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"Regenwälder gefährdeter denn je": Vollbesetzte Basler Elisabethenkirche
"Die Politik braucht Menschen wie Bruno Manser"
In der voll besetzten Elisabethenkirche zu Basel gedachten Hunderte dem Kämpfer für eine rücksichtsvollere Welt
Von Ruedi Suter
Die grosse Gedenkfeier in der Elisabethenkirche für den vor zehn Jahren spurlos verschwundenen Basler Menschenrechts- und Umweltaktivisten Bruno Manser geriet zu einer kritischen Standortbestimmung von Politik und Konsumgesellschaft. Regierungspräsident Guy Morin liess keine Zweifel offen, dass die Politik auf Antreiber und Augenöffner wie den auf Borneo verschollenen Mitbürger angewiesen sei.
Zehn Jahre. Seit zehn Jahren rätselt die Welt, was wohl mit dem Basler Menschenrechtler und Regenwaldverteidiger geschehen sein mag. Die Antwort blieb auch nach zahlreichen Suchexpeditionen stets die gleiche: Niemand weiss es, sein Entschwinden bleibt ein Rätsel, auch heute noch. Bruno Manser verschwand im Mai 2000 in den Restwäldern der Penan in Sarawak auf der Insel Borneo. Ohne auch nur den Hauch einer Spur zu hinterlassen. Längst gilt der tollkühne Aktivist, der einst für Schlagzeilen in der Weltpresse sorgte und von Malaysia zum Staatsfeind erklärt worden war, als verschollen.
Zurück blieben die Erinnerungen an einen vielseitigen Menschen, der sich mit Haut und Haar für die Waldvölker, für die Lebensgrundlagen und gegen die Zerstörungswut einer entfesselten Zivilisation zu wehren versuchte. Zurück blieben aber auch Gefühle wie Trauer, Bewunderung und Respekt. All dies füllte gestern Samstagnachmittag und fast auf den Tag genau eine Dekade nach seinem Verschwinden ein ansehnliches Gotteshaus bis auf den letzten Platz – die Elisabethenkirche im Herzen Basels.
"Verschollen, aber nicht vergessen"
Hier blickte Bruno Manser von einer riesigen Leinwand auf Freunde und Freundinnen, auf Bekannte, Unbekannte und Verwandte wie seine Geschwister Erich, Ursula, Peter und Monika, die sich mit bewegten Worten an die Anwesenden wendete. Wer fehlte, war seine betagte Mutter Ida Manser, die lieber in der Stille eines Zimmers ihres Sohnes gedachte. "Verschollen, aber nicht vergessen" stand unter dem Bild des Vermissten, und entsprechend war auch der Tenor der Reden, der Darbietungen von Rapper Greis, dem Lyriker Raphael Urweider oder der Jazz-Musikerin Laura Martinoli und aller Filmausschnitte, die den Kämpfer für ein rücksichtsvolleres Dasein in Erinnerungen riefen.
Angereist waren auch einige seiner engsten Penan-Freunde – Balang Nalang aus Sarawak, die in Frankreich lebende Tello Abing und der im kanadischen Exil lebende Mutang Urud. Sie zeigten sich, zusammen mit den Sprachwissenschaftler und Penan-Wörterbuchautor Ian MacKenzie, dankbar für die Fortsetzung und Professionalisierung der Arbeit ihres verschwundenen Freundes durch den Bruno Manser Fonds (BMF) mit dessen Geschäftsleiter Lukas Straumann und seinem Team, welche die abwechslungsreiche Gedenkfeier minutiös vorbereitet hatten. So geriet der Anlass nicht zu einer weinerlichen Nabelschau, er liess auch kritischer Nachdenklichkeit Raum. Nicht ohne Grund: Die Tropenwälder Südostasiens sind gemäss Straumann "gefährdeter denn je".
"Wir alle sind auch immer Mittäter"
Was hat Manser bewirkt? Eine Frage, die alle Vortragenden auf ihre Weise zu beantworten versuchten. Das meistgehörte Urteil: Er versuchte auf seine spezielle Art die Mitglieder der masslosen Konsumgesellschaften zu bewegen, ihr Verhalten im Zusammenhang mit der Ausbeutung und Zerstörung von Natur und Naturvölkern zu überdenken und zu verändern.
"Wir alle sind auch immer Mittäter: Wir müssen Mitverantwortung tragen", sagte Kaspar Müller, Manser-Freund, Erbenvertreter und Moderator der Feier. Der Verzicht auf Tropenholz, auf Palmöl und das Führen eines klimaschonenden Lebensstils seien notwendige Voraussetzungen. Und als Mitglieder von Pensionskassen, ergänzte der Präsident der Schweizerischen Stiftung für nachhaltige Entwicklung Ethos, sollten wir alle darauf pochen, dass unser Geld nicht für die Zerstörung der Lebensgrundlagen verwendet werde.
Repi Morin: "Er ging hin und handelte"
Wie schwierig die Umsetzung einer nachhaltigen Lebensweise in einer konsumsüchtigen Demokratie ist, schilderte Basels Regierungspräsident Guy Morin. In seltener Offenheit sezierte der Arzt die Ohnmacht jener politischen Mandatstragenden, deren ethische oder umweltschützerischen Forderungen von rein wirtschaftlichen Interessen platt gemacht oder durch Zerreden, Verniedlichungen und wertvolle Zeit kostende Aufschiebetaktiken nicht umgesetzt werden können. Es gebe "enorm viel zu tun", doch könnten gute Lösungen oftmals "nicht so rasch wie erwünscht" umgesetzt werden: "Wir brauchen die Überzeugung einer Mehrheit." Manser aber habe langwierige und steinige Prozesse umgangen: "Er ging hin und handelte."
"Das System, in dem ich mich befinde, macht müde", gestand Morin auch mit dem Hinweis auf den Klimagipfel in Kopenhagen, wo einmal mehr nicht gehandelt wurde, obwohl die Fakten über den bedrohlichen Zustand der Erde "sonnenklar" seien. "So geht es nicht weiter!" Politiker Morin signalisierte Verständnis für den Aktivisten Manser, der den Schutz der Wälder "selbst in die Hand" nahm. Erfolge seien auch nicht ausgeblieben, so etwa das Bewusstmachen eines notwendigen Regenwaldschutzes, einer unerlässlichen Deklarationspflicht für Holzherkunft und die erfolgreiche Arbeit des BMF in Europa und Sarawak: "Herzlichen Dank, dass Sie nicht müde werden!"
Schliesslich bekannte Basels Repi, sich regelmässig von der Energie und den Werten Mansers beflügeln zu lassen: "Die Politik braucht Menschen wie Bruno!" Eine Feststellung, der sich die Baselbieter Nationalrätin Maya Graf in ihrem Referat mühelos anschliessen konnte: "Menschen wie Bruno Manser beeinflussen unsere Politik nachhaltig."
Traum vom Selbstbestimmungsrecht für Indigene
"Wir machten damals einen grossen Fehler: Wir haben uns nur auf die Wälder und nicht auf die Waldvölker und Menschenrechte konzentriert", erklärte Saskia Ozinga von der europäischen Wald-Lobby "Fern" in Brüssel. Sie sprach Klartext, zeigte sich "schockiert", dass sich kaum mehr eine Umweltorganisation für die Wälder Borneos einsetze und lobte dafür den BMF, dessen verschollene Leitfigur stets die Einheit Mensch-Tier-Natur beschwor und dessen Geist in den Umweltbewegungen noch überall zu spüren sei. Absolut dringlich sei jetzt aber, so Ozinga, dass sich die Menschenrechts- und Umweltorganisationen zusammentun und als Einheit auftreten, um mit geballter Kraft das Abholzen der letzten Urwälder stoppen zu können.
Dass dies nur mit der Selbstbestimmung der Waldvölker einhergehen kann, das machte in der Elisabethenkirche Bau Bian aus Malaysia klar. Der prominente Landrechtsanwalt und Oppositionspolitiker zeigte sich von seinen Begegnungen mit Manser stark beeindruckt. Unterdessen hat er im Auftrag des BMF die ersten Landrechtsklagen der Indigenen an den Gerichten eingereicht. Bereits müsse sich der malaysische Justizapparat mit 200 Landrechtsfällen auseinandersetzen. Ein Landrechtsfall sei unterdessen vom höchsten Gericht anerkannt worden – ein Erfolg, der ihn träumen lasse von einem gerechten Malaysia, in dem die Ur- und Waldvölker ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht über ihre Heimat besitzen.
Dringend: "Schnell und konsequent handeln"
Nach einer Grussbotschaft des Basler Arztes und sun21-Initianten Martin Vosseler "aus den Wäldern der Karibik" ergriff auch ein weltweit führender Wissenschaftler im Andenken an Manser das Wort: Thomas Stocker, Klimaphysik-Professor und prominentes Mitglied des 2007 mit dem Friedenspreis ausgezeichneten UNO-Klimarates IPCC. Er lernte den Verschollenen 1992 in New York kennen und schätzte dessen Engagement gegen das "kurzfristige Profitdenken". Er zweifle, ob dieses mit Denken überhaupt etwas zu tun habe, tönte Stocker an.
Bruno Manser habe ihn auf Anhieb überzeugt, weil er drei überlebenswichtige Prinzipien vorlebte: Den Respekt, das Verstehen und das Handeln. Er habe bewiesen, dass konsequentes Handeln die einzige konsequente Lebenshaltung ist. Gescheitert sei er am Fehlen des Respekts jener, die er zu verstehen versuchte. Seine Wissenschaft erarbeite seit Jahren Fakten für ein besseres Verstehen der Erde. Diese Erkenntnisse, kombiniert mit dem Respekt gegenüber dem Ökosystem Erde, "sollten uns überzeugen, schnell und konsequent zu handeln". Das hiesse beispielsweise, weltweit das Fällen der Urwälder zu stoppen. Allein dadurch könnten 20 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen gestoppt werden, rechnete Thomas Stocker vor.
Die zentrale Frage, wann wir endlich handeln wollen, blieb unbeantwortet im hohen Schiff der Kirche hängen. Während Bruno Manser im letzten Filmausschnitt überlebensgross über Besitz, Leben und Tod sprach, drückte draussen die Sonne durch die Regenwolken und tauchte die farbigen Chorfenster hinter der Leinwand in kräftige Farben. Das Hauptmotiv zeigte einen Menschen, der einst seines konsequenten Handelns für eine rücksichtsvollere Welt wegen gekreuzigt worden war.
9. Mai 2010
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