Rückzug im Fall Ammann: Keine Verwahrung
Der zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilte Ex-Landrat Franz Ammann muss mit keiner Verwahrung rechnen: Die Staatsanwältin zog heute Montagmorgen zu Beginn der Berufungsverhandlung vor Kantonsgericht ihre Appellation zurück.
Liestal, 12. März 2012
Der heute 53-jährige ehemalige Baselbieter SD-Landrat Franz Ammann war am 12. November 2010 vom Strafgericht wegen mehrfachem versuchtem Mord, schwerer Körperverletzung, Nötigung, Pornografie und Verstoss gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt worden. Vom Vorwurf sexueller Übergriffe und der Schändung an seiner Tochter dagegen wurde der Angeklagte vollumfänglich freigesprochen. Auch dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verwahrung folgte das Gericht nicht. Gegen das Urteil legten alle Parteien Berufung ein: Der Angeklagte (dessen Verteidiger dreieinhalb Jahre Freiheitsentzug gefordert hatte), die Staatsanwältin (die die Verwahrung nochmals zur Diskussion stellen wollte) und der Opfervertreter.
Heute Montagmorgen begann vor dem Kantonsgericht in Liestal nun die Berufungsverhandlung unter dem Vorsitz von Dieter Eglin. Am Donnerstag oder allenfalls am Freitag soll das Urteil eröffnet werden.
Eine nicht nachvollziehbare Werte-Welt
Franz Ammann betrat in Handschellen und begleitet von zwei Polizisten gemächlichen Schrittes den Gerichtssaal, aus dem die Öffentlichkeit ausgeschlossen blieb. Die Haare etwas kürzer geschnitten, aber blass und gezeichnet vom Schrecklichen, was sein Leben als Familienvater so schlagartig zerstörte. Es scheint ihm aber etwas besser zu gehen, seit er vor einem Jahr in die Strafanstalt Bostadel verlegt wurde, wo er einer geregelten Arbeit nachgehen und auch gewisse soziale Kontakte – soweit er sie überhaupt wünscht – pflegen kann.
Als sich die Handvoll Medienschaffender, die zur Verhandlung zugelassen war, in die Mittagspause begab, schien sie kaum erkenntnisreicher als damals, nach dem erstinstanzlichen Urteil im November 2010. Ein Familienvater mit autoritär-konservativem Weltbild, er der Patriarch, der aber seiner Ehefrau die Erziehung der Kinder überliess und mit ihnen nach eigenen Worten selbst nie Konflikte austrug. Er, der seine Tochter über alles liebte, bis sie die Autonomie entdeckte und eines Tages Hals über Kopf zu ihrem Freund zog und – so die Wahrnehmung des Angeklagten – als "Teufelsbraut" in die Fänge eines "Satans" geriet.
Ammann will Tessiner Käser werden
Am Abend des 25. April 2004 lauerte er, maskiert und mit einer geladenen Armeepistole sowie einem Pfefferspray bewaffnet, seiner Tochter und ihrem Freund vor deren gemeinsamen Wohnhaus auf. Zwei Schüsse gab er wutentbrannt aus der Nähe auf die Beiden ab, einer traf die Tochter in den Rücken.
Ihr Freund und seine Familie seien es gewesen, die ihm seine Tochter entrissen – ja, sie gegen ihn aufgehetzt hatten, glaubt Ammann noch heute. Mit seiner Frau hat er gelegentlich wieder Kontakt, aber ob die Ehe nach den dramatischen Ereignissen noch lange hält, hält er für unsicher. "Kein Problem", sagte er wie aus der Kanone geschossen auf die Frage des Gerichtspräsidenten, ob er auch alleine leben könnte. Vielleicht gebe es mit seiner Frau doch noch eine Zukunft, aber nicht mehr in der Region Basel, sondern auf dem Zeltplatz in der Leventina, wo er einen Wohnwagen stehen hat, und der nach der Entlassung aus dem Strafvollzug seine Heimat werden soll. Käser will er werden und als Platzwart am Fusse seiner geliebten Berge arbeiten.
Verwahrung ist nicht möglich
Ob der gescheiterte Familienvater, immer noch Mitglied der Neuapostolischen Kirche, je wieder in die Freiheit gelangt, war bis heute Morgen unsicher. Denn das Strafgericht hatte gegen den Antrag der Staatsanwältin Caroline Horny auf eine Verwahrung Ammans verzichtet. Doch heute Mittag, nach ausführlichen Erläuterungen des psychiatrischen Sachverständigen Martin Kiesewetter, zog sie etwas überraschend ihre Appellation zurück.
Der Experte ging nämlich in seinen Aktengutachten und auch in seinen mündlichen Ergänzungen davon aus, dass der nicht vorbestrafte Täter die Schüsse im Zustand der Zurechnungsfähigkeit abfeuerte. Ammann habe im Verlaufe des "lang hingezogenen Handlungsablaufs keinen Hinweis auf eine erhebliche schwere krankhafte psychische Störung" gegeben. Fazit: Nach damals geltender Rechtsprechung können Ersttäter mit dieser Disposition nicht verwahrt werden. Die Staatsanwältin unterliess es aber nicht, das Gericht auf die "hohe Rückfallgefahr" des Täters hinzuweisen.
"Das geht mir am Arsch vorbei"
Kiesewetter skizzierte auf die Fragen des Vorsitzenden das Psychogramm einer "inzestuösen Familie", die nach aussen "hermetisch abgeschlossen" ein "überhöhtes Ideal" pflegte, bis die Tochter gegen das familiäre Gefüge und die vereinnahmende Rolle des Vaters radikal Front machte bis hin zu Strafanzeigen, auf die der Vater schliesslich mit der Waffe, der Flucht, dem Suizidversuch und rachegetränkten Abschiedsbriefen reagierte.
Doch über allem hängt jetzt die Frage: Stelle Ammann, wenn er die Freiheitsstrafe einmal verbüsst haben wird, eine Gefahr insbesondere für seine Tochter dar, die ihn der sexuellen Übergriffe bezichtigt hatte? So wie es jetzt sei, stimme es für ihn. Er habe in den Jahren Distanz gewonnen. "Das geht mir am Arsch vorbei" und "das ist gegessen und fertig" drückte sich Ammann nicht gerade christlich dafür aus, was er eigentlich meinte: "Die Wunde ist für mich geheilt." Er fügte aber auch an: "Ich hatte auch meinen Anteil an allem."
Gretchenfrage mit ambivalenter Antwort
In eine deliktsorientierte Therapie ("die nützt nur den Gerichten") will er aber auf keinen Fall einwilligen. Als Richter Eglin dem Gutachter Kiesewetter die Gretchenfrage stellte, ob Ammann immer noch eine Gefahr darstelle, hielt sich der Experte sibyllinisch: "Ich weiss es nicht." Mit einem zeitlichen Abstand können eventuell eine "gewisse Beruhigung" einsetzen. "Aber auch das Gegenteil kann eintreten." Vielleicht betrachte der Angeklagte sein Leben als "zerstört", so dass Wut und Rachegefühle weiterhin möglich seien: "Die Zeit kann auch in der Wunde weiter bohren."
Weiterführende Links:
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