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Vermummte Aktivisten störten Heiligabend-Gottesdienst
Vermummte Aktivisten haben gestern Heiligabend in Basel einen Gottesdienst von Pfarrerin Christine Dietrich in der Kirche Kleinhüningen gestört. Die Kirche prüft eine Strafanzeige.
Basel, 25. Dezember 2019
Die Aktivisten hissten ein Transparent mit der Aufschrift "Frieden statt Hetze" und hielten eine Rede, wobei sie einen friedlichen Gottesdienst störten und die Pfarrerin Christine Dietrich "aufs übelste beschimpften", wie die Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt heute Mittwoch mitteilte.
Die angegriffene Pfarrerin lässt sich in der Medienmitteilung mit den Worten zitieren: "Die Reaktion der Gottesdienstbesucher auf die Aktion war eine Mischung von Entsetzen und Angst." Der Sigrist und aufgebrachte Gemeindemitglieder führten die Störenfriede nach der Aktion aus der Kirche. Nach einer kurzen Stellungnahme setzte Dietrich den Gottesdienst fort: "Das Thema 'fürchtet euch nicht!' war in dem Zusammenhang umso passender."
Kirche prüft Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch
"Das geht definitiv zu weit", reagierte Kirchenratspräsident Lukas Kundert. "Wir prüfen Strafanzeige respektive Strafanträge wegen Hausfriedensbruch und Nötigung." Die Aktivisten hätten die Gottesdienstbesucher, darunter viele Kinder, "in Angst und Schrecken versetzt und das ausgerechnet während des Christnacht-Gottesdiensts", erklärte der Münsterpfarrer.
Es sei "ein Hohn, dass die Aktivisten Frieden fordern und gegen Hetze eintreten, selbst aber einen friedlichen Christnacht-Gottesdienst sprengen und gegen die Pfarrerin hetzen".
Die Vergangenheit der Pfarrerin
Anlass für den Protest ist die Vergangenheit der Pfarrerin. Sie hatte bis 2011 auf einem rechtsnationalen Blog in Deutschland Beiträge veröffentlicht. Dafür wurde sie im Kanton Bern von ihrer damaligen Anstellungsbehörde gerügt, worauf sie sich entschuldigte und sich vom Blog distanzierte.
Nach ihrer Wahl in den Kirchenrat der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt diesen Herbst kam es deswegen zu Protesten verschiedener Kirchenmitglieder und Synodalen. Kirchenratspräsident Kundert stellt sich auf den Standpunkt gerade in einer Volkskirche seien Auseinandersetzungen und Diskussionen wichtig und nötig.
"Katastrophale Wahl-Vorbereitung"
Soweit aus der Berichterstattung erkennbar verlief die Protestaktion gewaltfrei. Diejenigen Kirchenmitglieder, die sich eine Klärung der heutigen Positionen von Frau Dietrich wünschen und ihre Eignung für das Amt der Kirchenrätin an Hand der bisher verfügbaren Informationen in Frage stellen, könnten den Aktivisten somit guten Gewissens dankbar sein dafür, dass sie die Angelegenheit wieder auf die öffentliche Agenda gesetzt haben.
Lukas Kundert nämlich scheint die Krise lieber aussitzen zu wollen, als sich ihrer anzunehmen. Bislang versteckt er sich hinter legalistischen Argumenten, erklärt sich für nicht zuständig, versucht so, die öffentliche Diskussion zu ersticken und verhindert durch Nicht-Kommunikation eine vollständige Sicht auf die Faktenlage. Sein von Ihnen zitierter Standpunkt "gerade in einer Volkskirche seien Auseinandersetzungen und Diskussionen wichtig und nötig" wirkt vor den Hintergrund reichlich zynisch. Wie hoch Herr Kundert im Übrigen den Wert volkskirchlicher Auseinandersetzungen und Diskussionen hielt, als es 2010 darum ging, den unliebsamen Kollegen im Münsterpfarramt Bernhard Rothen loszuwerden, wäre noch einmal nachzurecherchieren.
Wie dem auch sei, Herr Kundert täte besser daran, seine Zeit nicht mit dem "Prüfen von Strafanzeigen" zu vertun, sondern sich erkennbar um eine Lösung des Problems zu kümmern. Mittlerweile kann eine solche wahrscheinlich nur noch darin liegen, Frau Dietrich zum Rücktritt als Kirchenrätin zu bewegen. Denn wären ihre heutigen Positionen verargumentierbar, wäre ihre Nähe zu völkischen Hetzern tatsächlich abgeschlossene Vergangenheit und wäre die Affäre einzig auf Grund "tendenziöser" Darstellungen in der BZ hochgekocht, so hätte sich die neugewählte Kirchenrätin längst anderswo erklären und ins richtige Licht rücken können. Nicht zuletzt im "Kirchenboten" hätte man eine umfassende Stellungnahme erwarten dürfen. Dort sucht man aber seit dem Erscheinen des ersten BZ-Artikels aber vergeblich nach einer Gegendarstellung.
Dass die Situation überhaupt eskalieren konnte, liegt nicht, wie Herr Kessler vermutet, an "neuen Sekten", sondern viel eher an der katastrophalen Vorbereitung von Frau Dietrichs Wahl. Dabei scheint es interessanterweise einige Parallelen zur gescheiterten Pfarrwahl in der katholischen Gemeinde St. Franziskus in Riehen zu geben, wenngleich dort der Stein des Anstosses ein ganz anderer war: in beiden Fällen war den wahlvorbereitenden Organen die schwierige Vergangenheit der Kandidatin bzw. des Kandidaten zumindest in den wesentlichen Aspekten bekannt; in beiden Fällen zog man es vor, das eigentliche Wahlgremium über die heiklen Sachverhalte nicht zu informieren anstatt offensiv damit umzugehen, wenn man schon der Meinung war, dass sie die Wählbarkeit nicht in Frage stellten; in beiden Fällen hätten die Verantwortlichen antizipieren müssen, dass die verheimlichten Fakten früher oder später zu Tage gefördert werden würden und die Situation ab da kaum mehr einzufangen sein würde.
Auch die reformierte Kirche Basel-Stadt wird nicht zur Ruhe kommen, so lange Herr Kundert seine Vogel Strauss-Politik nicht ablegt und Frau Dietrich nicht zur Einsicht kommt, dass sie mit ihrem Verbleib im Amt als Kirchenrätin der Institution mehr schadet als dient.
Lorenz Kurth, Basel
"Das ist den neuen Sekten zu mühsam"
Die Vor-Aufklärung gewinnt offensichtlich Anhänger. Nach akademischen Vorlesungen und Vorträgen in Basel, Zürich, Norddeutschland und in den USA werden jetzt kirchliche Weihnachtsfeiern mit lautstarken Ritualen gestört, um tatsächlich oder vermeintlich Verirrte, Sünderinnen, Abweichler und Falsch-Gläubige zu rügen und Zuhörerinnen einzuschüchtern. Das erinnert unvermeidlich an die mittelalterlichen Bussprediger, welche auf drastische Weise öffentliche Sündenbekenntnisse und Reuebekundungen einforderten. Sie sahen sich als moralische und sittliche Instanz, legitimiert zu rabiaten Einschüchterungen.
Das Gegenteil davon wären die Errungenschaften der Aufklärung: Diskussion, Analyse, redlicher Streit um Argumente, Freude am Diskurs und Verteidigung der Meinungsfreiheit – insbesondere für den gegenteiligen, noch so schwierigen Standpunkt. Für Ungesetzliches: Rechtssaat und Judikative. Das ist den neuen Sekten offenbar zu mühsam, sie möchten Bussprediger, Richter und tatkräftige Strafvollzieher in einem sein. Bildung, Aufklärung und Demokratie sind und bleiben eine Anstrengung.
Thomas Kessler, Basel
"Einfach nur Feiglinge"
Und sowas nennt sich wahrscheinlich noch echte Christen! Für mich sind solche Vermummte Menschen einfach nur Feiglinge. Hoffentlich erstatten die Verantwortliche Anzeige.
Hanspeter Berger, Basel