Kopftuch-Verbot: "Haben wir keine anderen Probleme?"
Basel, 23. November 2004
Die in Basel-Stadt lancierte Volksinitiative für eine Kopftuch-Verbot für öffentliche Mandatsträgerinnen sei "überflüssig und kontraproduktiv". Dies sagt Kadriye Koca-Kasan (32, Bild), eine türkische Muslimin, die bei den Grossratswahlen auf der Liste der CVP als zweite Nachrückende gewählt wurde, gegenüber
OnlineReports. Die entsprechende Initiative der Schweizerischen Bürger-Partei (SBP) befindet sich im Stadium der Vorprüfung durch die Basler Staatskanzlei.
Kadriye Koca-Kasan, die selbst ein Kopftuch trägt, als Schweizerin eingebürgert wurde und fliessend Mundart spricht, wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äussern, ob sie im theoretischen Falle eines Nachrückens ins Parlament das Kopftuch ablegen würde: "Bis sich die Frage stellt, werde ich aufgrund der Religionsfreiheit das Kopftuch tragen", sagt sich ausweichend. Klar äussert sie sich zum Imam, der kürzlich in Basel die Steinigung von Frauen gerechtfertigt hatte: "Die Steinigung der Frau hat mit dem Islam gar nichts zu tun." Sie selbst verstehe sich als eine "ganz normale Muslimin", die das "friedvolle Zusammenleben" unter und den Dialog der Weltreligionen Islam, Christentum und Judentum anstrebe.
Gegenüber Bestrebungen liberaler Musliminnen und Muslime in der Schweiz, eine moderne muslimische Vereinigung zu gründen, hat Frau Koca-Kasan nichts einzuwenden. "Es braucht es vielleicht eine solche Vereinigung, um den Dialog zu finden. Ganz sicher stört es mich nicht, wenn sich dort Frauen engagieren, die kein Kopftuch tragen." Wenn eine Frau auf das Tuch verzichte, heisse dies nicht, dass sie eine schlechte Muslimim sei: "Mich interessiert, wie sie denkt. Das Aussehen ist nicht entscheidend."
Die kontaktfreudig wirkende ex-CVP-Kandidatin und Mutter dreier Kinder fühlt sich in Basel nach eigenem Bekunden gut integriert. Mit hier aufgewachsenen Schweizerinnen und Schweizern, auch mit Lehrkräften ihrer Kinder, verkehre sie auch privat. "Ganz toll" seien die Erfahrungen, die sie mit der Bevölkerung gemacht habe. Feindschaft schlage ihr wegen ihres Kopftuchs nicht entgegen. Aber natürlich, fügt sie an, gebe es gelegentlich auch Leute, "die den Kopf schütteln".
"Keine prädestinierte Adresse für Empfehlungen"
Ich empfinde die Dame durchaus als Bereicherung. Nur glaube ich nicht, ohne ihr zu nahe treten zu wollen, dass sie die prädestinierte Adressantin für Empfehlungen punkto Verbot religiöser Symbole ist; genau so wenig übrigens, wie eine praktizierende Katholikin zur Objektivität neigen könnte. Ich wiederhole mich, wenn ich die kompromisslose Anwendung von Artikel 15 litt 4 postuliere (siehe "Echo" zu Saïda Keller-Messahli), im Klartext: Ein Verbot aller religiösen Symbole (katholischer, jüdischer oder muslimischer Provenienz - die Protestanten haben keine) an allen öffentlichen Basler Schulen bis zum Erreichen der Mehrjährigkeit, denn dann treten litt 1 bis 3 Artikel 15 BV in Kraft, nämlich das Recht auf freie Wahl und auf freie Ausübung der bevorzugten Religion.
Patric C. Friedlin, Basel
"Mit Argumenten, nicht mit Verboten reagieren"
Ich finde die Zuspitzung eines Ideologischen Kampfes auf ein Kopftuch völlig unsinnig! Wir sollten den Kopftuchträgerinnen nicht mit einem Verbot, sondern mit Argumenten begegnen. Religiöse Symbole haben in öffentlichen Institutionen nix zu suchen. Aber ich wäre sogar bereit, auch dort noch Kopftücher zuzulassen. In ein paar Jahren ist das wieder abgeflaut, aus praktischen Gründen, und man wird die Übriggebliebenen fragen, warum sie denn noch eines tragen. Als Schwuler war ich auch dafür, dass Ohrringe, Halskettchen, lange Haare getragen werden durften. Ausserdem trugen unsere Grossmütter früher auch ein Jahr lang schwarz, sowie ein Kopftuch - und die Ordensschwestern tragen auch ihre Häubchen. Und vergessen wir nicht die indischen Sikhs, die ihre Turbane tragen. Aber leider gehen die nicht unter die Töff-Helme!
Peter Thommen, Basel
"Solche Scheinheiligkeit ist gefährlicher"
Scheinheiliger als dies Herr Thüring tat, kann dieses Thema nicht behandelt werden! Wie verhalten wir uns denn als Christen, z.B. als Katholiken? Deren Glaube schreibt vor: Du sollst nicht begehren das Weib eines anderen, oder Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, oder Du sollst nicht töten, oder Du sollst nicht stehlen und so weiter und so fort, diese Aussagen dürften allgemein bekannt sein. Diesbezüglich muss also die so genannte schweigende Mehrheit (und dazu zähle ich 90 Prozent der Katholiken) als gefährlich eingestuft werden. Ich glaube kaum, dass Herr Thüring sich schon mal solche Gedanken machte, warum auch! Aber bei einem, sagen wir mal ihm wenig bekannten Glauben fühlt er sich genötigt, den Moralapostel zu spielen und in Angstmacherei und Populismus zu machen. Solche Scheinheiligkeit ist gefährlicher.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Die schweigende Mehrheit kann gefährlich werden"
Frau Koca-Kasan vergisst, dass das Kopftuch in der Türkei vielerorts verboten ist und an öffentlichen Einrichtungen nichts zu suchen hat. Warum soll ausgerechnet die Schweiz als nichtmuslimisches Land "toleranter" sein, als ein hochgradig verislamisiertes Land wie die Türkei? Diese Ungleichheit will mir nicht in den Kopf gehen. Es ist an der Zeit, die Werte der Schweiz in den Vordergrund zu stellen. Wie sich nun in den Niederlanden gezeigt hat, sind die bisherigen Integrationsbemühungen gescheitert. Integration kann nur über die Sprache stattfinden, daher sind selbstkostenpflichtige Deutschkurse in meinen Augen für alle Personen obligatorisch zu gestalten. Die Auslegung des Islam wird von Frau Koca-Kasan hier etwas gar locker betrachtet. Die Imame, welche Steinigungen befürworten, sind höchstwahrscheinlich sogar in der Mehrheit, viele schweigen, um nicht aufzufallen. Genau diese schweigende Mehrheit kann aber gefährlich werden. Wir tolerieren den Islam, verabscheuen aber den islamistischen Fundamentalismus, welcher nur Leid mit sich bringt. Überdies ist es eine Frage des Respektes gegenüber des Gastlandes, dass man sich den Gegebenheiten anpasst, unsere Frauen müssten in den arabischen Ländern auch verhüllt sein. Einmal mehr wird hier unter dem Aspekt der Toleranz mit ungleichen Spiessen argumentiert.
Joel Thüring, Bald-SVP-Grossrat, Basel