Messer-Mord: Staatsanwalt fordert zwölf Jahre
Eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren verlangt der Staatsanwalt im Mord-Prozess für einen 48-jährigen Türken, der im Sommer 2010 in Münchenstein einen tamilischen Familienvater auf offener Strasse erdolchte.
Liestal/Münchenstein, 15. Januar 2013
Die schreckliche Tat, die seit heute Dienstagmorgen vor dem Baselbieter Strafgericht verhandelt wird, geschah am 27. Juli 2010 auf dem Trottoir der Binningerstrasse 13 in Münchenstein. Der Angeklagte fuhr kurz vor Mitternacht per Tram vom Besuch seiner Cousine in Basel nach Münchenstein. Von der Tram-Station "Spengler" aus ging er, alkoholisiert, zu Fuss auf den Weg zu seiner Wohnung an der Allschwilerstrasse. 23.45 Uhr war es, als ihn seine Nachbarn, ein tamilisches Ehepaar mit einem eineinhalbjährigen Sohn, auf einem Spaziergang begegneten.
Fatale zufällige Begegnung vor Mitternacht
Die beiden Parteien waren nicht gut aufeinander zu sprechen: Die ein Stockwerk höher wohnenden Tamilen hätten sich trotz wiederholter Reklamationen immer wieder lärmend verhalten. Im Verlauf einer verbalen Auseinandersetzung soll der Tamile die Ehefrau des Türken als "Schlampe" oder "Hure" beschimpft haben. Die Nachbarn kamen miteinander nicht zurecht, auch eine Anzeige bei der Gemeinde habe nichts gefruchtet, sagte der Angeklagte heute vor Strafgericht.
Bei der zufälligen vormitternächtlichen Begegnung in der Binningersrtrasse entlud sich nur noch Aggression. Laut Anklageschrift soll das tamilische Paar dem Türken Platz gemacht haben. Dabei habe der Angeklagte den Tamilen beim Vorbeigehen an der Schulter gerempelt. Nach ein paar Schritten kam der Türke zurück, worauf es erst zu einer tätlichen Rangelei kam. Wer zuerst schlug, ist unklar. Gesichert aber ist, dass der Türke ("ich habe die Kontrolle über mich verloren") aus einer Umbindetasche ein 21 Zentimeter langes Stellmesser hervornahm, aufklappte und seinem Widersacher "mit hohem Kraftaufwand ausgeführten Messerangriffen" (so die Anklageschrift) sieben tiefe Stich- und Schnittverletzungen zufügte.
Experte bescheinigt Schuldfähigkeit
Mitten auf der Binningerstrasse brach der dreifache Familienvater zusammen, während der Täter Richtung Wohnort davon rannte. Als sich die laut schreiende Ehefrau zu ihrem verblutenden Gatten begab, kehrte der Türke zurück und stach noch mindestens einmal zu. Wie heftig der Angriff war, macht die in der Anklageschrift vermerkte Tatsache deutlich, dass aus dem linksseitigen Bauchbereich des Opfers die Gedärme hervorquollen. Eine gute Stunde später verstarb der Tamile im Spital. Die Tatwaffe fand die Polizei erst nach "langem, langem, langem Suchen" (so Gerichtspräsidentin Jacqueline Kiss) unter einem Stein vor dem Hauseingang – zufällig: Ein Beamter hatte dort eine Zigarette ausgedrückt und dabei das Messer entdeckt.
Die ausführliche Befragung des psychiatrisch-forensischen Experten brachte die Erkenntnis zutage, dass der Täter zur Tatzeit trotz Depressionen, medikamentöser Behandlung, narzisstischer Akzentuierung und mehrfacher Einweisungen in die Kantonale Psychiatrische Klinik schuldfähig war. Der Täter hatte auch Eheprobleme. Ebenso war gegen ihn früher schon ein Strafverfahren wegen eines massiven gewalttätigen Übergriffs auf seinen Sohn eingeleitet, wegen Rückzug des Strafantrags durch den Betroffenen aber eingestellt worden.
"Ich weiss es nicht"
Vor dem Fünfer-Strafgericht konnte sich der breitschultrige Angeklagte oft nicht mehr an Einzelheiten erinnern, wenn die Fragen brenzlig wurden. So wusste er zwar, dass das Tragen von Stellmessern verboten ist, dass er es ausgerechnet an diesem Abend auf sich trug, begründete er damit, dass es "Nacht war" und er vom Ex-Mann seiner Frau schon bedroht worden sei. Weshalb er zum schwerverletzten Opfer zurückkehrt war und nochmals zustach, wusste er nicht. Er hielt sich für eine Persönlichkeit, die "schnell wütend, aber nicht gewälttätig" werde. Der Angeklagte, der schon dreissig Jahre in der Schweiz lebt, aber nicht wirklich integriert wirkt und auf eine Dolmetscherin angewiesen ist, wirkte in verschiedenen Punkten wenig glaubwürdig. Der Ton der Fragen durch die Vorsitzende liess zuweilen eine leichte Reizung erkennen, auch wenn der Täter sich vor Gericht entschuldigte und das grausame Delikt bereute.
Teils unter Tränen sagte die Ehefrau des Angeklagten als Zeugin aus. Entgegen den Aussagen ihres Ehemannes habe sie ihn nie verlassen wollen und es habe keine Streitigkeiten gegeben. An die Tatnacht könne sie sich nicht genau erinnern; sie sei dann ohnmächtig geworden. Nach ihrem Verhältnis zum Ehemann befragt sagte sie, es gehe ihr nicht gut und sie besuche ihn zweimal monatlich in der Strafanstalt. Bei ihrer Befragung wurde auch ruchbar, dass keine Beweise vorliegen, dass sie den Nachbarschaftsstreit bei der Polizei und der Gemeinde angezeigt habe.
Staatsanwalt plädiert auf Mord
In seinem über einstündigen Plädoyer bezeichnete Staatsanwalt Arnold Büeler die Tat als "besonders heimtückisch und kaltblütig". Der Angeklagte habe "aus rachsüchtigen Beweggründen" und damit "besonders niederträchtig" gehandelt. Weil der Angeklagte zum Opfer zurückgehrt sei und nochmals zugestochen habe, plädierte er auf Mord und verlangte eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren. Falls das Gericht zur Auffassung komme, es sei nicht Mord, sondern vorsätzliche Tötung gewesen, sei die Strafe auf neun Jahre zu bemessen.
Der arbeitslose Angeklagte und IV-Rentner sei nicht in allen Aussagen glaubwürdig. Sicherlich habe er auch nicht in Notwehr gehandelt. Viel eher sei auch er es gewesen, der beim vorangehenden Streit zuerst dreingeschlagen habe. Besonders schlimm sei der Umstand, dass die Tat unmittelbar vor den Augen der Ehefrau des Tamilen und ihres gemeinsamen Babys geschah. Der Täter habe "eiskalt und ohne Skrupel" gehandelt.
Der Prozess ist auf sechs Tage angesetzt. Kommenden Dienstag ist Urteilsverkündung.
Mitarbeit: Sarah Keller
Weiterführende Links:
- 16 Jahre für den Münchensteiner Messer-Mord