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Scharfes Geschütz im Wirtschafts-Fall "Regio aktuell"
Mit harter Kritik an Strafgericht und Staatsanwaltschaft begann heute Montagmorgen vor dem Basler Appellationsgericht die Berufungsverhandlung um frühere und heutige Akteure des "Regio aktuell"-Verlags. Ziel der Beschuldigten: die Rückweisung an die erste Instanz.
Basel, 23. Oktober 2017
"Schreiben Sie etwas Schönes", scherzte Bernhard Madörin am frühen Morgen noch gegenüber den vor dem Gerichtssaal wartenden Journalisten. Minuten später stellte er den Antrag, die Öffentlichkeit (und damit auch die Medien) von der Verhandlung auszuschliessen. Das Gericht unter dem Vorsitz von Claudius Gelzer wies den Antrag aber ebenso ab wie zwei weitere Anträge des Beschuldigten: die Benützung des Mobiltelefons, um mit dem Laptop nach aussen zu kommunizieren, und die Forderung, die Verhandlung hochdeutsch zu führen.
Lizenzzahlungen an Offshore-Firma
Neben Madörin sass als Beschuldigter auch "Regio aktuell"-Verleger Robert Gloor im Gerichtssaal. Madörin und Gloor sassen damals auch im Verwaltungsrat der "GTS-Verlag AG", zusammen mit dem Nebenangeklagten Rechtsprofessor Daniel Staehelin, der als Notar und Rechtskonsulent firmierte. Den hauptangeklagten Organ-Verantwortlichen war vom früheren (ausgebooteten) GTS-Aktionär Kurt Schudel vorgeworfen worden, sie hätten widerrechtlich Gelder aus der Firma herausgenommen.
Der Anzeigesteller, dessen Aktionärsstatus die Beschuldigten bestritten, hatte behauptet, der Verlag habe jährlich hohe Lizenzzahlungen an eine Offshore-Firma bezahlt, die dann wieder an ihn zurückgeflossen seien. Damit habe der Verleger "das Unternehmen geschädigt, obschon er dessen Vermögen hätte schützen sollen", wie Staatsanwalt Karl Aschmann in der heutigen Verhandlung sagte.
Die Staatsanwaltschaft verhaftete Gloor und führte vor sechs Jahren an zwei Geschäftssitzen der GTS in Basel und Reinach sowie an Gloors Privatdomizil im elsässischen Folgensbourg Hausdurchsuchungen durch. Zu einer vierten Hausdurchsuchung kam es auch am Sitz der früheren von Madörin geführten GTS-Revisionsgesellschaft.
Staehelin profitiert von Verjährung
Vor genau drei Jahren verurteilte das Strafgericht Gloor zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten, während Madörin 240 Tagessätze zu 660 Franken und Staehelin 45 Tagessätze zu 1'435 Franken erhielten. Alle Strafen wurden bedingt auf zwei Jahre ausgesprochen, für Gloor und Madörin wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung, Urkundenfälschung und Steuerbetrug, für Staehelin ausschliesslich wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung. Doch rechtskräftig wurden die Urteile nicht, weil alle Angeklagten Berufung einlegten.
Für Daniel Staehelin, der am 24. August 2002 aus dem Verwaltungsrat zurückgetreten war, ist die Gefahr einer Verurteilung gebannt, da die altrechtliche Verjährungsregel gilt für mögliche Delikte, die von dem 1. Oktober 2002 begangen worden sind. Er wurde vom Gericht deswegen auch von einer Teilnahme an der Berufungsverhandlung dispensiert.
Formalrechtliche Einwände
Die Beschuldigten Gloor und Madörin können sich nicht in gleichem Mass auf die Verjährung berufen. Ihre Strategie bestand denn auch darin, mit zahlreichen Verfahrensanträgen und Mängelrügen darauf hinzuwirken, dass das Appellationsgericht schon morgen Dienstagmorgen früh entscheidet, den Fall an die erste Instanz zurückzuweisen.
Während Gloor zusammenfassend "Widerrechtlichkeiten" der ersten Instanz monierte und den Richtern drei 15 Zentimeter hohe Aktenberge auf den Korpus hievte, wurden dessen Anwalt Alain Joset und der promovierte Jurist Madörin mit ihren prozessualen Einwänden konkreter. So monierten sie, dass die ausführliche Urteilsbegründung des Strafgerichts weder vom Präsidenten noch vom Gerichtsschreiber handschriftlich unterschrieben und eröffnet worden sei.
Vorwurf der Einseitigkeit und Unfähigkeit
Ebenso kritisierten sie die Zusammensetzung des Strafdreiergerichts und die unreglementierte Zuteilung der Fälle. Dass dem erstinstanzlichen Gericht unter Präsident Dominik Kiener (EVP) noch zwei sozialdemokratische Richter angehörten, sei mit Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht zu vereinbaren. Madörin sagte im Rahmen einer Powerpoint-Präsentation, Kiener habe zwei voreingenommene Richter "bestellt", die gegen den Kapitalismus und "unfähig" gewesen seien, komplexe Wirtschafts-Fälle zu beurteilen.
Ausserdem habe die mündliche Urteilsbegründung in einem "allgemeinen Blabla" bestanden. Überdies sei es zwischen der Staatsanwaltschaft und der Basler Steuerverwaltung zu einer "zweifelhaften Kooperation" (Joset) gekommen, bei der sie sich "gegenseitig Informationen zugeschanzt" (Madörin) hätten. Es sei ausserdem "eine Sauerei", 540 Tage auf die schriftliche Urteilsbegründung warten zu müssen. Wenn das Gericht seine Argumente nicht entsprechend würdige, werde der Fall im Jahr 2025 in Strassburg verhandelt, kündigte der Treuhand-Unternehmer, Steuerrechtsexperte und ehemalige Basler SVP-Grossrat an.
Staatsanwalt: "Unterstellung"
Staatsanwalt Aschmann gab seinem "Erstaunen" über die "Diskussion um die damalige Zusammensetzung des Spruchkörpers" Ausdruck und bezeichnete den Vorwurf der politischen Einseitigkeit des Strafgerichts als "Unterstellung". Ausserdem sei die Staatsanwaltschaft befugt, mit der Steuerverwaltung zusammen zu arbeiten.
Falls das Gericht am Dienstag der Rückweisung ans Strafgericht zustimmt, wird der Berufungsprozess ein schnelles Ende haben. Lehnt es sie aber ab, kommt es zur materiellen Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils.
Weiterführende Links:
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