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OSZE-Tagung: 5'000 Uniformierte und ein "Welcome"
Wenn sich am 4. und 5. Dezember die Aussenminister der OSZE-Staaten im Basler Kongresszentrum treffen, herrscht so etwas wie Belagerungszustand. Viel wird die Bevölkerung davon nicht spüren – ausser die Tram-Passagiere im Kleinbasel und Anwohner der Gerbergasse.
Basel, 26. November 2014
An der OSZE-Ministerrats-Tagung, die erstmals in der Schweiz stattfindet, werden 57 Aussenminister – darunter John Kerry aus den USA, Sergej Lawrow aus Russland und Frank-Walter Steinmeier aus Deutschland – sowie 1'200 Delegierte und Medienvertreter teilnehmen. Bei derart geballter Promi-Potenz herrscht organisatorisch Ausnahmezustand: Zwischen 3'000 und 5'000 Soldaten der Schweizer Armee – Bodentruppen und Luftwaffe – sowie 1'000 Polizeikräfte der Nordwestschweizer Kantone sind im Einsatz oder in Einsatz-Bereitschaft, um die Sicherheit der Teilnehmenden und den geordneten Ablauf des Treffens zu garantieren.
Messeplatz drei Tage gesperrt
So martialisch der Personalaufwand erscheint: Die uniformierten Kräfte wollen so diskret auftreten, dass so etwas wie Normalzustand zu herrschen scheint. Oberstleutnant Markus Roth (Bild), Stabs-Chef der Basler Kantonspolizei: "Wir wollen den courant normal möglichst beibehalten." Die grössten Einschränkungen wird es rund um das Messegelände geben, das an den drei Tagen zwischen 3. und 5. Dezember komplett gesperrt sein wird.
Davon betroffen ist vor allem der Tramverkehr: Die Trams zirkulieren zwar ganz normal über den Platz – aber leer. Sämtliche Passagiere müssen spätestens an den Stationen vor dem Messeplatz – Clarastrasse, Riehenring und Wettsteinplatz – aussteigen. Die BVB empfehlen während den drei Tagen eine Routenplanung durch geschickte Umfahrungs-Möglichkeiten etwa am Badischen Bahnhof oder am Claraplatz. Auf dem Teilstück zwischen Badischem Bahnhof und Claraplatz der Tram-Linie 6 verkehren via Gewerbeschule und Wettsteinplatz Busse, die von der Sperrung nicht betroffen sind.
Weltmächtige in der "Safranzunft"
Eine weitere Sperrung betrifft am 4. Dezember ab 15 Uhr die Gerbergasse. Ab diesem Zeitpunkt ist die Gasse für jeglichen Verkehr gesperrt. Ebenso gesperrt ist die Tram-Achse zwischen Barfüsserplatz und Schifflände. Die Sperrung gilt bis Betriebsschluss. Grund dafür ist ein Gala-Dinner unter anderem mit US-Aussenminister Kerry in der "Safran-Zunft". Die BVB informieren über verschiedene Kanäle über die Einschränkungen.
Für Personen, die im Messeturm arbeiten, werden zwei Zugangs-Korridore eingerichtet. Mit Gewerbebetrieben, die von der Sperrung des Messeplatzes betroffen sind, hat die Polizei "Gespräche geführt und Lösungen gefunden". "Zum genauen Inhalt geben wir nicht öffentlich Auskunft", sagte Polizei-Sprecher Martin Schütz zu OnlineReports. Ob es dabei um gewisse Entschädigungen ging, ist unklar, aber denkbar. Die Postzustellung ist nicht eingeschränkt.
Nicht betroffen ist der Linienverkehr auf dem EuroAirport. Hingegen ist jeder übrige Luftverkehr (etwa für mit Sichtflug navigierende Privatflugzeuge oder gar Deltasegler) in einem Umkreis von 46 Kilometer um Basel stark eingeschränkt. Ab 2. Dezember müssen zivile Überflüge wie auch An- und Abflüge von regionalen Flugplätzen durch die Luftwaffe bewilligt werden.
Die Bodentruppen unterstützen die Polizei durch Objektschutz, Erstellung von mehreren Kilometer langen Zäunen, Verstärkung der Sanität oder Personenschutz und Eskorten. Die Einsatz-Verantwortung liegt laut Divisionär Andreas Bölsterli bei den zivilen Behörden. Wie die Staatsmänner transportiert werden, bleibt geheim. Sicher ist nur, dass Helikopter auf dem Dach des Messe-Parkings landen können.
Scharfschützen in der Gerbergasse ...
Dass es notfalls auch hart zur Sache gehen könnte, war heute Mittwochmorgen an einer Medienkonferenz von Divisionär Bernhard Müller, dem Stellvertretenden Kommandanten der Schweizer Luftwaffe, zu hören. So sind Kampfflugzeuge F/A-18 zum Schutz "völkerrechtlich geschützter Personen" einsatzbereit, um im Bedarfsfall gefährliche Flugobjekte zur Landung zu zwingen – oder im Notfall abzuschiessen. Zum Einsatz kommen auch mit Scharfschützen bestückte Super Puma-Helikopter zum Personen-Transport und zur Sicherung sowie Drohnen.
Auch in der Innenstadt herrschen am 4. Dezember, wenn Barak Obamas Mann fürs Äussere und weitere 70 Staatsmänner der "Safranzunft" zum Dinner die Aufwartung macht, ungewöhnliche Verhältnisse. Die Bewohner der gegenüber liegenden Strassenseite müssen die Roll-Läden herunterlassen. Im "Unternehmen Mitte" werden die Türen zum Turmtreppenhaus im ersten und dritten Stock ab 18 Uhr geschlossen. Die Fenster Richtung "Safranzunft" werden zugeklebt. Wie aus einer hausinternen Mitteilung hervorgeht, werden in den gegenüberliegenden Häusern Scharfschützen positioniert.
... und das "Welcome" des Stadtmarketings
Trotzt dieser Begleitumstände, die kein öffentlich wahrnehmbares feierliches Ambiente erwarten lassen, liess sich das Basler Stadtmarketing die Chance zur Lancierung einer neuen Image-Kampagne nicht entgehen. Dazu gehören Postkartensets und 200 Plakate in allen Büros der OSZE-Delegierten, die auf die Vorzüge der Konferenzstadt Basel hinweisen. Zur "Welcome"-Kampagne in der Innenstadt zählen Schaufenster-Kleber, Schöggeli-Dispenser und Ansteckknöpfe für das Personal, BVB-Türkleber und Beflaggung. Durch Übernachtungen, Essen und Verkehr rechnet das Stadtmarkting mit Umsätzen von zwei bis drei Millionen Franken.
Gesamthaft kostet die Ministerratskonferenz rund 20 Millionen Franken. 2,9 Millionen davon zahlt der Kanton Basel-Stadt; der Bund übernimmt 10,7 Millionen an Kongresskosten und 7,4 Millionen Franken für Sicherheitsaufwendungen.
Neben der Konferenz der Politiker kommt es zu einem vielfältigen Kultur- und Begleitprogramm mit Vorträgen, Stadtrundgängen sowie einer OSZE-Parallelkonferenz mit Nichtregierungs-Organisationen, die zuhanden der Ministerratskonferenz "Empfehlungen" abgibt.
Auch Kritiker sind präsent
In Erscheinung treten aber auch die Kritiker der Konferenz, die unter der Marke "OSZE angreifen" auftreten. Am Abend des 5. Dezember findet eine bewilligte Demonstration durch die Innenstadt statt. Die Polizei erwartet 1'000 bis 1'500 Teilnehmende.
Gefälschtes Schreiben an Anwohner
pkn. Heute Mittwoch ist ein gefälschtes Schreiben an einige Anwohnerinnen und Anwohner des Messeplatzes verteilt worden. Darin ist unter anderem von einer "Leibesvisitation" beim Betreten der Sicherheitszone die Rede. Ausserdem wird im Namen des Regierungspräsidenten zu einem Apéro eingeladen. Diese Angaben sind falsch. Die Projektleitung OSZE Basel werde versuchen, die Urheberschaft ausfindig zu machen, heisst es in einer Medienmitteilung. Ein solcher Brief könnte "zu einer Unsicherheit bei der Bevölkerung führen". Ein korrektes Schreiben an die Anwohnerschaft sei am 17. November innerhalb des Verkehrs- und Sicherheitsperimeters der Messe verteilt worden und auch auf www.bs.ch/osze.html einsehbar.
"Warum diese Angst?"
Ich bin 65, geh- und sehbehindert und auch sonst ein sehr friedlicher Mensch. WARUM HABEN DIE OSZE-HEINIS SO EINE RIESENANGST VOR MIR??
Hanspeter Thum, Reinach
"Sicherheitsvorkehrungen übertrieben"
Die Sicherheitsvorkehrungen sind nötig aber in der vorgeschlagenen Form übertrieben. Man sollte für die ausländischen Gäste eine Besichtigung des Eintreffens der Bundesräte im Büro mit Auto, Velo oder Tram in Bern durchführen, um zu zeigen, wie es auch geht, und dass das Security-Gehabe vorwiegend dem Aufplustern der Personen dient.
Hans-Rudolf Bachmann, Basel