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In Burma stört Kanonendonner die Friedensklänge
Es zieht bereits scharenweise Touristen an: Das politische Tauwetter in dem faszinierenden, aber jahrzehntelang von Kriegen, Unterdrückung, Rohstoffraub, Sklavenarbeit und Folter geprägten Burma. Doch es wird immer noch gekämpft, und Zehntausende müssen flüchten.
Basel, 8. Februar 2012
Tatsächlich: Burma bewegt sich. Die Friedensnobelpreisträgerin und ehemalige Langzeitgefangene Aung San Suu Kyi soll an den nächsten Parlamentswahlen vom 1. April teilnehmen dürfen. Und auch Tomas Ojea Quintana, der UNO-Sonderberichterstatter zu Burma, verliess Myanmar nach einer sechstägigen Inspektionsreise vorsichtig optimistisch.
Der Reformwille sei spürbar, schrieb er in seinem Report vom 5. Februar. Er habe verschiedene Mitglieder der Regierung von Staatspräsident Thein Sein, dem Wegbereiter der Öffnung, treffen können und sei unter anderem mit der Nationalen Menschenrechtskommission, aber auch mit Studenten, entlassenen Gewissensgefangenen aus dem gefürchteten Gefängnis Insein und Vertretern lange bekämpfter Minderheiten im Kachin- und Mon-Gliedstaat zusammengekommen. Die Veränderungen zum Positiven gingen überraschend rasch und seien auch sicht- und spürbar, hält Quintana fest.
Noch meilenweit von Demokratie entfernt
Anderseits lässt er keine Zweifel offen, dass Burmas Machthaber noch gewaltige Anstrengungen unternehmen müssen, bis einigermassen demokratische Zustände hergestellt sind. Immer noch steckten zahlreiche politische Gefangene in den Gefängnissen, Versammlungs- und Pressefreiheit seien nicht garantiert, rechtstaatliche Institutionen wie ein unabhängiges Justizsystem fehlten und die Kriege gegen bestimmte Minderheiten tobten weiter.
Namentlich erwähnt der Sonderberichterstatter den Kachin-Bundesstaat im Nordosten des Landes, wo die Militärjunta – wie im südlich angrenzenden Shan-Bundesstaat auch – jahrelang die Rohstoffe herausholte und die Urwälder plünderte, um den Chinesen das Holz zu verkaufen. Abertausende Tropenholzstämme, so erfuhr OnlineReports 2009 an der burmesisch-chinesischen Grenze, werden nachts in langen Konvois über die chinesischen Grenzstadt Ruili (Bild: Highway zur Burma-Grenze) ins Landesinnere Chinas geschafft.
Zehntausende auf der Flucht
Dass im Bundesstaat Kachin und in umkämpften Minderheitengebieten, mit denen Waffenstillstandsabkommen geschlossen wurden, noch bei weitem kein gesicherter Frieden herrscht, darauf verweisen regelmässig burmesische Oppositionsgruppen. Sie wollen darum auch der vorab aus wirtschaftlichen Gründen und von der Regierung eingeleiteten Liberalisierung nicht wirklich trauen. Schreckensmeldungen dringen insbesondere aus der an China angrenzenden Kachin-Region. Dort sollen in den letzten Monaten Zehntausende Angehörige der Kachin-Ethnie von der Gewalt durch Regierungstruppen geflohen sein, berichtet heute auch die Gesellschaft für bedrohte Völker Deutschland (GfbV).
Die andauernden Kämpfe zeigten, dass Burma "noch ein langer Weg bevorsteht, um Frieden und Menschenrechte im gesamten Land langfristig zu sichern" erklärt deren Asienspezialist Ulrich Delius. "Jenseits der Euphorie in den grossen Städten Burmas ist das Leben der meisten kleineren Nationalitäten in den Minderheitenregionen noch immer von Flucht, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen gezeichnet."
Gegensätzliche Realitäten
Wer zurzeit als Tourist oder Journalist das Land besucht, kommt offiziell nicht in diese von der Regierung abgeschotteten Gebiete. Hingegen erhalten Besucher die Gelegenheit, die unproblematischen Gegenden und ihre Menschen zu besuchen. Die Begeisterung ist jeweils gross über die Begegnungen mit den äusserst genügsamen, bescheidenen und freundlichen Burmesen und Burmesinnen. Doch in Kampfgebieten wie dem übel heimgesuchten Kachin herrscht eine andere Realität.
Seitdem die burmesische Regierung im Juni 2011 das nun seit 17 Jahren bestehende Waffenstillstandsabkommen im Kachin-Staat de facto aufkündigte, mussten gemäss GfbV und Medienberichten mehr als 65'000 Kachin aus ihren Dörfern fliehen. Bis letzten Oktober soll die Zahl der Flüchtlinge bereits auf 29'000 Menschen angestiegen sein.
Diesen Januar sind offensichtlich nochmals 7'000 Kachin vor der Gewalt geflohen. Delius: "Regelmässig kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen burmesischen Soldaten und der 'Kachin Unabhängigkeits-Armee (KIA)'. Erst letzten Freitag flohen erneut Bewohner des Dorfes Namlim Pa im Süden des Kachin-Staates vor Feuergefechten zwischen der Armee und der KIA." Kachin sind auch vertrieben worden, weil durch ihr Gebiet eine grosse Erdöl- und Erdgaspipeline nach China gebaut werden soll, die das Reich der Mitte mit Energie versorgen soll. In der Grenzstadt Ruili (Provinz Yunnan) steht die dazu notwendige Infrastruktur weitgehend bereit.
"Zweifel an Durchsetzungsfähigkeit"
Während etwa 55'000 Kachin als Binnenflüchtlinge in mehreren Dutzend kleinen Flüchtlingslagern im Kachin-Staat und im nördlichen, von der Regierung weitgehend abgeholzten Shan-Bundesstaat Aufnahme fanden, haben rund 10'000 Kachin in der benachbarten chinesischen Provinz Yunnan Zuflucht gesucht. Sie werden dort – viele auch in Ruili – bislang von den Behörden geduldet, aber nicht als reguläre Flüchtlinge anerkannt. "Der grösste Teil dieser Schutzsuchenden sind Frauen", berichtet die GfbV.
Burma-Reisende werden trotz aller Begeisterung über – das fast 60 Jahre lang von Kriegen, Diktatur und Elend heimgesuchte – Burma nicht darum herum kommen, sich auch dieser Tatsachen bewusst zu sein. Jedenfalls dauern die Kämpfe im Kachin-Staat weiter an. Und dies, obwohl Staatspräsident Thein Sein am 10. Dezember 2011 die Einstellung sämtlicher militärischer Auseinandersetzungen angeordnet hatte. Womöglich, so die Hoffnung der Optimisten, brauche der Friedensprozess einfach noch etwas Zeit. Ulrich Delius aber bleibt vorderhand der anhaltenden Kämpfe wegen skeptisch: "Dies schürt Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit des Präsidenten gegenüber der noch immer sehr mächtigen Armee."
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