Stehende Ovation für Wüthrich – wofür denn eigentlich?
Liestal/Binningen, 17. Januar 2014
Dass die Autorinnen und Autoren von Medienmitteilungen stets und mehr oder weniger erfolgreich bemüht sind, sich oder ihre Institution vorteilhaft ins rechte oder linke Licht zu rücken, ist bekannt. Doch zuweilen wirken sie kurios, diese Verlautbarungen – auch wenn sie nichts als die Wahrheit enthalten. Heute Freitagmorgen berichtete die Baselbieter SP von der Delegiertenversammlung, die gestern Abend in Binningen stattfand. Danach hielt der abtretende SP-Regierungsrat Urs Wüthrich eine "kurze Rede", in der er den "Verzicht auf eine Wiederkandidatur" begründete. Diesen "magistralen Auftritt" (so das Communiqué) hätten die Genossen mit einer "stehenden Ovation" verdankt. Was indes den ehrenvollen Dank verdiente, geht aus der Verlautbarung nicht hervor. Um eine Verabschiedung des selbsternannten Revolutionärs Wüthrich hat es sich immerhin nicht gehandelt. So muss offen bleiben, ob die offensichtliche Euphorie der SP-Basis nicht in Wahrheit Erleichterung darüber ausdrückt, dass ihr Bildungsdirektor gedenkt, in eineinhalb Jahren aus der trockenen Liestaler Amtsstube in den Olivenhain im Süden zu flüchten. Bleibt nur zu hoffen, dass der ungewöhnlich langfristig angekündigte Abtritt nicht das "Lahme Ente"-Symptom verstärkt.
"Verdienste können heute schon gewürdigt werden"
Wenn wir auf die Tätigkeit von Regierungsrat Urs Wüthrich in den vergangenen 10 ½ Jahren zurückblicken, können wir seine Verdienste im Kampf gegen die Bildungsabbautendenzen durchaus schon heute würdigen. Er musste während zweier Amtsperioden allein gegen die vier bürgerlichen Mitregierenden und ihre Sparwut im Allgemeinen und ihren Druck auf die BKSD im Besonderen Widerstand leisten. Dass das Volk ihm in den meisten Fällen die Stange hielt, konnte das Schlimmste verhüten. Der gewaltige Einsatz für das Basler Theater des Kulturdirektors wurde hingegen vom damaligen Finanzdirektor in aller Öffentlichkeit sabotiert. Dass der Sparminister und "Lehrerhasser" Adrian Ballmer über das Fünffache des Betrages von Urs Wüthrich in seine Privatschatulle abgezweigt hat, ist offensichtlich bei OnlinerReports und dem ewigen Besserwisser Stark bereits vergessen gegangen. Die Leistungen von Urs Wüthrich für die gemeinsame Universität, die FHNW, gegen die Widerstände zur Bildungsharmonisierung, für Augusta Raurica, die Kultur in der NWCH und den Sport verdienen nicht nur den Applaus der Sozialdemokraten, sondern der Mehrheit des Baselbieter Volks.
Werner Strüby, alt Erziehungsrat und pens. Gymnasiallehrer an der WMS/HMS KV Baselland, Aesch
"Kesseltreiben"
M.E. hat die SP-Baselland keineswegs "Realitätsverweigerung" begangen, wenn sie Urs Wüthrich durch Applaus den Rücken gestärkt hat. "Realität" ist nicht einfach das Bild, das die vorläufig noch grösste Tageszeitung der Region in einem Kesseltreiben zeichnen möchte. Nach jetzigem Kenntnis- und Beurteilungsstand hat Wüthrich weder betrogen noch unterschlagen oder sonst gesetzliche Bestimmungen verletzt. Ob es moralisch einwandfrei ist, einen rechtlich wohl gegebenen Anspruch auch geltend zu machen, ist eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss.
Ich begehe hoffentlich keine "Realitätsverweigerung" wenn ich annehme, dass alle Journalisten, Kolumnisten, Politiker etc., die nun u.a. Wüthrich mit Hinweis auf Glaubwürdigkeit, Ethik etc. "Abzocke" vorwerfen, in gleicher Situation aus moralischen Gründen Verzicht geleistet hätten...
Als BaZ-Kolumnist hat Roland Stark Urs Wüthrich am 16.1.2014 u.a. zu den "als Volksvertreter verkleideten Abzockern" gezählt. Er warf ihm ferner vor, dass er nun Kommissionen entscheiden lasse, ob sein politisches Verhalten moralisch einwandfrei gewesen sei oder nicht. Davon war aber nie die Rede. Geprüft werden soll selbstverständlich ausschliesslich die rechtliche Situation. Wüthrich hat sich bereit erklärt, je nach dem Ergebnis dieser Prüfungen Rückzahlungen zu leisten. Er geht damit viel weiter als zum Beispiel die Berner Regierungsrätinnen Simon und Egger-Jenzer. In der "bz" vom Samstag 18.1.2014 plädiert der Baselbieter Alt-Ständerat René Rhinow für Nüchternheit und gegen eine "Moralisierung der Politik, die pharisäische Züge annimmt". Recht hat er!
Urs Engler, Bettingen
"Lehrbuchreife Realitätsverweigerung"
Für den Rücktritt 2015 gab es stehende Ovationen. Bei einem sofortigen Abgang wären die Delegierten vermutlich sogar an die Decke gesprungen.
Realitätsverweigerung wie aus dem Lehrbuch.
Roland Stark, Basel