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Hansjörg Reinau-Krayer: Prosit Neujahr 2024
Binningen, 1. Januar 2024
Hansjörg Reinau-Krayer wohnt in Binningen und war bis zu seiner Pensionierung am Basler Gymnasium Leonhard als Lehrer für alte Sprachen und Geschichte tätig.
Prosit Neujahr 2024
Blickt man auf das verfloss'ne Jahr,
wird jedem Zeitgenossen klar:
Es war in mancher Hinsicht trist,
schwer fällt's, zu sein ein Optimist.
Exempla sind leicht zu benennen:
Kaum einer dürfte sie nicht kennen.
Gut dreissig Jahre sind vergangen,
seitdem man, gänzlich unbefangen,
der Überzeugung war, zu Ende
sei mit der grossen Zeitenwende
nicht bloss der Kalte Krieg, Berichte
war'n gar zu lesen, die Geschichte
habe ihr Ende jetzt gefunden,
das Böse sei jetzt überwunden.
Man stellt zerknirscht und leicht verwirrt
heut' fest: Wir haben uns geirrt.
End' der Geschichte? Eher schon
das Ende einer Illusion.
Es wüten weiter Bellizisten,
und weiter leiden Zivilisten,
weil Gier nach Macht, weltweit verbreitet,
buchstäblich über Leichen schreitet.
Prigoschins End' war abzusehen
nach dem, was vorher war gescheh'n:
Wer's wagt, dem Kremlchef zu trotzen
und immer wieder mal zu motzen,
wird als Verräter tituliert
und skrupellos eliminiert.
Jewgeni trauert niemand nach,
sein Abgang ist kein Ungemach;
nur schade, war nicht Wladimir
im gleichen Jet auch Passagier.
Am Bosporus zeigt Erdogan,
dass er den Sultan spielen kann;
es serbelt die Demokratie
(gut ging es ihr daselbst noch nie)
im Land der Serben vor sich hin:
Vucic sperrt jede Medizin;
es waltet bei den Magyaren
fast unbeschränkt Orban seit Jahren,
und jetzt sitzt auch, im Geist sein Bruder,
Fico an der Slowaken Ruder;
den Ton gibt an ('s wär' vielen lieber,
es wär' nicht so) Georgia am Tiber;
es triumphiert im Tulpenland
mit Wilders auch der rechte Rand,
und an die Macht bei den Germanen
(die Folgen sind leicht zu erahnen)
drängt immer mehr die AfD;
geht's schief, wird bald im Elysée
Marine enthemmt das Szepter schwingen
und dort die Marseillaise dann singen;
und immer mehr droht auch, oh Graus,
schon wieder Don im Weissen Haus
(lässt sich der worst case nur vermeiden
durch weitere vier Jahre Biden?).
Der Zug, so scheint es, fährt im Nu
ganz ungebremst dem Abgrund zu.
Dem deutschen Nachbarn geht's, das wissen
wir dank den Medien, ganz beschissen.
Fachkräfte, Wohnraum, Migration,
Bildung, Umwelt, Integration,
Gesundheit, Sicherheit, Verkehr,
Ressourcen, Wohlstand, Bundeswehr:
Baustellen auf fast jedem Feld,
und ausgerechnet jetzt fehlt's Geld.
Es ist nach richterlichem Bumms
gefährdet stark der Doppel-Wumms.
Droh'n angesichts der Schuldenbremse
Zustände gar wie an der Themse?
Gefragt wär' jetzt, es läge nah,
der Kanzler: Ist er überhaupt noch da?
Kein Zweifel: Feuer unterm Dach,
die Ampel flackert nur noch schwach,
die Lag' ist zu ertragen schlecht:
Ob's richtet bald Frau Wagenknecht?
Schwer fällt jetzt auch noch ins Gewicht,
dass es der deutschen Elf gebricht
seit längerem, dies sieht ein jeder,
am richt'gen Umgang mit dem Leder:
Vielleicht kann sie ein Vorbild sehen
in uns'ren Kickern, die's verstehen,
ganz souverän in diesen Tagen,
Andorra zweimal gleich zu schlagen.
Es hat uns Karin Keller-Sutter
im Stile einer Landesmutter
im Frühjahr aus der Not gerettet,
in die wir wären fast gejettet,
als uns're CS navigierte
mit Ungeschick und explodierte.
Das Schlimmste scheint zwar abgewendet,
doch ist die Krise schon beendet?
Wann geht es jenen an den Kragen,
die stets nach hohen Boni jagen
und, kommt's einmal zu Turbulenzen,
vermissen lassen Kompetenzen?
Und was, so fragt man sich, passiert,
wenn auch die UBS falliert?
Die meisten finden es daneben,
wenn Leute sich auf Strassen kleben,
um dergestalt zu kritisieren,
dass wir uns noch zu sehr foutieren
um die Natur in diesen Zeiten.
Es lässt sich aber kaum bestreiten,
dass die ihr drohenden Gefahren
auch schon ein wenig kleiner waren.
Wenn weltweit heute Wälder brennen
mit gröss'rer Kraft, als wir es kennen,
wenn Meere, Seen, Flüsse, Bäche,
vom Regen überfüllt, die Fläche
des Landes nicht nur leicht benetzen,
vielmehr ganz unter Wasser setzen,
wenn Stürme, immer ungelegen,
jetzt öfters durch die Lande fegen,
wenn man im Sommer stärker schwitzt
als üblich und im Garten sitzt
noch im Oktober abends spät
und auf dem Grill sein Rindssteak brät:
kann man da einfach unbesehen
zum Courant normal übergehen?
Bald, hört man, werden zehn Millionen
in uns'ren engen Grenzen wohnen;
es pfeifen nicht nur alle Spatzen
vom Dach, aus allen Nähten platzen
wird dann die Schweiz, seit langem schon
behauptet man, die Migration
sei schuld daran, es helfe nur
jetzt noch die radikale Kur.
Die Grenzen seien zu bewachen
und alle Schotten dicht zu machen.
Das würde wieder Platz uns bieten,
es stiegen nicht mehr alle Mieten,
es gäbe Stau auf uns'ren Strassen,
wenn überhaupt, nur noch in Massen,
der Wolf würd' nicht mehr Schafe reissen
und sie genüsslich dann verspeisen,
und ziemlich sicher würde glücken
der Kampf gegen die Tigermücken.
Es ginge auch, was gut uns tät',
zurück die Kriminalität.
Ein Ende hätten jene Taten,
vor denen man uns auf Plakaten
eindringlich warnt: Dunkle Gestalten,
die Messer in den Händen halten,
gäb's keine mehr, wenn Bundesbern
die Fremden hielte von uns fern.
Ist, wer sich fragt, ob dies auch nützt
und uns vor allem Übel schützt,
und ob im Gegenteil sogar
dies schädlich ist für uns, ein Narr?
Der Drang hält an zur Inklusion,
doch mancher hat genug davon:
Genug von Sternchen, grossem I,
von Schrägstrich-Doppelpunkt-Manie,
von Wortverboten und Zensur
als dringend nöt'ger Remedur.
Hinter dem Label "Toleranz"
steckt oft nicht mehr als Arroganz.
Wer Wert legt auf Diversität,
soll wissen, dass er gut dran tät,
dies auch zu tun, trifft er auf Leute,
die drauf beharren, auch noch heute
das Masculinum, wie's der Brauch
recht lange war, zu brauchen auch
noch heut' und weiterhin generisch:
Weshalb wird man darob hysterisch?
Zunehmend hat gemacht die Runde
die eminent brisante Kunde,
dass man in klerikalen Kreisen
nicht nur bedacht war, Gott zu preisen,
sondern nicht selten sich vergriff,
dabei verwendend jeden Kniff,
an jungen Menschen sexuell:
ein Vorgeh'n, fraglos kriminell.
Es häuft die Zahl der Gläub'gen sich,
die sagen: "Künftig ohne mich"
und, man kann's ihnen nicht verwehren,
der Kirche ihren Rücken kehren.
Die Hirten müssen reagieren,
wenn sie nicht auch noch woll'n verlieren
die letzten Schäflein. Hier mein Rat:
Schafft endlich ab den Zölibat!
Ein Handy hat fast jedermann,
weil man es gut gebrauchen kann,
doch wenn man einer Studie traut,
ist uns're Welt auf Sand gebaut:
Es tät das strahlende Gerät
nicht gut der Spermienqualität,
was führen könnt' in Konsequenz
zum End' des Homo sapiens,
und, es wär' zu bedauern sehr,
die Erde wär' dann menschenleer.
Fazit: Wer heute bilanziert,
springt kaum vom Sitz euphorisiert.
Nichtsdestotrotz: Wir bleiben heiter
und machen unverdrossen weiter.
Noch steht, auch wenn ihr droht Gefahr,
die Welt zum Glück: Prosit Neujahr!
PS:
Ein Lichtblick gibt's, schaut man zurück,
doch noch zu registrier'n, zum Glück;
man hat uns offenbar in Bern
zumindest noch ein bisschen gern.
Zwar hatte noch vor einem Jahr,
was schwer nur zu begreifen war,
die Nase ganz knapp vorne, leider,
dank Schwarznas-Schafen die Baume-Schneider,
der Herzog reichte es nicht ganz,
doch nun, mit Läggerli, dem Jans.
Man jauchzt im Bebbi-Habitat:
"Auch wir sind endlich Bundesrat,
und uns're Freud' ist doppelt gross,
jetzt sind wir ihn in Basel los!"
Weiterführende Links:
- 1. August 2023: Hansjörg Reinau-Krayers Wilhelm Tell
- Ostern 2023: Hansjörg Reinau-Krayers Polit-Poesie