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"Es geht ums Bewusstsein": Chill im Landhof-Garten
Aus dem Landhof-Humus wächst die essbare Stadt
Urbane Landwirtschaft ist in Basel und anderen Schweizer Städten zum Trend geworden: Eintagsfliege oder ernst zunehmende Bewegung?
Von Monika Jäggi
Gemeinschaftliches Gärtnern auf städtischen Brachen und in Hinterhöfen ist "in". Wird die urbane Landwirtschaft künftig wie eine Selbstverständlichkeit zum Stadtbild gehören? Ein Augenschein im Gemeinschaftsgarten "Landhof" in Basel und Einschätzungen aus Bern und Zürich.
Es sieht nach Baustelle aus im Basler Gemeinschaftsgarten ""Landhof"" an einem Samstagmorgen im März. Junge Männer graben eine Grube, Kies wird angekarrt und in die Grube geleert. Sie bauen unter Anleitung von Permakultur-Spezialist Bastiaan Frich gemeinsam eine Kräuterspirale (siehe kleines Bild und Kasten unten). Dazu werden Brocken einer abgebrochenen Hausmauer in die Grube gelegt und in Spiralform als Trockenmauer aufgebaut. Zwischen die Steine werden Äste gelegt, diese mit Erde bedeckt und vielerlei Kräuter gepflanzt.
Andere Mithelfende decken unterdessen die noch mit Plastik bedeckten Beete ab. Und immer mehr Menschen strömen in den Garten und wollen helfen, lernen, Kontakte knüpfen. Es herrscht eine gute Stimmung, locker, angenehm, das gemeinsame Arbeiten scheint Spass zu machen. Auch aus dem nahen badischen Freiburg ist eine Gruppe junger Menschen zum gemeinschaftlichen Gärtnern eingetroffen.
"Landhof"-Garten deckt Bedürfnisse ab
Nichts ist mehr zu spüren von den Anfangsängsten, als vor einem Jahr der erste Gemeinschaftsgarten der Stadt Basel eröffnet wurde (OnlineReports berichtete, siehe Links unten). Kein Vandalismus, keine Lärmklagen trübten seither das gemeinschaftliche Gärtnern. "Der Garten ist zum sozialen Treffpunkt geworden", sagt Landwirtin Dominique Oser, die jeden Mittwoch und Samstagnachmittag in der grünen Oase steht, um die Freiwilligen anzuleiten. Der Garten decke viele Bedürfnisse ab; nicht nur der Umgang mit Pflanzen und der Natur werde gelernt, auch Themen wie Bildung, Ernährung und Gesundheit kämen zur Sprache.
Bepflanzt wurde der Garten zusammen mit den Anwohnern. Dem Team war es wichtig, ihre Wünsche nach speziellen Gemüsesorten, nach lauschigen Ecken oder auch nach Duftpflanzen zu berücksichtigen. "Der Pflanzplätz ist nicht nur Produktionsfläche, sondern soll auch unsere Sinne ansprechen," ergänzt Frich. Täglich sind Menschen im Garten am Arbeiten. "Die Leute sind motiviert, hierherzukommen, sie fühlen sich von den Formen und Farben angesprochen," sagt Frich erleichtert. Damit ist auch seine anfängliche Angst, dass die Quartierbewohner, für die der Garten vor allem gedacht ist, nicht interessiert sind, verflogen.
Die Kritik ist verflogen
Auch die Befürchtung einer Anwohnerin, die sich letztes Jahr skeptisch zeigte, ist verflogen. Heute sagte Ruth Willfrat, die von ihrem Balkon direkt auf den Innenhof blickt: "Es ist eine wundervolle grüne Oase." Den Garten möchte sie nicht mehr missen, auch nicht die Vogelvielfalt, die es vorher im Innenhof so nicht gab. Oder das Igelpaar, das sie kürzlich beobachtet habe.
Allerdings ist das Gärtnern im Gemeinschaftsgarten nichts für sie. Es sei eine andere Generation am Werken. "Wir hätten gerne unsere private Garten-Ecke, aber das ist nicht der Sinn eines Gemeinschaftsgartens." Von einem "richtigen Boom" spricht eine andere Anwohnerin. Ihr haben es die "Landhof"-Gurken angetan, die zwar kleiner seien als im Laden, dafür deutlich besser schmeckten. "Vom Garten direkt in die Salatschüssel, stellen Sie sich das vor", sagt sie begeistert. Am Anfang habe sie nie gedacht, dass aus dem Projekt etwas wird, und nun beobachtet sie jeden Tag Leute, die hier arbeiten.
Dass dieser Pflanzplätz auch für Menschen aus anderen Quartieren ein Bedürfnis ist, geht aus dem Gästebuch hervor: "Der Garten ist wunderschön angelegt und gut gepflegt. Es spriesst, man bekommt grad Hunger! Eine Augenweide. Tut auch der Seele gut, hab schon Gespräche geführt mit anderen Menschen. Komme wieder" (Franziska, 17. Juli 2011). Und es werden weitere Gärten werden gefordert: "Ein tolles Engagement von jungen Menschen zur Entwicklung unserer Stadt. Der Pilot ist gelungen. Nun kann die Nachahmung in anderen Quartieren beginnen. Herzliche Gratulation" (Andreas, 23. Juli 2011).
Gäste aus der ganzen Welt
Am letzten Samstag feierte der Gemeinschaftsgarten sein einjähriges Bestehen mit einem Frühlingsfest. Zeit also, etwas Bilanz zu ziehen: Dass der ehemalige Teerplatz zum gemeinschaftlichen Kulturland wurde, ist dem Team des Vereins "Urban Agriculture Basel" (UAB) zu verdanken, das bis jetzt für den Aufbau, die Gestaltung und die Betreuung weit über tausend freiwillige Arbeitsstunden eingesetzt hat. Vielfältige Unterstützung bot die Basler Stadtgärtnerei.
Mittlerweile ist der Garten mehr als ein Pflanzplätz für die Lokalbevölkerung. Liest man im Gästebuch nach, ist er schon fast zu einem nationalen und internationalen Lehrgarten geworden. Die Besuchenden kommen aus praktisch allen Regionen der Schweiz, aber auch von überall aus Europa, sogar aus Afrika, Asien, Südamerika oder den USA. Mund-zu-Mund-Propaganda, soziale Medien oder Weiterbildungskurse, die im Garten stattfinden, bringen Interessenten in den Hinterhof.
Landhofgarten: Wie weiter?
Klar ist aber auch: Vorerst ist der Garten eine Zwischennutzung, angelegt auf Zeit. Wann der Architekturwettbewerb für die Gesamtplanung des "Landhof"-Grünareals ausgeschrieben wird, steht noch nicht fest. "Ein Architekturwettbewerb ist aus Sicht der Stadtgärtnerei die beste Form, um neue und kreative Ideen in die Planung des Areals zu integrieren. Dazu kann auch ein Gemeinschaftsgarten gehören," stellt Emanuel Trueb, Leiter der Stadtgärtnerei Basel, gegenüber OnlineReports in Aussicht.
Schon bei der Ausschreibung soll deutlich auf diese Option hingewiesen werden. Allerdings werde der Garten nicht als zwingendes Element im Wettbewerbsprogramm drin sein. "Wichtig ist, dass bei der Neugestaltung der "Landhof"-Fläche die Multifunktionalität der Nutzung berücksichtigt und nicht einzelnen Interessensgruppen der Vorzug gegeben werde. Die zukünftige Gestaltung muss von allgemeinem städtischen Interesse sein."
Für Projektleiterin Brigitte Löwenthal von der Abteilung Grünplanung der Stadtgärtnerei ist der "Landhof" ein Experimentierprojekt: "Die Stadt kann von der Erfahrung für zukünftige Gemeinschaftsgärten profitieren." Dabei müsse sichergestellt sein, dass Quartierbewohner bereit seien, die Verantwortung für die Gartenpflege zu übernehmen. Denn: Nicht die Stadtgärtnerei pflege den Garten, sondern die Anwohner. Nicht jeder künftige Gemeinschaftsgarten könne aber mit dem gleichen finanziellen und organisatorischem Einsatz der Stadtgärtnerei und der Freiwilligenarbeit des Teams unterhalten werden, macht Löwenthal klar.
Wissen, woher das Essen kommt
Ein kurzer Rückblick. Worum geht es bei der urbanen Landwirtschaft? Sie ist eine neue und offenere Form des Gärtnerns in der Stadt. Gemeinsam sollen auf öffentlichen und allen zugänglichen Flächen Lebensmittel in Kisten und auf Paletten oder im Boden angebaut werden. Ist die Aktivität so verbreitet, wie die vielen Medienartikel und neu erschienenen Bücher zum Thema suggerieren?
In Basel engagiert sich der vor zwei Jahren gegründete Verein UAB für das städtische Pflanzen: "Wir haben seit der Gründung stetigen Zuspruch aus der Bevölkerung erhalten," sagt Isidor Wallimann, Soziologe an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und UAB-Initiant. Heute koordiniert der Verein neben dem Gemeinschaftsgarten "Landhof" oder dem Projekt Unigärten bereits 25 weitere Projekte. Da gibt es den Kräutergarten im Horburgpark, die essbaren Inseln der Gewerbeschule Basel oder die Lebensmittelgemeinschaft Basel. Es gibt das Projekt Stadthonig und das Projekt Stadtwein und viele mehr, die sich in der einen oder andern Form mit der Nahrungsmittelproduktion in der Stadt befassen. Der Verein steht deshalb auch nicht von ungefähr "Für eine essbare Stadt."
Ziel der Bewegung ist es, die Nahrungsmittelsicherheit zu thematisieren, zu erfahren, woher die Lebensmittel stammen und wie sie produziert werden. Dafür müssen freie Flächen gefunden und für den Lebensmittelanbau zur Verfügung gestellt werden. Wallimann ortet in der Stadt Basel noch weit mehr Potenzial, indem zum Beispiel die Stadtgärtnerei einige Freiflächen in Stadtparks oder in heutigen Blumenbeeten anbietet. Wallimann: "Heute kann es sich eine Stadt fast nicht mehr leisten, das Thema Nahrungsmittelsicherheit nicht anzugehen – ökologisch, planerisch und politisch."
"Wichtiger Aspekt der Lebensqualität"
Für die Stadtgärtnerei hat die Bewegung vorerst noch Pioniercharakter. Trotzdem komme die Stadt nicht mehr darum herum, die Bewegung zu berücksichtigen, ist auch Emanuel Trueb überzeugt. Die urbanen Gärtner hätten heute einen anderen Anspruch als die arrivierten Familiengärtner. Allerdings habe die Stadtgärtnerei viele Bedürfnisse zu berücksichtigen, Stadtgärtnern sei nur eines davon. Trotzdem ist er überzeugt: "Das urbane Gärtnern hat Zukunft. Und wir sollten über die Familiengärten hinauszuschauen. Im Rahmen der Stadtentwicklung und der Zonenplanrevision bietet sich in Basel die Möglichkeit, dem Stadtgärtnern einen Platz einzuräumen."
Vor allem in den neuen Quartieren in Basel Ost und Nord sieht Trueb die Möglichkeit zur Errichtung weiterer Gemeinschaftsgärten. Diese müssten bei der Planung neuer Wohnquartiere unbedingt mitgeplant werden. Gleichzeitig stellt er aber klar, dass auch die Familiengartenareale ihre Berechtigung haben.
Für Mirjam Balmer, Grossrätin und Co-Präsidentin der Grünen Partei, sind die urbanen Gärten eine tolle Ergänzung zu den Familiengärten, "aber die Bewegung hat die Stadt noch nicht überschwemmt, und es braucht beides". Sie plädiert dafür, dass Planer ein Bewusstsein für die urbane Landwirtschaft entwickeln und zukünftig "mit dem Anspruch der urbanen Landwirtschaft auf Freiflächen im Kopf" die Stadt planen. "Die urbane Landwirtschaft muss als wichtiger Aspekt der Lebensqualität wahrgenommen werden," fordert sie.
Aktive Unterstützung in Zürich
Auch in Zürich werden die Tomaten nicht mehr nur in den Freizeitgärten gepflanzt. Zahlreiche gemeinschaftlich geführte Gartenprojekte sind aktiv. Sie sind nicht wie in Basel in einem Verein zusammengefasst, sondern werden von "Grün Stadt Zürich" koordiniert und begleitet.
"In Zürich unterstützen wir aktiv Gruppen auf der Suche nach Freiflächen", erklärte Markus Wittmer, Leiter der Fachstelle Landwirtschaft von "Grün Stadt Zürich" gegenüber OnlineReports. Sobald eine geeignete Fläche frei wird, werde diese im Internet aufgeschaltet. Die zukünftigen Gärtner verpflichten sich, naturnah zu gärtnern. Die Angebote gehen sofort weg, derzeit gibt es keine freien Flächen. Fehlendes Know-how holen sich die Leute, indem sie einen Gärtern oder einen Bauern anstellen, der ihnen das nötige Wissen vermittelt. Die grosse Nachfrage kommt von jüngeren Leuten, die sich nicht mit dem Liegestuhl im Freizeitgarten zufrieden geben wollen.
Die Wartezeit für einen Familiengarten in Zürich beträgt drei Jahre. Es ist deshalb wichtig, dass ausserhalb der bestehenden Areale weitere Flächen ausgeschieden werden. So wurden im kantonalen Richtplan 2012 rund 700 Hektaren als Flächen für die urbane Landwirtschaft für die nächten 15 Jahre gesichert. Wittmer will aber nicht nur die Grünflächen in der Stadt gesichert sehen, sondern auch eine Öffnung der Familiengartenareale erreichen: "Es ist nicht einzusehen, weshalb diese Areal privat sein sollen. Oft liegen sie an privilegierter Lage mit Seesicht, das sollen alle geniessen können." Wittmer denkt dabei an öffentliche Spazierwege und Restaurants innerhalb des Areals.
Umdenken in Bern
Auch in Bern hat das städtische Gärtnern und damit verbunden die Frage, was die Stadt zur Förderung der urbanen Landwirtschaft beiträgt, Einzug gehalten: "Wir sind im Umbruch", erklärt Walter Glauser, Bereichsleiter Familiengärten bei der Stadtgärtnerei Bern, die Neuorientierung: "Zuerst war die konventionelle Landwirtschaft, dann gab es die Biobauernhöfe, später dann die Direktvermarktung ab Hof und heute pflanzen wir die Nahrungsmittel in der Stadt an," fasst er seine Sicht der Entwicklung zusammen.
Noch sammelt die Stadt Erfahrung mit Pilotprojekten, zum Beispiel in einem Gemeinschaftsgarten in der Lorraine. Schon jetzt sei die Nachfrage nach Flächen gross, er habe kürzlich 50 Anfragen gezählt. Ein Eintagsfliege sei diese Bewegung nicht, ist er überzeugt, denn die Leute wollten wissen, woher ihre Nahrung kommt.
Freiflächen sind auch in Bern rar, deshalb ist eine Öffnung der Familiengärten eine wichtige Option. Glauser denkt deshalb auch schon weiter: Ihm schwebt die Gestaltung eines Generationengartens in einem der Familiengartenareale vor.
Neues Bewusstein oder nur Trend?
Fest steht. Das Thema Stadtgärtnern ist angekommen bei Verwaltung und Teilen der Bevölkerung. Noch gehören Gemeinschaftsgärten in Schweizer Städten aber nicht selbstverständlich ins Stadtbild. Trotzdem ist das Bewusstsein für das gemeinsame Gärtern ausserhalb herkömmlicher Areale gewachsen.
Vorerst geht es aber vor allem noch darum, Erfahrung zu sammeln und Möglichkeiten zu prüfen. Dabei ist die Initiative von Einzelnen oder Gruppen gefragt. In Schweizer Städten gärtnern die wenigsten aus Not. Deshalb geht es vorerst nicht um die Selbstversorgung der Städte, sondern um das Bewusstsein der Nahrungsmittelsicherheit und um den Erhalt des Lebensqualität in dicht gebauten Städten.
2. Mai 2012
Weiterführende Links:
Die Kräuterspirale
mj. Der Gemeinschaftsgarten Landhof wird nach dem Prinzip der Permakultur bewirtschaftet. Die Kräuterspirale ist ein wichtiges Element der Permakultur. Die Kräuterspirale ist ein dreidimensionales Beet und bietet auf kleinstem Raum vier unterschiedliche Standorte. Kräuter mit verschiedenen Standortansprüchen können hier gemeinsam wachsen.
Der Begriff "Permakultur" wurde in den siebziger Jahren durch die Australier Bill Mollison und David Holmgren geprägt. Permakultur ist ein Konzept, das für die Landwirtschaft entwickelt wurde und langfristig funktionierende und natürliche Kreisläufe in die Bewirtschaftung integriert. Inzwischen ist die Permakultur ein Denkprinzip, das auch Energieversorgung, Landschaftsplanung oder soziale Strukturen umfasst.