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Jubel im Homburgertal: "Läufelfingerli" fährt weiter
Überraschend klarer Volksentscheid: Mit einer Mehrheit von 65 Prozent stimmte das Baselbieter Volk dieses Wochenende für den Weiterbetrieb der S9 zwischen Sissach und Olten und gegen den Ersatz durch eine Buslinie. Damit muss der Leistungsauftrag für den öffentlichen Verkehrs nochmals ins Parlament.
Liestal, 26. November 2017
Dem früheren Landratspräsidenten Jürg Degen (Bild links) und dem Läufelfinger Gemeindepräsidenten Dieter Forter (rechts) war heute Sonntagnachmittag im Liestaler Regierungsgebäude die Erleichterung über den in seiner Deutlichkeit unerwarteten Abstimmungssieg anzumerken: Sie ruhten in Freude, triumphierten aber nicht.
Sehr tiefe Stimmbeteiligung
Bei einer bedenklich tiefen Stimmbeteiligung von 29 Prozent versenkte das Volk den 8. Generellen Leistungsauftrag für den öffentlichen Verkehr für die Jahre 2020/202 mit 34'324 Nein gegen 18'553 Ja. Diese Vorlage hatte vorgesehen dass die schwer defizitäre Bahnlinie S9 durch durch das Homburgertal durch einen Busbetrieb hätte ersetzt werden müssen. Der Kanton hätte dadurch 840'000 Franken einsparen können.
Die Ablehnung zog sich flächendeckend durch das gesamte Baselbiet. Einzig die vier Gemeinden Bottmingen, Pfeffingen, Burg und Hersberg stimmten der Vorlage und damit der Abschaffung des "Läufelfingerlis" zu. Am deutlichsten verwarf die am stärksten vom Bahnverzicht betroffene Gemeinde Läufelfingen die Vorlage: 726 Dorfbewohner stimmten Nein (98,51 Prozent), nur gerade deren elf gaben mit ihren Ja-Stimmen dem Bus den Vorzug.
Gegen die Abschaffung des "Läufelfingerlis" sprachen sich SP, Grüne, SVP, EVP und der VCS beider Basel aus, während FDP, CVP, Grünliberale und die Handelskammer beider Basel die Ja-Parole vertraten. Der Kampf um die Bahn im Tal hatte am 15. Oktober mit der von 900 Personen besuchten "Landsgemeinde" in Rümlingen so richtig Fahrt aufgenommen.
"Stolz auf unseren Kanton"
Der Sozialdemokrat Jürg Degen zeigte sich gegenüber OnlineReports "ganz stolz auf unseren Kanton". Denn im Vorfeld hatte er zwar mit einem Nein-Sieg gerechnet, aber nicht in dieser Deutlichkeit. Degen erklärte sich glücklich darüber, dass sich innerhalb des Baselbiets "kein Graben" aufgemacht habe. Er sei "je länger desto optimistischer" geworden. Vor allem auch im Unterbaselbiet sei die Botschaft der Bahnbefürworter "gut angekommen".
Degen räumte ein, dass die S9 "unternutzt" sei und sein Lager mit Emotionen gearbeitet habe, "aber die Emotionen waren durch Fakten abgestützt": Kürzere Reisezeiten, bequemes, behindertengerechtes und umwelfreundliches Verkehrsmittel. Die "Landsgemeinde" habe durch ihr Medien-Echo "grossen Einfluss auf die Abstimmung" gehabt, weil sie "das Abhängen der Region" beispielhaft dokumentiert habe. Das Resultat sei "eine Schlappe für Regierung und Landrat, denn sie merkten nicht, wie sensibel die Stilllegung einer Bahnliie ist".
Sein Nein-Komitee werde "in dieser Form nicht mehr weiter bestehen". Aber der "Verein Hauensteinbahn", die Gemeinden und die ÖV-Organisationen würden nun daran weiter arbeiten, dass die S9 in ein "grösseres Ganzes" eingebettet werde, beispielsweise in eine Direktverbindung nach Solothurn. Degen forderte, dass der Viertelstundentakt nicht in Liestal Halt machen dürfe, vielmehr müssten im ganzen Oberbaselbiet die Bahnangebote verbessert werden.
Regierung kam nicht "rüber"
Keinen Eindruck von Niedergeschlagenheit machten Regierungspräsidentin Sabine Pegoraro (FDP) und Finanzdirektor Anton Lauber (CVP). "Ich hatte ein Nein erwartet", sagte die Baudirektorin gegenüber OnlineReports. Der Abstimmungs-Gegenstand sei derart emotional befrachtet gewesen, dass es die rationalen ökonomischen Argumente schwer gehabt hätten. Sie habe in den letzten Wochen häufig die Meinung "Lasst doch denen die Bahn" gehört. Die Ablehnung des Margarethenstichs habe sie mehr überrascht als jene des Leistungsauftrags.
Die Regierung wird jetzt im ersten Quartal kommenden Jahres einen modifizierten Leistungsauftrag in den Landrat bringen, der im zweiten Quartal zur Behandlung kommt. Keine Frustration empfindet die Regierung, weil sie nach ihner Meinung "einen guten Job gemacht" habe. Es sei ihre Pflicht, die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel zu prüfen, wie es die Verfassung und das Gesetz über den öffentlichen Verkehr vorsehen.
So kämen nur Linien in den Leistungsauftrag, die einen Kostendeckungsgrad von mindestens 25 bis 30 Prozent erreichten. Diesen Wert erreiche das "Läufelfingerli" nicht annähernd. "Das Volk erwartet von uns, dass wir mit den öffentlichen Finanzen sparsam umgehen", meinte Lauber gegenüber OnlineReports, wobei auch die nun nicht eingesparten 840'000 Franken "nicht als unbedeutend zu erklären sind".
Rot-Grün: "Wegsparen geht nicht"
SP und Grüne reagierten mit Freude auf den Abstimmungserfolg. "Der Erfolg des Referendums und damit der Erhalt der Bahnlinie S9 zeigen, wie weit die aktuelle Regierung und die rechte Parlamentsmehrheit im Baselbiet von den Menschen entfernt sind", schreibt die SP in einer ersten Stellungnahme.
Laut den Grünen wurde während der Kampagne deutlich, "dass die Wegspartaktik an seine Grenze gekommen ist und von der Bevölkerung nicht geduldet wird". Nachdem die Regierung bereits beim Umwelt-Abo habe einsehen müssen, "dass die Sparmassnahme nicht greift, darf nun auch das Homburgertal ihren ÖV behalten".
"Schade", reagierten die Freisinnigen. Nach dem Nein zum Leistungsauftrag müssten nun insbesondere die Referendumsführer aufzeigen, die das Ziel "mehr öV für alle" effizient erreicht werden könne, ohne dass
pauschale Kürzungen vorgenommen werden müssen.
Kommentar: "Ein machtvolles Zeichen für den Service public"
Weiterführende Links:
- Das "Läufelfingerli" weckt die Gefühle einer Amputation