© Foto by Marc Lee, Pic Me, Online Projekt, 2014
Elektronische Kunst als Widerstand gegen Big Data
Immer häufiger setzen Künstler und Künstlerinnen digitale Mittel für ihre Kunst ein. Diese Mittel verwenden sie aber gleichzeitig auch, um Kritik und Widerstand zu üben an der Digitalisierung der Welt, wie die Ausstellung "Poetics and Politics of Data" im Haus der elektronischen Künste in Basel zeigt.
Basel, 27. Mai 2015
Wir wissen jetzt: Wir sind Daten. Die Daten, die mit jedem Klick anfallen, sind wir, wir selbst, nicht die anderen, die Geheimdienste, die Überwachungsinstanzen, die Unternehmen, die jeden Einkauf registrieren. Die anderen schöpfen die hinterlassenen Daten ab, werten sie aus, verkaufen sie weiter und machen gute Geschäfte. Der gläserne Mensch ist längst der verkaufte Mensch.
Der Vollständigkeit halber muss natürlich gesagt werden, dass es viele Daten gibt, die wir nicht zurückhalten können, aber auch viele, die wir allzu bedenkenlos weitergeben.
Daten-Durchschnitt als Norm
Das Ergebnis ist in jedem Fall gleich. Die Datensammler wissen viel über uns und behaupten neuerdings, dass sie besser wissen als wir selber, was wir jetzt gleich oder demnächst tun werden. Das ist eine neue Form von Behaviorismus, eine aussenbestimmte Lenkung des Menschen durch sein Verhalten in den Sozialen Netzen. Er wird anhand seiner anfallenden Daten beurteilt und nicht als Mensch, der mit Eigenarten, Ungereimtheiten und Widersprüchen ausgestattet ist. Bedenkt man, dass jetzt schon der statistische Daten-Durchschnitt zur Norm erklärt und alles, was davon abweicht, als Anomalie angesehen wird, lässt sich die Risiko-Dimension ermessen, der wir ausgeliefert sind.
Wir müssen uns also auf neue Politiken einstellen, was auch neue Formen des Widerstands einschliesst. Seit einiger Zeit setzen Künstler und Künstlerinnen vermehrt elektronische Medien als Mittel ein, um künstlerische Werke hervorzubringen. Zugleich gebrauchen sie sie, um datifizierte Welt darzustellen und womöglich zu kritisieren, wie man jetzt in der Ausstellung "Poetics and Politics of Data" im Haus der elektronischen Künste (HeK) in Basel beobachten kann. Aber wie gehen die Kunstschaffenden der neuen Generation damit um, und was kann das Publikum beim Besuch der Ausstellung für sich gewinnen?
In einer mehrere Meter breiten und hohen Multimedia-Installation mit dem Titel "Hello World!: or How I Learned to Stop Listening and Love the Noise" reiht Christopher Baker (USA) 5'000 Video-Tagebücher aneinander. Menschen erzählen auf Youtube – alle zugleich und parallel – ihr Leben, das wahrscheinlich niemand ausser sie selbst interessiert. Beim Blick aus nur schon einer geringen Distanz wird es unmöglich, die 5'000 Uploads noch zu unterscheiden. Sie gehen in einem Flimmern und Rauschen unter und erschüttern Sinn und Bedeutung der Social Media.
Geheimdienst-Arbeit als Anekdote
Wenn man manchmal den Kopf schütteln möchte, könnte man handkehrum nachdenklich werden. In seinem Netzprojekt "pic-me" greift Marc Lee (Schweiz) auf die Posts bei Instagram und ermittelt den Standort der Aufnahme. Beide Informationen werden auf einer Weltkarte veröffentlicht (siehe Abbildung). So leicht ist es und so schnell geht es, Daten aus dem Netz zu fischen und auszuwerten. Was sonst die Geheimdienste tun, ist hier in einer Anekdote festgehalten.
In einer Multimedia-Installation erzählt Jennifer Lyn Morone (USA), wie sie sich die Hoheit über ihre Daten gesichert hat. Sie gründete die Jennifer Lyn Morone Inc., ein Unternehmen, das ihre Daten vermarktet und die Wertschöpfung an ihnen sichert, was aber nur möglich ist, weil sie in einer Präsentation sich selbst zu ihrem eigenen Datenobjekt gemacht hat und sich wie ein Roboter exponiert, der um seine eigene Achse kreist.
Eher spielerisch als bestürzend
Das sind drei von vierzehn künstlerische Positionen in der von Sabine Himmelsbach, der Direktorin des HeK, kuratierten Ausstellung, die das thematische Spannungsfeld umreissen. Mediale Möglichkeiten, die über die Zeit aussagen, in die sie gehören, werden experimentell ausprobiert.
Was dabei herauskommt, ist einmal aufwändige technische Implementierung, dann wieder Selbstbespiegelung. Manches andere ist bildhaft gemachte Statistik, zum Beispiel, um das Problem der Selbstoptimierung zu veranschaulichen.
Die Versuche, Kritik an der Datenwelt und den Datenmengen, die das Leben in einem komfortablen Gulag heraufbeschwören, bleiben zuletzt ambivalent und eher spielerisch als bestürzend. Fast könnte man von Bastelei sprechen, was nicht negativ gemeint sein muss, wenn man an den französischen Strukturalisten Claude Lévi-Strauss denkt, der den Begriff gebrauchte, um das erfinderische Vorgehen des Geistes zu beschreiben.
In was für ein Schlamassel die Menschheit geritten wird, das freilich kommt nicht – oder nicht genügend – zum Ausdruck. Wie sollte es auch? Wie könnte es gezeigt werden? Das ist wahrscheinlich das Dilemma.
Info
Haus der elektronischen Künste, Oslo-Strasse 10 (Zollfreilager). Vom 29. Mai bis 30. August. Öffnungszeiten und Begleitprogramm www.hek.ch