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Nein-Komitee gegen "die höchsten Mindestlöhne der Welt"
Kommt es im Kanton Basel-Stadt zu einem staatlich verordneten Mindestlohn, dann wird die Arbeitslosigkeit steigen und jenen Schaden zugefügt, die eigentlich geschützt werden müssten. Dies ist eine der Kernaussagen des bürgerlichen Komitees gegen die Mindestlohn-Initiative und den Gegenvorschlag.
Basel, 7. Mai 2021
Die links-gewerkschaftliche Initiative fordert im Kanton Basel-Stadt einen gesetzlichen Mindestlohn von 23 Franken. Der Gegenvorschlag von Regierung und Grossem Rat will die Minimallimite auf 21 Franken beschränken. Der Gegenvorschlag findet im Abstimmungskampf – ausser als Stichfrage – aber kaum aktive Befürwortende, so dass sich der Disput um den Streit über die 23 Franken dreht.
Ein bürgerliches Komitee gegen den kantonalen Minimallohn wandte sich heute Freitagmorgen an die Medien: LDP-Präsidentin Patricia von Falkenstein, FDP-Präsident Luca Urgese, "Mitte"-Präsident Balz Herter, Nationalrätin und GLP-Präsidentin Katja Christ sowie SVP-Vizepräsidentin Laetitia Block.
Berufsbildung in Gefahr
Wie den Unternehmen geht es ihrem politischen Arm um Grundsätzliches: Über die Löhne sollen die Sozialpartner verhandeln, der Staat habe dabei nichts zu suchen. Patricia von Falkenstein sagte wörtlich: "Die Initiative und der Gegenvorschlag verschieben den sozialpartnerschaftlichen Verhandlungs-Spielraum massiv zugunsten der Gewerkschaften." Dadurch drohten "weitergehende Einschränkungen des flexiblen Arbeitsmarktes".
Wenn nun die Mindestlöhne auf 4'000 Franken und darüber erhöht werden müssten, dann verliere die Berufsbildung an Wert und die Ausgebildeten gerieten gegenüber Ungelernten ins Abseits. Dies sei eine "fatale Entwicklung", der unbedingt Einhalt geboten werden müsse.
Schon heute habe die Regierung die Möglichkeit, bei Missständen einzugreifen und einen Normalarbeitsvertrag inklusive Lohnfestsetzung zu erlassen, wie es in Basel-Stadt seit 2017 der Detailhandel kennt.
Laut von Falkenstein werden die Mindestlöhne in den Arbeitsverträgen geregelt, die von Sozialpartnern auf Augenhöhe "hart ausgehandelt" werden – zugeschnitten auf die reale Wertschöpfung der jeweiligen Branche. "Jede Branche soll jene Löhne haben, die sie auch erwirtschaften kann."
Höhere Personalkosten, härtere Konkurrenz
Mit den Kostenfolgen bei einer Einführung des Mindestlohns befasste sich Luca Urgese. Nach seiner Überzeugung käme es unweigerlich zu einer "grossen Kostensteigerung". Einerseits müssten tief qualifizierten Arbeitskräften höhere Löhne bezahlt werden. Anderseits gerate das gesamte Lohngefüge nach oben ins Rutschen, weil auch die Löhne der besser Qualifizierten angehoben werden müssten.
Allein in der Gastronomie-Branche würden die Personalkosten um 10 bis 20 Prozent ansteigen. In einer Branche mit tiefer Marge seien "negative Konsequenzen" wie ein Stellenabbau und Pensenreduktionen sowie eine Erhöhung der Restaurant-Preise absehbar, was wiederum Menschen mit den tiefsten Einkommen am stärksten treffe.
"Höchster Mindestlohn der Welt"
Urgese nannte das Beispiel der im Niedriglohn-Sektor tätigen Genfer Essenlieferantin "Smood", die wegen des Mindestlohns soeben 200 Stellen habe abbauen müssen. In Basel-Stadt werde die Konkurrenz gegenüber Firmen in der schweizerischen Nachbarschaft sowie im nahen Ausland "nochmals schwieriger". In Deutschland beträgt der Mindestlohn 9.50 Euro, in Frankreich 10.25 Euro. Das Baselbiet kennt keinen Minimallohn.
Für viele Unternehmen würde eine "Hochpreisinsel Basel" zum Problem werden, mahnte Urgese und schlug einen verbalen Pflock ein: "Wir reden hier vom höchsten Mindestlohn der Welt."
Dass "möglichst viele Menschen" eine Erwerbstätigkeit haben sollen, forderte Katja Christ. Dies sei "der beste Schutz vor Armut und Arbeitslosigkeit". Darum müsse es das Ziel aller sein, "möglichst viele Jobs für möglichst viele unterschiedliche Menschen zu schaffen". Mit einem staatlichen Lohndiktat werde "genau das Gegenteil erreicht".
In Basel habe die Arbeitslosigkeit innert Jahresfrist um 36 Prozent zugenommen, wobei Arbeitskräfte in der Gastronomie, im Detailhandel und in persönlichen Dienstleistungen besonders betroffen gewesen seien. In diesen Branchen "jetzt noch einen Kostenschub zu generieren, wäre unverantwortlich", meinte Christ.
Staatliches Lohndiktat "asozial"
Gemäss Balz Herter lehnt das Komitee am 13. Juni sowohl die "Initiative kein Lohn unter 23 Franken" wie den Gegenvorschlag von Grossem Rat und Regierung entschieden ab. "Nicht weil wir gegen Mindestlöhne sind, im Gegenteil: Es gibt in den allermeisten Branchen jetzt schon Mindestlöhne, die in den allermeisten Fällen auch stimmen."
Zu bekämpfen seien aber staatliche Mindestlöhne, "die für alle gleich sind, unabhängig von der Wertschöpfung der jeweiligen Branche und der Qualifikation der einzelnen Mitarbeitenden". Vielmehr gelte es, "beim Branchenmodell zu bleiben, statt alle über denselben Kamm zu scheren".
Ein Lohndiktat des Staates sei "asozial", sagte Herter. Es brauche auch Stellen für Menschen mit einer Grundbildung, wenig Deutschkenntnissen, Arbeitstätige mit Leistungseinschränkungen oder Wiedereinsteigenden und Gelegenheitsjobs. Bei einem staatlichen Mindestlohn "verlieren geringer Qualifizierte die Arbeit und zudem haben sie es viel schwerer, wieder in die Arbeitswelt einzusteigen und Fuss zu fassen".
Aushilfsjobs in Gefahr
Laetitia Block sprach nicht nur als Vertreterin der SVP, sondern auch für alle bürgerlichen Jungparteien, GLP inbegriffen. Der staatliche Mindestlohn für alle Arbeiten und Stellen treffe auch junge Menschen stark. Die Zahl der Aushilfsjobs werde zurückgehen, wenn für den gleichen Lohn genauso gut ausgebildete Berufsleute eingestellt werden könnten. Gerade in der Gastronomie werde es für Studierende schwieriger, noch einen Aushilfsjob zu finden.
Block erinnerte daran, dass die Schweiz schon 2014 einen Mindestlohn mit einer Dreiviertels-Mehrheit abgelehnt hat.
Bild von links: Balz Herter, Luca Urgese, Laetitia Block, Patricia von Falkenstein, Katja Christ
"Vollbeschäftigung – aber zu fairen Löhnen"
Welche der sechs Hauptargumente sind plausibel?
1. Die Ausgebildeten würden ins Abseits geraten.
Warum denn das? Glaubt jemand, eine ausgebildete Person würde einen weniger interessanten Job ausüben, nur weil dieser im Vergleich zu vorher angemessener bezahlt wird?
2. Jede Branche soll jene Löhne haben, die sie auch erwirtschaften kann. Beispiel: Gastrobranche.
Das heisst nichts anderes, wie: Wir wollen, dass gewisse Menschen in gewissen Branchen, so billig zu arbeiten haben, damit der allergrösste Teil der anderen von ihnen profitieren kann, obwohl sie ja mehr verdienen wie diese! Das ist änderbar.
3. Das ganze Lohngefüge käme nach oben ins Rutschen.
Warum denn? Die allermeisten Lohnklassen können problemlos stagnieren oder weniger schnell ansteigen um das zu kompensieren. Denn die ArbeiterInnen mit einem tieferen Lohn wie der Mindestlohn, sind ja anzahlmässig marginal.
4. Stellenabbau und höhere Restaurants-Kosten wären die Folge, was die Menschen mit den tiefsten Einkommen am härtesten treffen würde.
Das ist durchaus möglich. Die SpitzenpolitikerInnen sollten sich etwas einfallen lassen, um dieser Ungerechtigkeit entgegen zu wirken.
5. Die Schweiz als Hochpreisinsel!
Glaubt jemand im Ernst, dass die Schweiz erst dadurch zur Hochpreisinsel würde? Das ist sie schon längst. Sie würde aber als sozialere, gerechtere Schweiz dastehen, die nicht andere Menschen derartig ausnützt, um ein winzig-klein-wenig komfortabler leben zu können! Der reichsten und ältesten Demokratie der Welt steht es zu, den höchsten Mindestlohn der Welt zu haben.
6. Dass möglichst viele Menschen eine Erwerbstätigkeit haben sollen, sei viel wichtiger.
Einverstanden: Vollbeschäftigung muss das Ziel sein. Aber Vollbeschäftigung zu fairen Löhnen.
Die fünf BürgerInnen, die sich gegen einen Mindestlohn dieser Grösse einsetzen, beziehen allesamt mit hoher Wahrscheinlichkeit einen unvergleichlich höheren Lohn. Diese namhaften PolitikerInnen wollen aber verhindern, dass andere einen gerechteren Lohn für ihre Arbeit in unserem Hochpreis-Land verdienen! Komisch! Wofür stehen diese PolitikerInnen denn ein?
Viktor Krummenacher, Bottmingen
"Schönrederei, Kaffeesatzlesen und Angstmacherei"
Es dürfte ja niemand wundern, dass die bürgerlichen Exponenten dagegen sind, dass jene Leute die am wenigsten verdienen, endlich ihren gerechten Lohn bekommen sollen. Bei der FDP, LDP und GLP kommt das nicht überraschend, aber die so genannte "Mitte" zeigt nun mal richtig, auf welcher Seite diese Partei steht, da wo's ihren Exponenten ausserhalb der Politik nützt, wird mitgemacht.
Aber dass die so genannte Volkspartei SVP da auch noch dabei ist, diese Partei die sich scheinbar immer so für die kleinen Leute stark machen will, schlägt dem Fass den Boden aus. Hoffentlich merken es auch die hintersten und letzten Bürger, dass diese SVP den nicht so privilegierten Leuten nicht mal einen gerechten Lohn gönnen will.
Schämen sich die SVP-Exponenten, weil kein Häuptling auf dem Foto zu sehen ist, es musste ein Jungspund einstehen. Ob diese Dame weiss, für was sie herhalten muss? Bei den anderen Bürgerlichen ist die Motivation klar, da stehen Provisionen und Boni ihrer potenten Wähler an erster Stelle, aber kein anständiger Lohn für die Ärmeren. Ihre Vernehmlassungen zur Abstimmung sind reine Schönrederei, Kaffeesatzlesen und Angstmacherei. Hoffentlich denken die Stimmbürger diesbezüglich mal nach.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Produkte zu Schleuderpreisen"
Wir beuten hier Menschen aus. Gleichzeitig beklagen wir uns über dieses Phänomen weltweit. Natürlich wären menschenwürdige Löhne bei uns ein Einschnitt in unseren ohnehin hohen Lebensstandard. Die Frage stellt sich deshalb: Auf wessen Kosten soll dieser Standard gehalten werden?
Wenn ich nicht bereit bin, für Leistungen die ich in Anspruch nehme, eine angemessene Entschädigung zu bezahlen, dann unterstütze ich aktiv die Ausbeutung von arbeitenden Menschen hier bei uns.
All das ganz abgesehen davon, zu welchen Schleuderpreisen wir Produkte konsumieren, deren Preise nur möglich sind, weil sie unter unmenschlichen Bedingungen produziert worden sind.
Franz Vettiger, Basel