regierung im Zusammenhang mit dem Uranabbau unternehme, für Füglister ist sofortiges Handeln notwendig: "Der Niger-Bericht von Greenpeace zeigt, dass die Produktion von Atomstrom nicht sauber und umweltfreundlich ist. Im Gegenteil, er hinterlässt eine riesige Hypothek von radioaktiven Abfällen und gesundheitlichen Risiken." Areva müsse aufhören, die spärlichen Wasservorräte der Region durch den Uranabbau zu verschwenden und Menschen, Tiere und Pflanzen durch die Kontamination der Gebiete zu vergiften.
Die grundsätzliche Forderung, Uran überhaupt nicht mehr abzubauen, weiten die entschiedenen Gegner der Atomenergie auf alle anderen Länder mit Uranvorkommen aus. In Afrika hätten früher Schweizer Atomkraftwerkbetreiber Uran aus – unterdessen geschlossenen – Minen in Gabun bezogen, die ähnliche Verheerungen wie im Niger hinterlassen hätten, versichert Greenpeace. Die Organisation stützt sich auf Dokumente der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA), da die AKW-Betreiber "der Öffentlichkeit die genaue Herkunft verschwiegen haben". Gegenüber OnlineReports erklärte ein AKW-Sprecher jedoch, die Herkunft des Urans für die Brennstäbe sei schlicht nicht feststellbar. Fakt ist aber, dass die Atomindustrie zurzeit verschiedene afrikanische Länder im Visier hat, um neue Uranquellen zu erschliessen – beispielsweise Mali und Tansania.
Region Basel steht in der Pflicht
Mit Sicherheit werde der Niger auch in Zukunft zu den fünf grössten Uranförderländern gehören und indirekt die Schweizer AKWs betreiben helfen, ist Stefan Füglister überzeugt: "Eine Mitverantwortung der Schweiz für soziale Gerechtigkeit und den Einsatz für die Einhaltung der Umweltstandards ist darum unumgänglich." Eine Forderung, die sich auch die Schweizer Politik und Wirtschaft in der Schweiz zu Herzen nehmen müssen. Denn sie wie auch die Stromkonsumierenden haben es letzten Endes mit ihrem Verhalten in der Hand, den Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen in den Uran-Abbaugebieten einen Riegel zu schieben. Zum Beispiel mit dem raschen Ausbau und der konsequenten Nutzung nachhaltiger Energien.
Dass dies aber sogar in einer "energiebewussten Region" wie die der Basler Kantone noch lange keine Selbstverständlichkeit ist, zeigte kürzlich eine Entdeckung von OnlineReports: Nur ein beschämend kleiner Bruchteil der Bevölkerung bezieht willentlich ökologisch produzierten Strom. Dafür wettern überdurchschnittlich viele "kritische" Stromverbraucher am Juranordfuss lautstark gegen die Atomindustrie – ohne den vom Uranabbau betroffenen Menschen in der Sahara und anderswo damit im Geringsten geholfen zu haben.
11. Mai 2010
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