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BL-Regierung will Gaskraftwerk statt Atomstrom
Im Mittelpunkt ihrer neuen "Energiestrategie 2012" stellt die Baselbieter Regierung Energieeffizienz – aber auch Gaskraftwerke, um eine Stromlücke im Jahr 2030 zu stopfen. Heute Mittwoch wurde die Strategie in Liestal präsentiert.
Liestal, 19. Dezember 2012
Die politische Bombe liess die freisinnige Umweltschutzdirektorin Sabine Pegoraro (Bild) eher beiläufig fallen: "Wir haben dann eine Lücke, wenn man die Atomkraftwerke abschaltet." Theoretisch ergebe sich daraus der Bedarf für neue Kraftwerke – gemeint sind Gaskraftwerke. Die regierungsrätlichen Aussagen zu Gaskraftwerken fallen zu einem höchst brisanten Zeitpunkt.
Die neue Energiestrategie will einerseits die Energieeffizienz fördern; anderseits bezeichnet das Strategiepapier als grösstes Potential für eine kantonale Stromproduktion Gaskraftwerke, wie aus den Unterlagen hervor geht. Demnach weise der Kanton bis 2030 ein realistisches Potential von 600 Millionen Kilowattstunden aus Gaskraftwerken oder gasbefeuerten so genannten Wärmekraftkopplungsanlagen auf. Windenergie, Kleinwasserkraft und Biomasse könnten demnach höchstens 80 Millionen Kilowattstunden beisteuern. Beim Solarstrom läge das Potential bei 20 bis 200 Millionen Kilowattstunden, wobei nicht klar wird, unter welchen Umständen.
Zum Vergleich: Die Elektra Baselland setzt jährlich 700 Millionen Kilowattstunden ab, oder ein knappes Viertel des Jahres-Strombedarfs von 2,2 Milliarden Kilowattstunden.
Umstrittene Gaskraftwerke
Die regierungsrätliche Unterstützung für Gaskraftwerke ist brisant. Denn gegenwärtig führt die Gemeinde Muttenz für das Industrieareal Schweizerhalle eine Zonenplanrevision durch. Sie plant ausdrücklich, Gaskraftwerke auf ihrem Gemeindegebiet aus Klimaschutzgründen zu verbieten. Dabei zählt das Industrieareal, bestätigte Pegoraro, zu den wenigen in der Schweiz prädestinierten Arealen für diese Art Kraftwerke – wegen dem hohen Strombedarf der Industrie. Ausserdem bestehe die Möglichkeit, zugleich in bei einem Gaskraftwerk anfallende Abwärme auszunutzen und in der Region per Fernwärme zu verteilen.
Schon bei der Vorstellung ihrer "Energiestrategie 2050" hate Bundesrätin Doris Leuthard klipp und klar gesagt, dass sich die Schweiz für eine Übergangszeit auf zwei bis drei Gaskraftwerke einrichten müsse, um die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten. Auf diesen Punkt der eidgenössischen Energiestrategie bezieht sich auch die freisinnige Umweltdirektorin Sabine Pegoraro, die wie Leuthard den Atomausstieg befürwortet, aber zur Not Gaskraftwerke ans Netz lassen will.
Alberto Isenburg, der Leiter des Baselbieter Amtes für Umwelt und Energie (AUE), unterstrich zusätzlich, dass der Kanton "den Bund bei der Durchsetzung von Gaskraftwerken unterstützen" wolle. Auf die Frage, ob der Kanton den Muttenzern die Gasverbots-Zonenplanung wegen übergeordneter Interessen zu untersagen gedenke, sagte Pegoraro: "Das ist Bundessache." Sie könne sich vorstellen, dass unter Umständen der Bund selbst den Muttenzer Entscheid im Interesse der Landesversorgung nachträglich korrigieren könnte. Ihre eigene Position liess sie in dieser Frage offen.
Baselland wäre Pionier mit Lenkungsabgabe
Das heute vorgestellte Papier ist auch als Diskussionsgrundlage dafür gedacht, eine Totalrevision des Baselbieter Energiegesetzes einzuleiten. Die soll im nächsten Jahr angegangen werden. Die wesentlichen Punkte zu dieser Energiestrategie teilte die Bau- und Umweltschutzdirektion bereits im Juni und im November mit: die angedachte Einführung einer kantonalen CO2-Abgabe auf fossile Energieträger (Heizöl und Erdgas) zur Förderung der Gebäude-Energieeffizienz im Kanton sowie die Schaffung einer neuen Stelle beim Amt für Umwelt und Energie (ein "one shop"-Schalter), die all die mit der Energiestrategie aufgeworfenen Fragen koordinieren würde.
Zur Einführung dieser Strategie besprach sich Pegoraro seit Beginn dieses Jahres mit den Elektrizitätsversorgern und Interessierten am so genannten "Runden Tisch". Neu wurde auch eine gemischte interfraktionelle Kommission von Landrat und Regierungsrat ins Leben gerufen, die statt der landrätlichen Umwelt- und Energiekommission die Energiestrategie behandeln werden wird. Weshalb dafür nicht die zuständige Landratskommission eingesetzt wird, wurde nicht klar.
Tatsächlich wäre das Baselbiet der erste Kanton mit einer kantonalen Lenkungsabgabe auf Heizstoffen. Der Treibstoffverbrauch im Kanton soll davon ausgenommen werden, wie Pegoraro unterstrich. Auf Nachfrage blieben ihre Fachleute indes viele Antworten schuldig, wie diese Abgabe erhoben und mit der CO2-Abgabe des Bundes, die übernächstes Jahr kräftig steigt, koordiniert werden soll.
CO2-Abgabe: Fragezeichen beim Kleingedruckten
So blieb unklar, wie der Kanton die Lenkungsabgabe, die jeden Baselbieter neben der CO2-Abgabe des Bundes mindestens hundert Franken kosten könnte, gerecht bei 120'000 Haushalten im Kanton und zehntausenden Unternehmen erhoben werden soll. Ein AUE-Mitarbeiter sagte, man könne sich die Besteuerung von Verbrauchs-Durchschnittswerten vorstellen.
Aber wäre das gerecht, wenn der aktive Energiesparer mit Durchschnittswerten geltend gemachten Abgaben bestraft würde und der Energieverschwender dafür weniger zahlt? Und wie werden Mieter zur Kasse gebeten, die Mehrheit im Kanton, die weder auf die Wahl ihrer Heizung einen Einfluss haben noch auf die Baustandards ihres Vermieters?
Zugleich blieb offen, ob kantonale Gaskraftwerke auch von der Steuer betroffen werden sollen. Wäre dies der Fall, würden zum Beispiel die in der "Energiestrategie 2012" genannten Preise für Gasstrom (8 bis 12 Rappen pro Kilowattstunde) nicht stimmen. Pegoraro sagte weiter, bezüglich der Energiewende sei sie "Optimistin". Inder Tat: Für die Durchsetzung ihrer Energiestrategie im Baselbieter Alltag wird sie viel Optimismus benötigen werden.
Weiterführende Links:
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"Gaskraftwerke sind nicht rentabel"
Das Baselbiet muss einsehen, dass es wie in der Vergangenheit auch in Zukunft nicht allen Strom selber produzieren muss. Heute wird 80 Prozent der Energie importiert, vor allem Erdölprodukte, Erdgas. Aber auch der Strom stammt grösstenteils von den Alpiq-Kraftwerke aus anderen Kantonen und teilweise sogar anderen Ländern.
Die Wirtschaftlichkeit für ein Gaskraftwerk ist bis auf absehbare Zeit nicht gegeben. In ganz Europa gab es in den letzten Jahre kein wirtschaftliches Gaskraftwerkprojekt, dies mussten Schweizer wie auch Deutsche Besitzer von solchen Kraftwerken bitter erfahren. Viele Gaskraftwerke stehen die meiste Zeit still.
Am 13. November machte die Meldung die Runde, dass E.ON zwei Gaskraftwerke in Bayern und Hessen schliessen will. Diese beiden Kraftwerke haben zusammen eine Leistung von gut 1'000 Megawatt. Gaskraftwerke seien wegen der massiven Einspeisung erneuerbarer Energien in Spitzenlastzeiten oft nicht mehr rentabel, gab der Konzernchef von E.ON, Johannes Teyssen, zu bedenken. Eines der beiden zu schliessenden Kraftwerke sei in diesem Jahr erst 87 Stunden am Netz gewesen.
Wenn nun noch nebst der nationalen auch noch eine kantonale CO2-Abgabe erhoben wird, wird die Wirtschaftlichkeit nicht besser. Ob das Erdgas auf dieser Seite der Grenze in Strom umgewandelt wird oder auf der anderen Seite, spielt dabei eine sehr kleine Rolle, ausser dass die Abhängigkeit zunimmt. Während wir beim Strom mit unseren Pumpspeicherkraftwerken erhebliche Speichermöglichkeiten haben, ist der Erdgasspeicher in der Schweiz noch sehr bescheiden.
Aeneas Wanner, Grossrat Grünliberale, Basel
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