"Der Erfolg in Sarawak ist unter Null"
Der Basler Regenwandschützer und Menschenrechtler Bruno Manser zieht eine nüchterne Bilanz seines Kampfes
Von Peter Knechtli
Mit spektakulären Aktionen kämpft der Basler Umweltschützer Bruno Manser seit Jahren gegen die Abholzung der Regenwälder in Sarawak auf Borneo. Sein Motiv: Dem Volk der Penan die Existenzgrundlage zu erhalten.
Diesen März war ich im Dschungel von Sarawak mit einem Häuptling und seinem Sohn unterwegs. Wir gingen über eine Wasserscheide in ein anderes Flussgebiet. Nur zwei kurze Halte leisteten wir uns, um uns die Blutegel abzustreifen, die uns in ganzen Klumpen an den Füssen hingen. Am nächsten Tag zählte ich 160 Bisswunden.
Zu Besuch bei den Penan war ich dieses Jahr, weil sie mich gerufen hatten. Dieses Nomadenvolk lebt im ostmalaysischen Gliedstaat Sarawak auf der Insel Borneo. Der ganze Stamm zählt 9'000 Menschen, davon sind noch 250 Vollnomaden. Ihr Wald wird seit Jahren von den Holzfirmen zerstört und ihre traditionellen Landrechte werden bis heute missachtet. In Sarawak wurden in den letzten 20 Jahren über 70 Prozent des Regenwaldes abgeholzt. Dabei ist der Lebensraum der Penan, der ihnen die tägliche Nahrung liefert, das Einzige, was sie haben.
Schon als ich die Matura machte ...
Und der Einzige, der schnell etwas erreichen kann, ist der Chief Minister von Sarawak, Abdul Taib Mahmud: Er kann die Kahlschlag-Lizenzen, die er seinen Freunden verschenkt hat, zurückziehen und die verbliebenen Waldgebiete unter Schutz stellen - wenn er will.
Handfester Einsatz hat mich schon immer interessiert. Schon als ich in Basel die Matura machte, wusste ich, dass ich nicht studieren wollte. Viel mehr wollte ich mir das Wissen über alles aneignen, was wir im täglichen Leben brauchen - von Nahrungsmitteln über Gemüseanbau und Viehzucht bis hin zu Kleidungsstücken. Zwischen 1973 und 1984 bildete ich mich in Kursen im praktischen Handwerk aus: Maurer, Schweisser, Bienenzüchter, lernte weben, töpfern, selbst ein Fell zu gerben und ein Messer zu schmieden. Später lernte ich auch, in einem geeigneten Bach mit blossen Händen eine Forelle zu fangen.
Mit Schampoo und Birchermüesli auf die Reise
In jener Zeit entstand in mir der Wunsch, ein Volk kennenzulernen, das autark und ohne Geld in seiner frei gewachsenen Kultur lebt. Da begann ich zu suchen, bis mir eine innere Stimme den Weg zu den Penan nach Borneo wies. 1984 zog ich los, mit Rucksack, Kompass, Hängematte, Dach, Buschmesser, Haarschampoo und Birchermüesli. Ich wollte mindestens drei Jahre bleiben, am Schluss wurden es sechs.
Während meinen Jahren im Dschungel brauchte ich alle Mittel, die auch die Eingeborenen brauchten. Ich fischte vor allem mit dem Wurfnetz, jagte aber auch mit Hund und Speer, Flinte, Blasrohr und Giftpfeil Vögel und Wildsauen. Ich brauchte fünf Jahre, um im Dschungel überlebensfähig zu werden, und lernte auch selbständig die Penan-Hauptnahrung Sago zu verarbeiten.
Ich musste mich dann zwingen, das Land zu verlassen. Denn Organisationen und auch die Penan baten mich, ausserhalb des Landes etwas zu unternehmen. So wurde ich in den friedfertigen Widerstand einbezogen. 1990 verliess ich Sarawak heimlich, um die Botschaft der Penan ins internationale Rampenlicht zu bringen.
Nur wenige hatten die Zivilcourage
Inzwischen haben die Behörden aller zivilisierten Länder zwar Sympathie für den Kampf gegen das Unrecht gezeigt. Doch hatten bis heute nur wenige die Zivilcourage, ihre Meinung durch ganz klare Entscheide zu beweisen. In Sarawak ist der Erfolg unter Null. In den letzten zwanzig Jahren sind ein paar tausend Quadratkilometer Wald samt seinem ökologischen Reichtum zerstört worden. Ich erinnere mich, dass ich einmal vom Ufer aus sieben Fischarten in einem Bach bemerkte. Und dann kommen diese Bulldozer und verwandeln klare Gewässer in Milchkaffee. Jahrhundertealte Baumriesen werden brutal gefällt, um später als Parkettklötzlein, Türrahmen und Gartenbänke in unseren Häusern zu landen.
Auch der schweizerische Bundesrat hat bisher meines Wissens noch nichts Konkretes unternommen, um dem Handel und der Missachtung der Menschenrechte einen Riegel zu schieben. Der einzige wirklich messbare Erfolg sind jene 240 Schweizer Gemeinden mit insgesamt 2,5 Millionen Einwohner(inne)n, die durch Beschlüsse manifest machten, dass sie kein Holz aus Raubbau in den letzten Urwäldern dieser Erde - von Kanada bis in die Tropen - mehr verwenden wollen. Das Europa-Parlament hat bereits 1988 eine Resolution mit einem Import-Moratorium für Holz aus Sarawak in die EU-Länder gefasst, aber kein einziger Mitgliedsstaat hat diese Resolution bis heute umgesetzt. Auch im Berner "Loeb"-Warenhaus findet man noch Besenstiele aus Tropenholz.
Am Anfang Wut über Behörden
Es sind internationale Handelsfirmen, die in den meisten Fällen für die Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in der Dritten Welt verantwortlich sind. Deren Vertreter versuchen sogar auf gesetzlichem Weg via GATT, sich nicht in Schranken legen zu lassen. Nötig ist mehr Transparenz im Handel, wozu auch die Deklarationspflicht gehört. Was immer wir essen oder kaufen - wir sollten den Produkten aus unserer Umgebung den Vorzug geben. Das Problem - die tiefen Löhne in den Ländern der Regenwälder - könnte auf einfache Art gelöst werden: Durch Preise, die der Kostenwahrheit entsprechen.
Am Anfang stand bei mir die Wut über die Behörden in Malaysia im Zentrum. Nachher aber musste ich erkennen: Die treibende Kraft der Waldzerstörung und die Ausbeutung fremder Ressourchen war gar nicht Malaysia, sondern die industrialisierten Länder. Es waren auch Schweizer Firmen, die das Holz importierten, und wir Schweizerinnen und Schweizer, die mit dem Kauf die Nachfrage förderten. Als ich diese Zusammenhänge einsah, hörte ich auf, gegen die malaysische Botschaft Protest zu erheben. Jetzt möchte ich mit der malaysischen Regierung zusammen ein Waldreservat und Selbstbestimmung für die Penan erreichen.
Gefühle für entrechtete Indigene
Ich hätte den ganzen Bettel schon lange hingeknallt, wenn ich mit meinem Herz nicht mit den Penan mitfühlen würde. Es ist die persönliche Beziehung mit jenen entrechteten Menschen, die mir diese Kraft gibt. Ich rede ihre Sprache und dachte in ihrer Sprache.
Solange noch ein kleines Stück Paradies übrigbleibt, werde ich mich dafür einsetzen. Mit Einsätzen vor Ort, aber auch mit Aktionen wie der Abseilaktion am Kleinen Matterhorn oder neulich wieder mit dem Hängegleiterflug um die Privatresidenz des Chief Ministers in Kuching. Ich bin einer, der bei Aktionen mit dem Gefahrenrisiko bis an die Grenzen geht. Ich betrachte mich dabei aber nicht als Selbstdarsteller, sondern nur als Katalysator, um den Fokus auf die wirklich Verantwortlichen zu lenken. Zum Glück bin ich nicht allein - dank der Hilfe von vielen Freundinnen und Freunden und allen, die konkret handeln. Wer sich in seiner Gemeinde gegen die Verwendung von Raubbauholz einsetzen will, kann bei uns ein Dossier bestellen.
Wenn sich ein Erfolg zeigt und das letzte Stück Urwald noch rechtzeitig geschützt wird, würde ich mich wieder vermehrt jenen Dingen widmen, die mich auch noch interessieren. Es ist möglich, dass ich auch mit Jahrgang 1954 noch eine Familie gründe - wer weiss!
30. April 1999